Süddeutsche Zeitung

Jérôme Kerviel:Das Monster schlägt zurück

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Finanzzocker Jérôme Kerviel will das Gerichtsverfahren neu aufrollen und beweisen, dass Chefs der Société Générale von seinem Treiben wussten.

Von Leo Klimm, Paris

Das Gesicht der zügellosen Zockerei trägt jetzt Dreitagebart. Es ist das Gesicht von Jérôme Kerviel. Jenes Mannes, der seinen damaligen Arbeitgeber, die Pariser Bank Société Générale, mit unerlaubten Aktiengeschäften 4,9 Milliarden Euro kostete. Kerviel ist jetzt 39 Jahre alt. Er wirkt noch grimmiger als während der Prozesse, die ihn ins Gefängnis brachten. Vor allem aber wirkt er entschlossen, die "Kerviel-Affäre" in eine "Affäre Société Générale" zu verkehren.

Der einstige Trader wehrt sich auch nach seiner Haftstrafe dagegen, allein für seine ungedeckten Spekulationsdeals verantwortlich zu sein. Er habe mit Billigung der Bank gehandelt, hat Kerviel immer gesagt. Er sieht sich als Sündenbock. "Ich bin nur das Monster, das von der Hochfinanz erschaffen und dann verstoßen wurde", sagte Kerviel einmal. Da er sich so beharrlich gegen die Alleinschuld wehrt, kommt es diese Woche zu zwei wichtigen Verhandlungen: Am Montag begann ein Sondergremium mit der Prüfung seines Antrags, den in letzter Instanz entschiedenen Strafprozess neu aufzurollen. Von Mittwoch an wird der Schadenersatz, den Kerviel leisten soll, neu verhandelt.

Da trifft es sich gut für Kerviel, dass sein Fall nun um eine Wendung reicher wurde. In der Nacht zu Montag tauchten Auszüge eines heimlich aufgenommenen Telefonats auf, in dem eine früher mit der Sache befasste Staatsanwältin die These Kerviels stützt. Das wirkt wie bestellt - und ist es mutmaßlich auch. Kerviel hat einen Anwalt, der gegen Société Générale seit Jahren alle Register zieht und beste Beziehungen zu Medien pflegt. "Société Générale wusste Bescheid, das ist eindeutig, eindeutig", soll Vize-Staatsanwältin Chantal de Leiris auf dem Tonband sagen, berichtet die investigative Onlinezeitung Médiapart. De Leiris erzählt demnach auch, wie ihr damaliger Chef Nachforschungen gegen Société Générale unterdrückt habe. Der Chef habe persönliche Beziehungen zu den Anwälten der Bank unterhalten.

Die Äußerungen wurden im Sommer 2015 ohne Wissen de Leiris aufgenommen. Und zwar von der Finanzpolizistin, die seit 2008 die Untersuchungen gegen Kerviel leitete: Nathalie Le Roy glaubt ebenfalls nicht mehr an Kerviels Einzeltäterschaft, wie sie zu Protokoll gab. Sie fühle sich von der Bank "instrumentalisiert". Jetzt betätigt sie sich offenkundig als Kämpferin an Kerviels Seite.

Die Aussagen der heute außer Dienst gestellten Vize-Staatsanwältin und der Chefermittlerin passen gut zu den Verschwörungstheorien, die Kerviel und sein Anwalt verbreiten. Ob sie gerichtsverwertbar sind, ist eine andere Frage: Die Tonbandausschnitte seien nur Fragmente eines längeren Gesprächs, zudem seien sie auf unlautere Weise entstanden, so die Staatsanwaltschaft Paris. Bei Société Générale empört man sich über eine "Manipulation", die darauf abziele, die Justiz unter Druck zu setzen. Kerviel hat zumindest Zweifel gesät und damit viele Unterstützer gewonnen, bis hin in die hohe Politik. Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten fordert einen neuen Strafprozess. Bei dem Verfahren zum Schadenersatz kann sowieso nur Kerviel gewinnen. Wegen Mängeln der bankinternen Kontrollen muss die Summe neu festgelegt werden. Im Moment soll Kerviel noch 4,9 Milliarden Euro zurückzahlen.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2016
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