Japan: Zukunft des Landes:Der Faktor Angst

Kommt es in Japan zu einer Katastrophe bisher nicht gekannten Ausmaßes? Oder bringen die Japaner zumindest die Reaktoren unter Kontrolle - stürzen aber wirtschaftlich ab? Szenarien für das Land im Überblick.

Alexander Hagelüken

Das Unglück in Japan wirft täglich neue Fragen auf, auch ökonomische. Kommt es zu einer Atomkatastrophe, die die Menschheit noch nicht erlebte? Oder bringen die Japaner die Reaktoren noch unter Kontrolle, leiden aber unter einem wirtschaftlichen Absturz? Und wie wirkt das alles auf die globale Konjunktur? Weil die Lage so unklar ist, ein Überblick in drei möglichen Verläufen.

Szenario 1: Japan überwindet die Folgen rasch

Keine nukleare Eskalation: Das wäre die beste Entwicklung. Nach dem Erdbeben in Kobe 1995 steckte Japan die ökonomischen Konsequenzen relativ schnell weg. Damals brach die Industrieproduktion im Unglücksmonat Januar zwar ein. Doch bereits im Februar nahm sie wieder um den selben Wert zu. Die Schäden betrugen nach Rechnung der Credit Suisse damals knapp 130 Milliarden Euro.

Der Staat erhöhte seine Ausgaben um 15 Prozent, um massiv in den Wiederaufbau zu investieren, die Konjunktur erholte sich rasch. Für die Weltwirtschaft gab es kaum negative Konsequenzen - wie bei vielen Katastrophen. "Weder der Atomunfall in Harrisburg noch der in Tschernobyl, weder Hurrikan Katrina noch der Tsunami in Asien 2004 haben eine weltweite Rezession ausgelöst", sagt Citibank-Analyst Steven Wieting.

Eine solche Entwicklung ist auch diesmal noch möglich. So stehen derzeit zwar viele Fabriken still, vor allem ist auch die Energieversorgung eingeschränkt. Der Chef der Internationalen Energieorganisation IEA, ein Japaner, glaubt aber, dass das Land Ausfälle bei der Atomenergie ersetzen kann und über ausreichende Ölreserven verfügt.

Wenn die Folgen des Atomunfalls schnell klar sind, dürfte sich auch die Lage an den Finanzmärkten beruhigen. Credit Suisse rechnet mit einem möglichen Wachstumsverlust von nur 0,5 bis einem Prozent. Aber wie wahrscheinlich ist ein ökonomisch glimpflicher Ausgang? "Wir bewegen uns immer stärker von diesem Szenario weg", fürchtet Andreas Rees, deutscher Chefvolkswirt der Bank Unicredit.

Längere Unsicherheit über den Atomunfall

Was ist, wenn die Schwere des Atomunfalls wochenlang unklar bleibt, während Techniker mit den Folgen kämpfen? Abgesehen vom Leid der Menschen wären auch die ökonomischen Konsequenzen gravierend. "Der Vergleich von heute mit dem Erdbeben in Kobe passt nicht, weil es diesmal die Nuklearkatastrophe gibt", sagt dazu Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Erst wenn diese Katastrophe vorbei ist, kann die Energieversorgung wiederhergestellt und die Produktion wieder voll aufgenommen werden". Krämer sorgt sich, dass die Produktion monatelang merklich eingeschränkt sein könnte.

Auch die Lieferketten für Computerchips und andere japanische Güter, die für andere Industriestaaten wichtig sind, wären dann angegriffen. Westliche Unternehmen wie Apple haben nur Bestände für vier Wochen und brauchen dann Nachschub.

Die japanische Wirtschaft könnte bei diesem Szenario im ersten Halbjahr schrumpfen, der Wiederaufbau würde hinausgezögert. Womöglich hat die Regierung wegen der gigantischen Verschuldung von 225 Prozent des Wirtschaftsleistung auch Probleme, starke Konjunkturspritzen wie beim Erdbeben von Kobe 1995 zu finanzieren. Die japanische Wirtschaft, die in den vergangenen 20 Jahren nur um durchschnittlich etwa ein Prozent gewachsen ist, könnte langfristig stagnieren - mit Konsequenzen für die Weltwirtschaft.

Längere Unsicherheit über die nuklearen Folgen würde auch zu stärkeren Kursverlusten an den internationalen Finanzmärkten führen. Unicredit-Volkswirt Andreas Rees nennt das den CNN-Effekt: "Die schrecklichen Fernsehbilder verstören Investoren, das Vertrauen schwindet."

Sollten die Techniker die Lage in den beschädigten Atommeilern aber nach einiger Zeit in den Griff bekommen, ohne dass etwa Großstädte verstrahlt sind, rechnet Commerzbank-Ökonom Krämer nicht mit größeren Schäden für die Weltwirtschaft. Weil Japan mit weniger als fünf Prozent einen relativ geringen Anteil am Welthandel hat, blieben die Auswirkungen begrenzt. Das Wachstum in Deutschland, von der Commerzbank bisher auf drei Prozent geschätzt, würde womöglich nur um 0,1 oder 0,2 Prozent geringer ausfallen.

Es kommt zum Super-GAU

Ein nuklearer Unfall mit dauerhaften Folgen für mehrere Regionen Japans hätte Konsequenzen, die kaum auszumalen sind - ganz abgesehen von den schrecklichen menschlichen Opfern. Eine Verstrahlung von Tokio beträfe den Teil des Landes, in dem ein Fünftel der japanischen Wirtschaftsleistung entsteht. Zwar ist Japan etwa mit Deutschland ökonomisch nicht so stark verflochten, aber die Wechselwirkung würde auf vielen Kanälen entstehen. Japan ist stark mit China verflochten, das für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig ist.

Die Wirkungen würden auf vielfache Weise entstehen. So ist Tokio nach New York und London der drittwichtigste Finanzplatz der Welt. Sein Ausfall bedroht das internationale Finanzsystem. Eine große Nuklearkatastrophe würde die Aktienmärkte weltweit ins Rutschen bringen. Anleger, Unternehmen, Banken und Konsumenten würden erstarren, wie es nach dem Lehman-Crash 2008 geschehen ist, als die Weltwirtschaft nahezu lahm lag.

Stark negative Aktienkurse sorgen dafür, dass das Vermögen vieler Menschen schrumpft und sie weit weniger Geld ausgeben können wie zuvor. Noch gibt es Hoffnung, dass Japan die große Nuklearkatastrophe erspart bleibt. Doch die Unsicherheit ist groß.

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