Nationaltracht:Japan steckt in der Kimono-Krise

Nationaltracht: Wer Kimono trägt, hüllt sich in die Pracht der unnachahmlichen Heimatkunst Japans, aber auch in eine Schönheit, die ein bisschen anstrengend, unbequem und kompliziert anzuziehen ist.

Wer Kimono trägt, hüllt sich in die Pracht der unnachahmlichen Heimatkunst Japans, aber auch in eine Schönheit, die ein bisschen anstrengend, unbequem und kompliziert anzuziehen ist.

(Foto: Tomohiro Ohsumi/Getty Images)

Die japanische Nationaltracht ist aus der Mode gekommen, der moderne Japaner kleidet sich lieber locker. Also haben sich Kyotos Kunsthandwerker ein neues Design-Objekt gesucht: indische Saris.

Von Thomas Hahn, Tokio

Vom Export weiß Yukihide Sekiya noch nicht viel. Das kann er offen zugeben, denn das liegt in der Natur seines Geschäfts. Sekiya, 46, vermarktet die Färbetechnik Kyo-Yuzen, mit der Kunsthandwerker in Kyoto seit dem 17. Jahrhundert weiße Seidenbahnen in bunte, kunstvoll bemalte Kimono-Stoffe verwandeln. Er sitzt im Vorstand des Verbandes Kyoto Kogei Sensho Kyodokumiai, einer Dachorganisation für 50 Betriebe, die besagte Technik anwenden; er führt selbst einen solchen Betrieb. Und bisher produzierten sie immer nur für den heimischen Markt, klar. "In Übersee gibt es ja keine Kultur, Kimono zu tragen", sagt Sekiya.

Aber die Zeiten ändern sich. Plötzlich will sein Verband viel über das Auslandsgeschäft lernen. Denn die Produktpalette soll wachsen. Kyotos urjapanische Kimono-Färbemeister färben neuerdings auch indische Saris.

Der Kimono ist in der Krise. Es ist keine existenzbedrohende Krise, dazu ist der Kimono zu wichtig für den Inselstaat als Kulturerbe und Ikone der nationalen Eleganz. "In Japan sagt man auch, der Kimono ist das Herz von Japan", sagt Yukihide Sekiya. Kaum eine andere Tracht spiegelt so sehr die Seele ihres Herkunftslandes. Wer Kimono trägt, hüllt sich in die Pracht der unnachahmlichen Heimatkunst Japans, aber auch in eine Schönheit, die ein bisschen anstrengend, unbequem und kompliziert anzuziehen ist. Ruhe, Geduld, Selbstlosigkeit - das sind die Eigenschaften, die man im Kimono genauso braucht wie im Alltag der japanischen Kollektivgesellschaft. Und weil der Nationalstolz in Japan nicht umzubringen ist, bleibt auch der Kimono ein festes Accessoire bei Festen und Zeremonien. Gerade die Handarbeiten aus den Kyo-Yuzen-Werkstätten. "Für teure Produkte erhalten wir nach wie vor regelmäßig Bestellungen", sagt Sekiya.

Die Hochzeit des Kimonos war Anfang der 1970er-Jahre

Aber in Mode ist der Kimono nicht mehr. Der moderne japanische Mensch kleidet sich lieber locker und westlich. Traditionen schwinden, zum Beispiel jene, der Braut ein Kimono-Set in die Ehe mitzugeben. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen es fast selbstverständlich war, zu Hochzeiten oder Trauerfeiern im Kimono zu erscheinen. "1973 war der Höhepunkt der Kimono-Produktion", sagt Yukihide Sekiya. Nachkriegsjapan boomte, Tradition und Moderne zu vereinen, war ein Trend, der sich am Kimono-Ausstoß zeigte. Nach Zahlen des Textilzentrums Tango Textile Industrial Association wurden 1973 insgesamt 9,2 Millionen Tan an Kimono-Seide produziert. 2020 waren es 150 000; Tan ist eine Flächenmaßeinheit, die man in Japan auch auf Kleiderstoffe anwendet.

"Das ist ein Rückgang von mehr als 98 Prozent in 47 Jahren", sagt Yukihide Sekiya. Sein Gewerbe brauchte eine neue Idee. So kam man in Kyoto auf den Sari.

Nationaltracht: Ungewohntes Format: Ein Kunsthandwerker produziert einen Sari mit der traditionellen Kimono-Färbetechnik Kyo-Yuzen.

Ungewohntes Format: Ein Kunsthandwerker produziert einen Sari mit der traditionellen Kimono-Färbetechnik Kyo-Yuzen.

(Foto: Kyoto Kogei Sensho Kyodokumiai/oh)

Die indische Tracht Sari ist ein ungenähter Wickelrock für Frauen, relativ einfach anzulegen und durchaus noch verbreitet in Indien und anderen asiatischen Ländern. Das Potenzial für hochwertige Seiden-Saris aus Japan war auch leicht zu sehen. "In Indien leben knapp 1,4 Milliarden Menschen, und der Anteil an reichen Leuten ist größer geworden", sagt Sekiya. Trotzdem war der Sari für die Kyo-Yuzen-Färber eine Herausforderung. Ihre Kimono-Stoffe werden aus Seidenbahnen von knapp 40 Zentimetern Breite hergestellt. Aber für Saris braucht man Tücher von knapp 120 Zentimetern Breite. Als die Kyo-Yuzen-Färber vor fünf Jahren ihre ersten Sari-Versuche starteten, nähten sie erst einmal Kimono-Stoffe zusammen.

"Mittlerweile haben wir eine breite Stoffbahn entwickelt", sagt Sekiya. Japans Traditionshandwerker neigen sonst nicht zu Innovationen - bei dem Sari-Projekt ist das eindeutig anders. Ist der Leidensdruck so groß?

Einen Kimono auszuwählen, das kann eine Wissenschaft sein

In der Kimono-Abteilung des Kaufhauses Mitsukoshi in Tokio-Nihonbashi steht Emi Furukawa an der Vitrine der Kyo-Yuzen-Stoffe und erzählt aus der weiten Welt des japanischen Ankleidens. Die Nihonbashi-Filiale der ehrwürdigen Kaufhauskette Mitsukoshi, gegründet 1673, ist eine der besten Kimono-Adressen in Japans Hauptstadt. Die Auswahl ist riesig. Die Stoffe sind erlesen. Auch manche Verkäuferinnen tragen Kimono, Emi Furukawa allerdings nicht. Es habe heute einiges umzuräumen gegeben, deshalb habe sie Hose und Blazer gewählt.

Aber sie weiß alles über Kimonos. Sie ist Absolventin der Oda-Kimono-Fachschule in Nakano. Die Ausbildung ist ein Vorteil, denn der Vorgang, einen Kimono auszuwählen, kann eine Wissenschaft sein. Für verschiedene Anlässe gibt es verschiedene Kimonos, sogar für verschiedene Rollen. Der Hochzeitskimono für die Brautmutter ist zum Beispiel anders als der für die Brautschwester.

Nationaltracht: Für verschiedene Anlässe gibt es in Japan verschiedene Kimonos.

Für verschiedene Anlässe gibt es in Japan verschiedene Kimonos.

(Foto: KIM KYUNG-HOON/REUTERS)

Emi Furukawa hat das prunkvoll gemusterte, pastellfarbene Exemplar eines halbangefertigten Kyo-Yuzen-Kimonos aufgeschlagen. Das Preisschild zeigt 855 000 Yen, umgerechnet rund 6500 Euro. Aber so ein Stoff kann auch teurer sein, das hängt davon ab, wie aufwendig die Herstellung war. Kimonos aus den Betrieben des Verbandes Kyoto Kogei Sensho Kyodokumiai sind immer Handarbeit. Eine ganze Mannschaft aus Kunsthandwerkern sitzt daran bis zu einem Jahr. Und wer einen halbangefertigten Kimono kauft, ist mit den Ausgaben dafür noch längst nicht fertig. Der halbangefertigte Kimono muss mit dem passenden Futter zu einem vollwertigen Kimono geschneidert werden. Dazu kommt das Zubehör: Unterwäsche, Oberunterwäsche, Gürtel, Tasche, vieles mehr. Einen Monat könne es dauern, einen Kimono zu kaufen, sagt Emi Furukawa. Endpreis? Etwa zwei Millionen Yen, mehr als 15 000 Euro.

Mittlerweile gibt es Kimonos mit Stiefeln - für junge Leute

Es gibt auch billige Kimonos, mittlerweile sind sie sogar teilweise angepasst an den Lifestyle von heute. "Kimonos mit Stiefeln zum Beispiel für jüngere Leute", sagt Emi Furukawa. Der Kimono geht mit der Zeit. Die Hersteller dürfen sich nicht zu sehr auf dessen klassische Schönheit verlassen, sonst sieht man Japans Tracht eines Tages vielleicht wirklich nur noch in Geisha-Vierteln und Museen. Bei Mitsukoshi würden die teuren Kimonos noch relativ gut gehen, sagt Emi Furukawa. Aber die Kimono-Krise spürt sie schon auch. Der Umsatz sei eher rückläufig.

Nationaltracht: Kostbare Tracht zum 20. Geburtstag: Japanische Frauen feiern in Kimonos ihre Volljährigkeit.

Kostbare Tracht zum 20. Geburtstag: Japanische Frauen feiern in Kimonos ihre Volljährigkeit.

(Foto: Eugene Hoshiko/dpa)

Vielleicht hilft das Sari-Projekt. Elf der 50 Betriebe bei Kyoto Kogei Sensho Kyodokumiai sind dabei. Die Präfektur Kyoto und Japans Außenhandelsverband helfen, außerdem hat sich der Dachverband bei einigen Indien-Kennern Rat geholt. Die Marktforschung läuft. Ob Inderinnen und Inder japanische Handmalerei auf ihrer Nationaltracht akzeptieren, "müssen wir erst sehen", sagt Sekiya. Eine erste Vorführung in der indischen Botschaft sei vielversprechend verlaufen. Japans indische Gemeinden sind die Zielgruppe, und in Indien soll Mumbai der erste Standort für die japanischen Luxus-Saris werden.

In diesem Jahr soll der Verkauf beginnen. Schon jetzt ist Yukuhide Sekiya angetan vom Medienecho. Aber es gibt noch viel zu tun. Die Saris müssen schließlich auch den Ansprüchen der stolzen Kimono-Färber genügen. Unförmige Ware darf nicht aus den Kyo-Yuzen-Werkstätten auf den Markt. Und dann ist da ja auch noch die Export-Frage. Japans altes Kunsthandwerk arbeitet an einem echten Neuanfang.

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