Japan:Nicht nur schwarz und glatt

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McDonald's-Filiale in Tokio. (Foto: Jeffrey Isaac Greenberg 12+/mauritius images / Alamy Stock Photos)

In Japan zwingt der Personalmangel Unternehmen zu mehr Toleranz bei Frisuren.

Von Thomas Hahn, Tokio

Japans Überalterung ist ein Segen für die nationale Haarfärbe-Industrie. Mehr Menschen bekommen graue Haare, also wollen auch mehr Menschen graue Haare unter kräftigeren Tönen verbergen. Günstig wirkt sich für die Unternehmen der Kolorierbranche außerdem der Arbeitskräftemangel aus, der wegen der rückläufigen Zahl junger Leuten fortschreitet. Eine Meldung aus dem Hause McDonald’s erinnert dieser Tage wieder daran. Die Japan-Vertretung der amerikanischen Fast-Food-Kette hat nämlich verkündet, ihr Naturhaargebot für Mitarbeiter zu kippen, um die Auswahl bei Neuanstellungen zu erweitern. Not bringt mehr Frisurenfreiheit – das ist ein Trend im Inselstaat.

Das Thema Haare ist in Japan sensibel. Die richtige Frisur ist für viele dort ein Ausdruck von nationaler Identität und Rücksicht auf die heimische Harmoniegesellschaft. Klar, der klassische Samurai-Schnitt, der sich zu Beginn der Edo-Zeit von 1603 bis 1868 durchsetzte, ist seit mehr als 150 Jahren out. Die Mitglieder des Kriegerstandes trugen damals eine ausrasierte hohe Stirn, über der ein gefalteter Pferdeschwanz befestigt war. Nur bei Sumoringern und Geishas kann man heute noch traditionelle Haartrachten sehen, die eigens ausgebildete Haarstylisten mit großer Sorgfalt anrichten.

Strähnchen oder Pferdeschwanz sind an vielen Schulen verboten

Aber schwarz und glatt sollen die Haare japanischer Menschen möglichst schon sein – diese Meinung ist immer noch verbreitet. Bis heute führen Direktoren und Unternehmensmanager einen Kampf gegen Blondier- und Tönungstendenzen. An manchen Schulen sind Strähnchen oder Pferdeschwänze verboten.

Betroffene und Anwälte kritisieren diese Strenge schon lange, nicht ohne Erfolg. Vor drei Jahren schaffte zum Beispiel die Präfektur Mie das Naturhaarzertifikat ab, mit dem blonde Oberschülerinnen und -schüler nachweisen mussten, dass ihr Haar nicht gefärbt ist. Und nun bringt also der Wettbewerb um neues Personal das Recht auf die selbstbestimmte Frisur voran. Arbeitgeber packen das Nachwuchsproblem sozusagen beim Schopfe.

Auch für Soldaten gibt es mehr Haarfreiheit

Das Verteidigungsministerium in Tokio hat dieses Jahr die Bürstenschnittpflicht für Soldaten abgeschafft, damit die Selbstverteidigungskräfte attraktiver für junge Leute werden. Der Supermarktbetreiber Uny führte im November 2022 die freie Wahl der Haarfarbe für sein Personal ein. Die Zeitung Mainichi berichtete im vergangenen Januar über die Folgen. Eine Umfrage ergab demnach: Mehr als 50 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten gefärbte Haare, neun Prozent davon trugen helle Töne wie Blond oder Pink. Negative Kundenkommentare habe es selten gegeben. Uny erklärte außerdem, dass die Zahl der Bewerbungen von Studenten für Teilzeitjobs gestiegen sei.

Laut der Nachrichtenagentur Kyodo erlaubte McDonald’s Japan seinen Leuten 2021 erstmals, einen Bart zu tragen. Später testete das Unternehmen die Frisurenvielfalt in einer Filiale in Osaka. Ergebnis: dreimal mehr neue Mitarbeiter als im Jahr zuvor. Jetzt kann in allen Läden frei gefärbt werden. Einziger Haken dabei: Japans Bevölkerung schrumpft so stark, dass irgendwann auch junge Leute mit bunten Haaren knapp werden.

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