Süddeutsche Zeitung

Japan:Die Pfeile des Herrn Abe

Japans Premier käme ein rascher Abschluss der Verhandlungen mit der EU sehr gelegen. Es lenkt von seinen Problemen ab. Nach den gescheiterten Abkommen mit den USA und Pazifikländern ist er in der Defensive.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Plötzlich hat Premier Shinzo Abe es eilig. Vier Jahre dümpelten die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen Japan und der EU dahin. Jetzt aber will Abe möglichst rasch den Grundsatzvertrag für ein "wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen" (EPA) mit der EU unterzeichnen. Das Abkommen soll es Japan und der EU erlauben, lobt Abe, "ein freies, faires und regelgestütztes Handelssystem für das 21. Jahrhundert" zu schaffen.

Der Dreiklang "frei, fair und regelgestützt" ist ein alter Bekannter. Abe hatte damit schon für die Transpazifische Partnerschaft TPP geworben, dem Freihandelspakt von zwölf Ländern rund um den Pazifik. Japan grenzt sich mit dieser Formel gegen China ab. Doch seit der neue US-Präsident Donald Trump dem Abkommen den Rücken gekehrt hat, versucht Tokio eine Art "TPP der Elf" zu retten, ohne die USA. Ein Abkommen mit den Europäern wäre für Abe zumindest ein Trostpreis. Schließlich gibt er gern den Erneuerer der japanischen Wirtschaft.

Tokio pocht auf Geheimhaltung. Auch aus Angst vor Bauernfunktionären

Abe behauptet stets, die Wirtschaft habe für ihn oberste Priorität. Mit "Abenomics" hat er eine Metapher von drei Pfeilen im Köcher geschaffen, mit denen er die seit Jahrzehnten schwächelnde Wirtschaft beleben wolle. Die Pfeile repräsentieren eine historisch beispiellose Lockerung der Geldpolitik, Infrastrukturinvestitionen und Strukturreformen. Das Transpazifische Abkommen und die Olympischen Spiele 2020 hat Abe schon als Pfeil Nummer vier bezeichnet. Eine "wirtschaftliche Partnerschaft" mit der EU - Tokio lehnt den Begriff "Freihandelsabkommen" ab - könnte ein weiterer Pfeil werden.

Die Strukturreformen, der wichtigste Teil von Abenomics, lassen allerdings seit vier Jahren auf sich warten. Deshalb stagnieren trotz Arbeitskräftemangels die Löhne, 40 Prozent der Jungen finden keine feste Stelle. Neben der Demografie ist dies Japans größtes Wachstumshindernis. Abes Kritiker werfen ihm vor, die Wirtschaft habe ihn nie interessiert. Sein politisches Kapital hat er in die Sicherheitspolitik und schärfere Gesetze investiert. Unter Abe ist Japan autoritärer geworden. Zudem ist er in Skandale verstrickt. Ein Freihandelspakt mit der EU würde die Aufmerksamkeit der Medien ablenken.

Dennoch pocht Tokio auf jene Geheimhaltung bei den Verhandlungen, wie sie bei den TPP-Verhandlungen galt. Andernfalls würden die Bauernfunktionäre jede Konzession sofort torpedieren, die Japans Unterhändler machten, sagt ein Regierungsvertreter. Während Tokio bei Wein und Teigwaren, eventuell auch beim Schweinefleisch zu massiv reduzierten Zöllen bereit scheint, gibt es beim Käse kaum Verhandlungsspielraum. Die Milchproduzenten auf der Hauptinsel Honshu hätten bereits Mühe, sich gegen die Konkurrenz aus Hokkaido zu behaupten, heißt es. Käme auch noch billiger Käse aus der EU auf den Markt, müssten sie um ihre Existenz fürchten. Folglich ist Europas Forderung zur Abschaffung der Agrarzölle für Japan das größte Hindernis für das Vertragswerk. Am Freitag meldeten Japans Agenturen, Landwirtschaftsminister Yuji Yamamoto sage einen für Dienstag geplanten Arbeitsbesuch in Brüssel kurzfristig ab.

Südkorea schuf Fakten, während Japan lange auf ein Welthandelsabkommen setzte

Japan wiederum drängt auf ein Ende der europäischen Auto-Zölle von zehn Prozent. Auch die Zölle auf Elektronik sollen fallen, aber ihre Bedeutung ist gesunken, seit Japan die Marktführerschaft an seine Nachbarn verloren hat. Dafür sucht Japan sich neuerdings als Lebensmittel-Exporteur zu profilieren. Es fordert die EU auf, die Zölle auf Sake und Grüntee zu reduzieren. Umgekehrt deutet es an, EU-Firmen dürften beim Bau regionaler Universitäten, Krankenhäuser oder öffentlicher Infrastrukturen künftig mitbieten. Bei nationalen Projekten schreibt die Welthandelsorganisation WTO das bereits vor. Allerdings werden oft Klagen laut, Japan lege ausländischen Anbietern dennoch alle möglichen Steine in den Weg.

Japan sieht sich mehr und mehr auch als Investor. Viele Exportfirmen erzielen dank der lockeren Geldpolitik, die den Yen geschwächt hat, Rekordprofite. An die Arbeitnehmer geben sie diese aber kaum weiter. Auch investieren sie wenig in Japan, denn dort stagniert die Binnennachfrage. Lieber übernehmen sie ausländische Firmen, um zu wachsen. 2015 kauften Japaner für umgerechnet 80 Milliarden Euro Firmen im Ausland - womöglich viel zu teuer. Laut Financial Times haben sie 40 Milliarden Euro zu viel bezahlt. Entsprechend hoch sind die Abschreibungen: Toshiba kämpft ums Überleben, weil es Milliarden Dollar in defizitäre US-Nuklearfirmen pumpte, und Japan Post muss nach dem Kauf des australischen Transportunternehmens Toll 3,1 Milliarden Euro abschreiben. Das alles hat den Investitionsschutz in Tokios Bewusstsein gebracht. In den Verhandlungen mit der EU soll es auf privaten Schiedsgerichten beharren, wie sie die USA in den TPP-Verhandlungen auch forderten. Japan orientiert sich auch an TPP; überdies neigt Abe dazu, an Öffentlichkeit und Parlament vorbei zu regieren.

Tokio war lange gegen Freihandelsverträge mit einzelnen Ländern. Es hoffte auf multilaterale Vereinbarungen unter dem Dach der WTO. In der Zwischenzeit schloss Südkorea, ein direkter Wettbewerber, fleißig Handelsabkommen mit China, den USA und der EU. Diesen Rückstand will Japan nun aufholen - und schwingt sich dabei gleich zum Gralshüter des "freien, fairen und regelgestützten" Handels auf. Die Ironie, dass diese Regeln nun im Verborgenen ausgehandelt werden sollen, scheint Abe entgangen.

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SZ vom 26.06.2017
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