Süddeutsche Zeitung

Japan:Altersvorsorge verzockt

Der staatliche Pensionsfonds macht mit Aktien hohe Verluste. Doch Premier Shinzo Abe behält seinen Kurs bei, das könnte für die Menschen und die Wirtschaft gefährlich werden.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Seit Japans Regierung den staatlichen Pensionsfonds (GPIF) angewiesen hat, vermehrt in einheimische Aktien zu investieren, macht der größte Altersvorsorge-Anleger der Welt enorm hohe Verluste. Im Geschäftsjahr 2015/16 (Ende März) verzockte er 46 Milliarden Euro, im April-Mai-Juni-Quartal allein verlor er noch einmal so viel. Der Fonds verwaltet sowohl das Geld für die staatliche Rente wie auch für die Zusatzrenten, für die jeder Arbeitnehmer Beiträge einzahlt. Zusammen ergibt das eine Summe von 130 Billionen Yen, 1,16 Billionen Euro. Die staatliche Rente, die jeder Japaner ab 65 erhält, beträgt derzeit jährlich etwa 780 Yen jährlich, das sind monatlich bescheidene 550 Euro. Dennoch droht den Renten eine Kürzung.

Bis vor zwei Jahren hat der GPIF mehr als zwei Drittel dieser Ersparnisse des japanischen Volkes in Staatsanleihen und Obligationen erstklassiger japanischer Firmen angelegt. Nur zwölf Prozent gingen in japanische Aktien, zehn Prozent an internationale Börsen. Die Sicherheit dieser Altersvorsorge der Japaner war das oberste Gebot des Pensionsfonds.

Doch mit japanischen Staatsanleihen erzielt man seit bald zwei Jahrzehnten kaum Renditen. Die Bank of Japan (BOJ) versuchte schon lange vor "Abenomics", Premier Shinzo Abes Programm zur Sanierung Japans, die Wirtschaft mit Nullzinsen anzukurbeln. Für den GPIF, der wegen der alternden Bevölkerung jedes Jahr mehr Renten zahlen muss, wurde die geringe Rendite zum Problem. Damit hat Abe vor zwei Jahren die Entscheidung seiner Regierung begründet, der GPIF solle künftig mehr Risiken eingehen. Insbesondere sollte er den Anteil an japanischen Aktien an seinem Portfolio verdoppeln.

Abe hält die Börse nicht nur für ein Konjunkturbarometer, er glaubt zudem an ein positives Feedback: Je mehr die Börse steige, so seine Überlegung, umso mehr Aktien würden gekauft. Das wiederum treibe die Kurse zusätzlich an und wirke sich schließlich positiv auf die reale Wirtschaft aus. Der GPIF sollte mit Investitionen an der Börse helfen, die Aktienkurse anzutreiben, die nach der ersten Abenomics-Euphorie nachzugeben begannen. Sie würden ja, so Abes Logik, ohnehin wieder anziehen.

Doch das ist bisher nicht geschehen, der Nikkei-Index stagniert. Selbst die Optimisten haben den Glauben verloren, dass Abe die für eine Sanierung der Wirtschaft nötigen Strukturreformen durchsetzen wird. So ist der GIPF für 2015 auf einer Negativ-Rendite von 3,81 Prozent sitzen geblieben. Damit die Opposition dies nicht zum Wahlkampf-Thema machen konnte, veröffentlichte der Fond eine Jahresbilanz erst nach den Oberhauswahlen im Juli, anstatt wie sonst im Juni. Offiziell hieß es allerdings, der GPIF brauche mehr Zeit, um die Schlussrechnung zu erstellen.

Der Fonds und die Notenbank treten am Markt nicht direkt als Käufer auf, sondern erwerben ihre Wertpapiere über Banken und Broker. Bisher wusste deshalb niemand, an welchen Firmen diese parastaatlichen Großinvestoren beteiligt sind. Bekannt war nur, dass die BOJ mehr als ein Drittel aller ausstehenden Staatsschulden hält. Und dass der Markt für Japans Staatspapiere, wenn die Notenbank im gleichen Tempo weiterkauft, in anderthalb Jahren ausgetrocknet sein wird.

Vor kurzem jedoch haben die Agentur Bloomberg und die Wirtschaftszeitung Nikkei die Beteiligungen des GPIF und der BOJ ermittelt. Demnach sind die beiden staatlichen Institutionen an 2000 japanischen Unternehmen beteiligt, an 400 von ihnen als größte Aktionäre.

Der GPIF ist der größte Teilhaber von Mitsubishi UFJ Financial, einer der drei Megabanken, und vom Autobauer Honda. Und der zweitgrößte Aktionär von Toyota. In 99 Prozent der börsennotierten japanischen Großfirmen gehört er zu den zehn größten Anteilseignern. Bisher hat er sich, wie die BOJ, auf eine passive Teilhaberschaft beschränkt. Dennoch verzerren die diese beiden formell unabhängigen Institutionen den Markt schon heute. Der GPIF, der weiter Aktien kaufen wird, habe "seine Finger fast überall drin", schrieb die Japan Times. Theoretisch hat die Regierung damit eine enorme Macht über nominell private Unternehmen.

Der GPIF wurde 2010 geschaffen, um die Vorgänger-Kasse zu ersetzen, die "Sozialversicherung", die die Daten von 50 Millionen Versicherten verloren hatte. Und die es zugelassen hatte, dass viele Firmen und auch Einzelpersonen, unter ihnen auch Minister, sich um ihre Beitragszahlungen drückten. Die Japaner hatten das Vertrauen in ihre "Sozialversicherung" verloren. Jetzt verspielt der GPIF, der alles besser machen sollte, ihre Ersparnisse.

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SZ vom 31.08.2016
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