Japan:Absturz statt erhofftem Aufbruch

Tokyo Olympics and Paralympics Ariake Arena, the venue of Tokyo Olympic volleyball and that of Paralympic wheelchair basketball, is completed and unveiled to the media in Tokyo s waterfront area on Feb. 2, 2020.

Elegant, aber derzeit ziemlich nutzlos: die Hallen für die olympischen Volleyball-Turniere im Tokioter Stadtteil Ariake. Die Spiele waren eine sehr teure Investition im Wachstumsprogramm von Premierminister Abe.

(Foto: imago)

Mit dem größten Konjunktur­paket der Landesgeschichte versucht Japans Regierung, die Folgen der Krise abzumildern.

Von Thomas Hahn, Tokio

Filialleiter Hiroshi Yada hat also doch zumachen müssen. Im Pronto-Café nahe dem Tokioter Messezentrum Big Sight ist alles dunkel, niemand da. An der Tür hängt ein Schild, auf dem steht: "Bekanntmachung der vorübergehenden Schließung zur Vorbeugung der Infektionsverbreitung" Anfang April, am Tag, an dem Japans Regierung wegen der Coronavirus-Krise den Notstand ausgerufen hatte, war er noch da und entschlossen weiterzumachen, so gut es eben ging.

Er sah müde aus, aber seine Freundlichkeit war ungebrochen. Im Messegelände fand damals schon seit zwei Monaten nichts mehr statt, Partygäste sagten Reservierungen ab. Er hatte die Öffnungszeiten verkürzt, die meisten seiner 20 Mitarbeiter freigestellt, 75 Prozent der Gäste seien weg. Er klagte nicht. "Ich muss versuchen, das Beste daraus zu machen." Aber irgendwann sagte er auch: "Wir wachen morgens ohne Wecker auf. Aus Angst." Dabei sollte das Jahr 2020 doch gerade für seine Filiale eine besondere Chance werden.

2020 sollte für die gesamte japanische Wirtschaft eine besondere Chance sein. Die Olympischen und Paralympischen Spiele waren für den Sommer in Tokio und Umgebung anberaumt. Die Weltsportfeste sollten nicht nur zahlende Kundschaft aus allen Ländern in den Inselstaat bringen, sie sollten auch eine Bühne für den Einfallsreichtum und Hightech-Zeitgeist der japanischen Industrie werden. Das olympische Konsumklima sollte den Negativtrend auffangen, der Japans Wirtschaft wegen flauer Weltkonjunktur und der Konsumsteuererhöhung im Oktober erfasst hatte.

"Die Pandemie hat jede Chance auf Erholung zerstört."

Aber wegen des Coronavirus ist jetzt alles anders. Die Sommerspiele sind auf nächstes Jahr verlegt. Der Dienstleistungssektor ist im April in Rekordtempo eingebrochen. Schon vor der Notstandserklärung waren die Umsätze schwach gewesen wegen der allgemeinen Virusangst. Das erste Quartal 2020 wird wohl das zweite in Serie, in dem Japans Wirtschaft schrumpft. Die Arbeitslosenquote von 2,5 Prozent im März wird nicht zu halten sein; manche Experten erwarten bis Ende des Jahres einen Anstieg auf 4,2 Prozent. Es gibt auch Geschäfte, die in der Pandemie gut laufen, der Verkauf von Pasta, Spielkonsolen oder Nähmaschinen zur Maskenherstellung zum Beispiel. Aber das kann den Umstand nicht wettmachen, dass die Japaner gerade kaum Geld für Reisen, Kleidung oder Restaurantbesuche ausgeben. Vielen Unternehmen droht die Pleite. Taro Saito von der Wirtschaftsforschungsfirma NLI Research Institute sagt: "Auch ohne das Virus war Japans Wirtschaft sehr schwach. Die Pandemie hat jede Chance auf Erholung zerstört."

Tokio wirkt dieser Tage so, als sei es beim Aufbruch eingefroren. Vor allem in der Nachbarschaft von Hiroshi Yadas Café kann man das erleben, denn hier, auf der künstlichen Halbinsel Odaiba im Spezialbezirk Koto, hätte im Sommer ein Teil der Olympischen Spiele stattfinden sollen. Yada erhoffte sich zusätzliche Kundschaft dadurch, weil das Messegelände Big Sight bei den Spielen als Medienzentrum dienen sollte. Außerdem sind einige Sportstätten in der Nähe. Aber ab Februar wurde das Virus-Thema immer größer. Bald nützte Yada die Nachbarschaft zu den Ausstellungshallen nichts mehr. Seit März ist kein Betrieb mehr in der Messe. Ende März war klar, dass auch Olympia erst einmal nicht kommt. "Wir hatten immer das Gefühl, dass wir von den Events was abbekommen können", sagte Yada im April, "jetzt haben wir Zeit zum Nachdenken."

Big Sights markanter Konferenzturm aus vier umgedrehten Pyramiden steht verlassen im trüben Nachmittagslicht. Die weiten Promenaden sind leer, die Hotels geschlossen, die Einkaufszentren auch. Das Riesenrad steht. Auf dem Toyota-Showgelände rührt sich nichts. Die sonst so lebendigen Konsummeilen wirken wie Geisterviertel. Und wenige Bahnstationen weiter, im Stadtteil Ariake, kann man sich davon überzeugen, dass die Bauarbeiten am provisorischen Stadion für die olympischen BMX- und Skateboard-Wettbewerbe Fortschritte gemacht haben. Auf der anderen Seite erheben sich elegant und derzeit nutzlos die Hallen für Volleyball und Turnen.

Tokios Sommerspiele stehen beispielhaft für die Unwägbarkeiten dieser pandemischen Zeit. Allein für die direkten Vorbereitungen hat Japan 12,6 Milliarden US-Dollar aufgewendet. Die Verlegung auf Sommer 2021 wird weitere Milliarden kosten. Dabei ist nicht einmal sicher, ob die Coronavirus-Lage sich bis nächstes Jahr derart entspannt hat, dass man Sportler und Zuschauer aus der ganzen Welt einladen kann. Die Spiele waren eine sehr teure Investition im Wachstumsprogramm von Premierminister Shinzo Abe. Mit noch mehr Pech könnten sie Japans Wirtschaftskrise zusätzlich verschärfen.

Die Unsicherheiten der Pandemie versucht Japans Regierung mit dem größten Konjunkturpaket der Landesgeschichte abzumildern: Es umfasst 117,1 Billionen Yen (1,018 Billionen Euro). Finanziert wird damit auch eine Zahlung von je 100000 Yen (870 Euro) für jeden gemeldeten Einwohner und jede gemeldete Einwohnerin. Japans Zentralbank beschloss Ende April, mit dem Kauf einer unbegrenzten Anzahl von Staatsanleihen zu helfen. Außerdem merkt man der Regierung an, dass sie den Notstand nicht länger als nötig aufrecht erhalten will. Abe hat lange gezögert, eher er ihn Anfang April ausrief, wahrscheinlich, weil er sich um die Wirtschaft sorgte. Zur Verlängerung bis 31. Mai lieferte der Premier die Aussicht mit, am 14. Mai die Lage in einzelnen Präfekturen neu zu bewerten.

Der Café-Betreiber Hiroshi Yada wird es aufmerksam verfolgen. Am Abend der Notstandserklärung sagte er: "Ich möchte den Laden schützen." Aber solange das Café geschlossen ist, kann er das nicht.

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