Wirecard-Skandal:Marsalek ließ offenbar nach Spionen suchen

Wirecard-Skandal: Schauplatz eines großen Schwindels: Die frühere Wirecard-Firmenzentrale in Aschbeim bei München. Der Schriftzug ist längst abmontiert.

Schauplatz eines großen Schwindels: Die frühere Wirecard-Firmenzentrale in Aschbeim bei München. Der Schriftzug ist längst abmontiert.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Wirecard-Vorstand soll seine Kontakte zum österreichischen Verfassungsschutz für Auskünfte über mögliche Agenten genutzt haben. Das sagte ein Ex-Abteilungsleiter des Verfassungsschutzes aus.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt

Der Fall des Martin W. war tief - und heftig. Vor vier Jahren war der studierte Jurist noch einer der wichtigsten Polizisten der Republik Österreich. Leiter der Abteilung 2 im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT), zuständig für Informationsbeschaffung und Ermittlungen. Doch dann trat Jan Marsalek in sein Leben. Und ausgerechnet wegen seiner Beziehungen zu der untergetauchten Nummer zwei des insolventen Finanzdienstleisters Wirecard wurde Martin W. vergangene Woche festgenommen. Der Verdacht der Wiener Staatsanwaltschaft: Fluchthilfe für einen mutmaßlichen Verbrecher, Bestechlichkeit und Missbrauch der Amtsgewalt.

Jetzt hat Martin W. bei den österreichischen Ermittlern ausgesagt und Marsalek schwer belastet. Der Wirecard-Vorstand soll sich mit Hilfe von Martin W. über einen weiteren BVT-Mann Informationen über mögliche Agenten besorgt haben. Das geht aus einem Vernehmungsprotokoll hervor, über das die österreichische Tageszeitung Standard zuerst berichtet hat. Das Protokoll liegt auch der SZ vor.

Die Vernehmung liest sich so, als habe Marsalek mit österreichischer Amtshilfe entweder eine Art privater Spionageabwehr betrieben oder die Informationen für eigene Geschäfte genutzt. Oder womöglich sogar für Dritte eingeholt? Für andere Dienste? Martin W. jedenfalls berichtete den Ermittlern, er habe von "Jan" eine Liste mit zehn Namen bekommen. Marsalek habe wissen wollen, ob diese Personen bei einem oder für einen Geheimdienst tätig seien. "Wozu Jan diese Abklärung brauchte, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht mehr, welche Namen auf seiner Liste standen", berichtete Martin W.

Die Aussage des Ex-Nachrichtendienstlers ist ein weiteres Puzzleteil, das den Wirtschaftskrimi um Wirecard immer mehr zum Agententhriller werden lässt. Marsalek soll nicht nur als Kopf einer Bande von Wirecard-Managern und weiteren kriminellen Geschäftsleuten das eigene Unternehmen ausgeplündert sowie Bilanzen gefälscht und Aktionäre betrogen haben. Er war nach allem, was man bislang weiß, jahrelang in Geheimdienstmilieus unterwegs, plante den Aufbau einer Söldnertruppe in Libyen, unterhielt Kontakte zu Ex-Agenten und Ex-Militärs. Ein Doppelleben im Schlapphut-Milieu mit vielen Spuren nach Russland. Unter westlichen Diensten wird geraunt, russische Dienste hätten Marsaleks Kontakt schon Anfang der 2000er Jahre angesprochen. Er sei auf seinen vielen Russland Reisen auch im Umgang mit Informationen geschult wurden. Ob das wahr ist, lässt sich nicht überprüfen.

Fakt ist aber, dass sich auch der deutsche Verfassungsschutz inzwischen für Marsaleks Treiben interessiert, "unter dem Gesichtspunkt der Spironageabwehr Russland". Das teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dreieinhalb Monaten dem Bundesinnenministerium in Berlin mit. "Aktuell werden Bezüge des ehemaligen Wirecard-Vorstandes zu Nachrichtendiensten in Russland geprüft."

Marsaleks Motive bleiben im Dunklen

Marsalek wiederum soll laut Martin W. schon seit 2018 selbst nach möglichen Agenten Ausschau gehalten haben. Was die Vermutung nahelegt, der Wirecard-Vorstand habe sich entweder vor Spionen in seinem Umfeld schützen oder Kontakt zu Agenten aufnehmen wollen. Oder gar, um solche an andere Geheimdienste verraten zu wollen? Marsaleks Motive bleiben auch nach der Vernehmung von Martin W. im Dunklen.

Dafür berichtete der frühere BVT-Abteilungsleiter im Detail, wie die Agentensuche abgelaufen sei soll. Die von Marsaleks genannten Namen habe er, Martin W., zusammen mit eigenen Listen einem BVT-Kollegen gegeben. Auf seinen, W.'s Listen, hätten 15 Namen gestanden. Auch bei denen sei es darum gegangen, ob sich Agenten darunter befunden hätten. Er, Martin W., habe das "in Zusammenhang mit Projekten" wissen wollen. Welche Projekte das gewesen sein sollen, geht aus der Vernehmung nicht hervor.

Martin W. will die 25 Namen seit Sommer 2018 nach und nach über den Messenger-Dienst Signal an den BVT-Kollegen geschickt haben. Es habe dann jeweils mehrere Wochen oder Monate gedauert, bis der BVT-Kollege geantwortet habe. Meist negativ (keine Agenten), manchmal positiv. Positiv bedeutete, es habe Anmerkungen "nachrichtendienstlicher Natur" gegeben. Zwischen zwei und fünf Treffer habe es gegeben, schätzte Martin W. bei seiner Aussage.

Es soll auch Geld geflossen sein

Woher der BVT-Kollege seine Informationen gehabt habe, will Martin W. seiner Vernehmung zufolge nicht genau gewusst haben. "Er könnte einerseits interne Datenbanken abgefragt haben, aber auch frühere Kontakte und alte Verbindungen genutzt haben. Ich weiß das nicht genau."

Dafür konnte sich Martin W. erinnern, dass er dem BVT-Kollegen "glaublich 3 x Bargeld persönlich ausgehändigt" habe. Es seien drei Zahlungen über insgesamt rund 6000 Euro gewesen. Er meine, sagt W. aus, dass dies 2018, 2019 und 2020 jeweils im Frühjahr der Fall gewesen sei. Die Zahlungen hätten "nicht in unmittelbarem Zusammenhang" mit der Suche nach Agenten unter den 25 angefragten Personen gestanden.

Der BVT-Kollege, der Martin W. und Marsalek zu Diensten war, soll den Wirecard-Vorstand auch persönlich kennengelernt haben. Und zwar bei zwei bis drei Besuchen in München in der Prinzregentenstraße 61, wo Marsalek ein privates Büro hatte, ebenso wie Martin W. Die Prinzregentenstraße war so eine Art Geheimklub mit illustren Verbindungen. Er, Martin W., habe seinen Besucher Marsalek vorgestellt, als "Kollegen des BVT".

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