Als Robert Habeck am 26. Januar 2022 seinen ersten Jahreswirtschaftsbericht vorstellte, nutzte er zur Beschreibung der Konjunkturaussichten ein beliebtes rhetorisches Stilmittel: ja, aber! Als Habeck an diesem Mittwoch nun seinen vierten und vorerst letzten Jahreswirtschaftsbericht präsentierte, da war seinen Zuhörern dieses Motiv schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es beinahe mitsingen konnten: Ja, auch dieses Jahr wird die Wirtschaftsleistung wohl wieder deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Aber: Nächstes Jahr wird alles besser.
Nun ist der Vizekanzler mitnichten allein schuld daran, dass die deutsche Wirtschaft die Wachstumshoffnungen der Politik Jahr für Jahr enttäuscht. Im Gegenteil, indem er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine Energiekrise verhinderte, wendete er zumindest 2022 einen noch tieferen Konjunktureinbruch ab. Und doch ist zum Ende der Wahlperiode klar: Habeck wird nicht nur als Bundeswirtschafts-, sondern auch als Prognosenkorrekturminister in die Geschichtsbücher eingehen.
Konkret erwartet die Regierung für 2025 nun einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um gerade einmal 0,3 Prozent. Das ist fast einen ganzen Prozentpunkt weniger als noch vor drei Monaten prophezeit, die Stagnation setzt sich also im dritten Jahr in Folge fort. Immerhin, so heißt es im Jahreswirtschaftsbericht – und man ahnt schon, was kommt: Es gebe „Licht am Ende des Tunnels“. Für nächstes Jahr erwartet Habeck ein Plus von 1,1 Prozent, wie noch vor drei Monaten auch für 2025.
Als Grund für die „deutliche Abwärtsrevision“ der aktuellen Konjunkturprognose nennt Habeck drei Faktoren. Zum einen habe die Regierung nach dem Bruch der Ampelkoalition ihre sogenannte Wachstumsinitiative nur noch zum Teil umsetzen können. Zweitens habe das Vorziehen der Bundestagswahl auf Februar die politische Unsicherheit im Land verlängert. Und drittens schließlich hätten sich die außenwirtschaftlichen Risiken nach Donald Trumps Wahlsieg in den USA deutlich erhöht.
Kritik an Ex-Finanzminister Lindner
Hinzu kommen Habeck zufolge große strukturelle Probleme, vor denen die Politik zehn, fünfzehn Jahre lang die Augen weitgehend verschlossen habe. Dazu zählten die Alterung der Gesellschaft, die Folgekosten des Klimawandels, die hohe Zahl von Menschen ohne Berufsausbildung, die Fragmentierung der Weltwirtschaft und der Aufstieg Chinas zum wichtigsten Wettbewerber Deutschlands. Klar sei: „Wir kommen mit den etablierten Mitteln, mit denen wir bisher Wirtschaftspolitik betrieben haben, nicht weiter“, so der Minister.
Auch Ampel-Mitstreiter Christian Lindner (FDP) bekommt sein Fett weg. Im Vergleich zu den anderen Industriestaaten habe Deutschland die Nettokreditaufnahme nach Überwindung der Corona-Pandemie viel schneller zurückgefahren, moniert der Minister. Ergebnis sei, dass für Investitionen – und damit für mehr Wachstum – nicht genügend Geld zur Verfügung stehe. „Wir haben eine Bremswirkung durch die Finanzpolitik“, so Habeck, ohne den Ex-Kassenwart namentlich zu erwähnen.
Während im Wirtschaftsministerium der Hausherr seinen Bericht vorstellt, machen gut einen Kilometer weiter mehr als 100 Verbände und Lobbyistengruppen bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor ihrem Ärger über die desolate Wirtschaftslage Luft. Sie fordern niedrigere Steuern und Sozialabgaben sowie ein flexibleres Arbeitsrecht, vor allem aber: dass die Parteien die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands endlich zum Wahlkampfthema Nummer eins machen. Auch in anderen deutschen Städten findet ein sogenannter „Wirtschaftswarntag“ statt.
Habeck treibt derweil eine andere Sorge um: dass die Bürger auf die Idee kommen könnten, die Wirtschaft laufe in autoritärer geführten Staaten wie China und neuerdings auch den USA besser als etwa in Europa. Wenn Deutschland Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaat und sein Wertefundament erhalten und gegen Populisten verteidigen wolle, so der Vizekanzler, „dann müssen wir diese Wachstumsschwäche überwinden“.