25 Jahre Vertrag von Maastricht:"Weißt du, was die Idioten machen?"

Lesezeit: 5 min

Der Euro entstand vor einem Vierteljahrhundert in einem Verwaltungsgebäude der Provinz Limburg. Die Geburtsfehler von damals plagen ihn bis heute.

Von Alexander Hagelüken

Musste Europas Währung ausgerechnet in einem Verwaltungszentrum der Provinz Limburg geboren werden? Limburg, ein Name, den die meisten Europäer höchstens mit intensivem Käse verbinden? Nun, auf Symbolik und Glanz verstand sich die EU bei ihren gewaltigen, völkerumspannenden Vorhaben noch nie. Und so beschlossen Europas Regierungschefs den Euro vom 9. bis 11. Dezember 1991 im Provinciehuis von Maastricht, Provinz Limburg, Niederlande. Die Frage aber, ob das, was da entstand, platt gesagt intensiver Käse ist, verfolgt die Währung bis heute.

Der Vertrag von Maastricht scheint ganz lange her, was sich schon daran erkennen lässt, dass ihn nur zwölf Staaten vereinbarten. Nicht mal Schweden und Österreich waren schon dabei, inzwischen hat die Union 28 Mitglieder. Auf der anderen Seite scheinen die Debatten von damals sehr gegenwärtig, was sich schon daran erkennen lässt, dass es die Briten waren, die den meisten Ärger verursachten. Der Premier aus der Heimat des Turniers von Wimbledon bejubelte nach den üblichen Nachtsitzungen "Spiel, Satz und Sieg", weil die Briten diesem Euro fernbleiben durften.

Der deutsche Kanzler verlor - es gab keine politische Union

Solche Skepsis gegenüber dem erstmaligen Versuch eines Geldes für ganz Europa war verbreitet. Gerade in Deutschland fürchteten viele Bürger ein Ende der Mark - und einen weichen Euro, der ihre Ersparnisse wertlos machen würde. Wie es im 20. Jahrhundert nach beiden Weltkriegen schon zwei Mal geschehen war. Als er 1991 von den Planungen für den Euro erfährt, lässt Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl einen anderen Zentralbanker im Urlaub in Portugal auftreiben: "Weißt Du, was die Idioten machen?", ruft er durchs Telefon.

Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen verkündet nach dem Gipfel im Provinciehuis: "Nun ist Europa nicht mehr zu stoppen!" Ob der Euro die heute 19 Währungsländer zusammenschweißt oder doch eher auseinander treibt, wird heute kritisch diskutiert. Wegen der Eurokrise mit ihren Opfern für die Bürger Südeuropas und dem bitteren Streit über die Konsequenzen daraus, zwischen Deutschland als Verfechter eines Sparkurses und den Krisenstaaten als Anhänger höherer Ausgaben.

Wie die Währungsunion überhaupt in so eine Krise geraten konnte, diese Frage lässt sich in die Anfänge vor 25 Jahren in Maastricht, Provinz Limburg, verlegen. Bundeskanzler Kohl verkauft den Gipfel 1991 zwar als Sieg, registriert aber insgeheim eine Niederlage. Er hatte eine engere politische Union gefordert, ein staatsähnliches Geflecht, um dem historischen Experiment Euro Halt zu geben. Er scheitert an den Regierungschefs. Und so startet die Währungsunion ohne eine politische Union, die nationale Regierungen zu jener einheitlichen Wirtschaftspolitik bewegen könnte, die eine einheitliche Währung erfordert. Diese politische Union fehlt dem Euro bis heute - und damit eine einheitliche Linie der 19 Staaten.

Der Vertrag von Maastricht enthält eine ganze Menge. Er formuliert eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Er gibt das Ziel einer "immer engeren Union der Völker Europas" vor. Er postuliert gleichzeitig als Rezept gegen Brüsseler Übergriffigkeit Subsidiarität: Was besser national oder lokal geregelt wird, soll weiter dort geregelt werden. Am stärksten nimmt die Öffentlichkeit den Startschuss für den Euro wahr, der bis spätestens Ende der 90er Jahre Wirklichkeit werden soll.

Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel beschreibt den Weg zur Währungsunion als Reaktion auf die 80er Jahre, als die EU in eine Sackgasse zu münden schien. Ein oft gehörter Begriff war Eurosklerose. Deshalb forcierten Staaten wie Deutschland eine Weiterentwicklung der EU mit stärkerer politischer Zusammenarbeit, gemeinsamem Binnen-Markt für Waren und gemeinsamer Währung. Auch, um mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum in der sich abzeichnenden Globalisierung mit den USA und China konkurrieren zu können. "In Maastricht mauserte sich die EU von einer Schutzgemeinschaft nationaler Volkswirtschaften zu einem global player", analysiert der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser.

Deutsche Währungsgegner behaupten, die Aufgabe der Mark sei der Preis gewesen, den die Bundesrepublik für die Zustimmung zur Wiedervereinigung habe zahlen müssen. Dem steht entgegen, dass schon 1962 der erste (und bis heute letzte) deutsche Präsident der EU-Kommission, Walter Hallstein, eine dreistufige Währungsunion plante. Nach dem Ende fester Wechselkurse zum Dollar Anfang der 70er Jahre plante die EU wieder eine Währungsunion. Schon damals favorisierten die Deutschen ein Gremium, Zeichen politischer Union, das wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen sollte; Frankreich sperrte sich. Statt einer Währungsunion gab es feste Wechselkurse innerhalb Europas, aus denen immer wieder Regierungen ausscherten, um durch niedrigere Landeswährung die Exporte zu steigern. Erst die Abkehr von keynesianischen Rezepten zur Ankurbelung der Konjunktur brachte die Ruhe am Devisenmarkt, die den Euro überhaupt ermöglichte. Das endgültige Konzept entstand ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer - war also keine Reaktion auf die Wiedervereinigung.

Nach dem Startschuss für den Euro 1991 in Maastricht qualifizieren sich elf Staaten für die gemeinsame Währung, in dem sie Kriterien wie niedrige Inflation und Etatdefizite von höchstens drei Prozent erfüllen - Kennzeichen einer einheitlichen Wirtschaftspolitik, wie sie eine gemeinsame Währung erfordert. Nach seinem Beginn 1999 straft der Euro seine deutschen Skeptiker zunächst in allen Punkten Lügen. Bis heute ist er kein Teuro, die Inflation fällt geringer aus als zu DM-Zeiten. Deutsche Firmen und ihre Mitarbeiter profitieren immens. In den Dekaden zuvor wertete die Mark ständig gegenüber französischem Franc oder italienischer Lira auf und verteuerte deutsche Waren. Mit dem Euro verkaufen die Firmen Made in Germany ohne diese Hürde. Während Exporte Anfang der 90er Jahre erst für 20 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung verantwortlich waren, sind es heute fast 50 Prozent.

Nach dem Beginn des Euro 1999 entwickeln sich die Staaten aber auch schleichend auseinander. Deutschland steigert seine Wettbewerbsfähigkeit durch Sozialreformen und magere Löhne. In Südeuropa dagegen entfachen die plötzlich niedrigen Zinsen der gemeinsamen Währung einen Bau- und Konsumboom auf Pump. Spanien, Portugal oder Griechenland genehmigen sich Lohnsteigerungen, verschulden sich und senken die Steuern für Reiche. Die Probleme werden sichtbar, als die Süddeutsche Zeitung 2004 enthüllt, dass Griechenland jahrelang seine Defizitzahlen nach unten manipulierte. Das Land hätte nie den Euro bekommen dürfen.

Nun rächen sich die Geburtsfehler der Währungsunion im Provinciehuis von Maastricht. Es gibt keine politische Union, die die Wirtschaftspolitik der Staaten wieder auf einheitlichen Kurs bringt. Deutschland wird zur Exportkanone, während Südeuropa abdriftet. Niemand zwingt die Griechen und andere, solide hauszuhalten. Nach dem Eissturm der Finanzkrise folgt die Quittung: Die Anleger spekulieren gegen Spanien, Portugal und Griechenland, die nur durch Milliardenkredite ihrer Partner vor der Pleite zu retten sind. Sie müssen Staatsausgaben, Löhne und Renten kürzen. Seitdem begehren die Staaten genauso wie Italien oder Frankreich gegen die Sparvorgaben auf, die Deutschland maßgeblich formuliert. In Europa entstand ein Streitklima, das sich auf Fragen wie die Flüchtlingspolitik auswirkt.

So fällt die Bilanz des Vertrags von Maastricht, vereinbart 1991 in der Provinz Limburg, gemischt aus. Vom Euro hat gerade Deutschland stark profitiert. Eine Prognos-Studie errechnet ein Einkommensplus von 1100 Euro pro Einwohner pro Jahr. Andererseits bleibt der Euro ohne politische Union verwundbar, wie sich nach dem Rücktritt des italienischen Premiers erneut dramatisch zeigen könnte. Damals vor 25 Jahren ließen die Regierungschefs die Chance verstreichen, der Währung durch eine stärkere politische Union Halt zu geben. Heute scheint es nach Jahren des Streits um die Eurokrise unwahrscheinlicher als damals, dass sie diesen Geburtsfehler noch einmal beheben könnten. Die "immer engere Union der Völker Europas" ist vertagt.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: