25 Jahre Dax:Das Leben ist schon volatil genug

Vollmond über Hannover

Langsamer Aufstieg, schneller Niedergang: an der Börse wie im Leben.

(Foto: dpa)

Die Bibel meint es gut mit den Besserverdienenden: Wer hat, dem wird gegeben. Bei Thomas Mann verspekulieren sich die Bankrotteure und auch der alte Croupier Nietzsche wusste, das Kind im Manne will nicht denken, sondern spielen. Eine Reise durch Literatur, Geld- und Zeitgeschichte.

Von Willi Winkler

Geld, das hat die Goethe-Kennerin Sahra Wagenknecht erst neulich wieder unter Verweis auf "Faust II" festgestellt, Geld regiert die Welt, aber es ist böse, erschreckend vergänglich und dazu flatterhaft wie ein 16-jähriges Gör. Kaum in der Tasche, schreit es schon und will raus, brüllt was von Freiheitsberaubung und Entfaltung der Persönlichkeit, will unter die Leute, mal was anderes sehen als seinesgleichen, nicht immer nur in Leder verpackt sein, zur Abwechslung auch mal was Luftig-Leichtes, der Sommer kommt doch - o, wie es diese ewige Dunkelheit satt hat!

Der Beutelbesitzer tut wie geheißen und trägt sein kostbares Geld auf den Markt, kauft, was er zum Leben braucht. Das Geld, treulos, wie es ist, wechselt in fremde Hände, beginnt einen Schnitzler'schen Reigen vom einen zum andern, kommt vielleicht, vielleicht auch nicht zurück. Das ist der Lauf der Welt: Der eine hat's, der andere nicht.

Die Welt ist deshalb keineswegs ohne Gerechtigkeit, denn es gibt ja die Börse, ein Spiel, bei dem jeder mitmachen, gewinnen und leider auch verlieren kann. Auf und ab geht die Kurve, beeinflusst von Quartalszahlen und Leitzinssenkungen, gern auch von Wertberichtigungen, die zu Panikverkäufen führen, die von einer Rallye abgelöst werden, auf die eine vorfeiertägliche Gewinnmitnahme folgt, vermutlich weil die Kinder sonst nichts unter dem Christbaum fänden.

Auf einmal ist Gold keine Reservewährung mehr, sondern - Holz. Von links rollt scheppernd ein Barrel Öl herein, das noch teurer wird, weil der Sommer heiß und der Winter kalt ist oder umgekehrt. China kauft die Weltvorräte an Milch auf, die dadurch ausgelöste Inflation drückt wiederum den Kurs der VW-Aktie, weil der Audi-Absatz in Schanghai bedenklich nachlässt, so dass die Betriebsferien in Wolfsburg verlängert werden müssen, weshalb der Ministerpräsident von Niedersachsen Bundespräsident werden muss oder so ähnlich. Versteht einer, wie das mit rechten Dingen zugehen soll?

Die Börse ist launischer als jedes Flittchen

In der Literatur ist das einfach, da regiert des Autors Strafgericht. In den Buddenbrooks kann sich der Bankrotteur Bendix Grünlich noch einmal retten, weil an der Börse seine bevorstehende Heirat mit der hübschen Handelsherrentochter Tony ausgerufen wird. Ihr Unglück wird Grünlichs letzte Hausse, und was haben die Gläubiger gelacht über den erfolgsorientierten Brautvater, der sich nach alter Art Jean nennen lässt, aber nicht einmal die Bücher lesen kann! Die Tochter verkauft, des Anstands wegen, und dann großartig falliert! Geschäftsleute sind Gauner, heißt es bei Thomas Mann. Der noch viel energischer operierende Sohn tut es dem Vater später nach, als er seinerseits spekuliert, den Weizen "auf dem Halm" kauft und durch einen simplen Hagel alles verliert.

Mit wirtschaftlicher Vernunft, mit reinen Zahlen, mit einer klaren betriebswirtschaftlichen Analyse hat das nichts zu tun, auch wenn der Dax in seiner Sprunghaftigkeit 100.000 Analysten hervorgebracht hat und dazu den ubiquitären Herrn Müller, der unter der abschüssigen Dax-Kurve über Jahre sein gramzerfurchtes Gesicht machen durfte.

Wenn ich es richtig verstanden habe, wird an der Börse Geld eingesammelt für Investitionen. Wahrscheinlich weil sie nicht solide wirtschaftet, kann die Wirtschaft nicht wie andere Leute zur Bank gehen, um sich das nötige Geld zu borgen, sondern holt es sich an der Börse, die nicht lang fragt, sondern jedem gibt. Dabei ist sie launischer als jedes Flittchen und lässt sich noch bereitwilliger aushalten als die teuerste Mätresse.

Monopoly - aber in echt

Ein neues Wort ist dafür aufgekommen, das keiner versteht, aber dafür alles verzeiht. "Volatil" sei der Markt, unberechenbar, sagen die Analysten, wenn sie nicht weiter wissen. Die Vorstellung, dass ein auf Kamtschatka ausgelöster Niesreiz den Dax in die Tiefe stürzen lässt oder wenn jetzt Warren Buffett plötzlich stürbe, ist mir unheimlich.

Das Leben ist doch - gute Zeiten, schlechte Zeiten - auch so schon volatil genug, kann sich nicht wenigstens die Wirtschaft nach Plan verhalten, Rücklagen bilden, abschreiben, investieren, verkaufen und alles mit der bewährten doppelten Buchführung? Das ist, wie sich nicht erst in den letzten 25 Jahren erwiesen hat, naiv oder vielmehr zu erwachsen gedacht.

Das Kind im Manne, wie oft muss man den alten Croupier Nietzsche noch zitieren, will halt nicht denken oder rechnen, sondern spielen. Den wenigsten genügt Mensch-ärgere-dich-nicht, es muss Monopoly sein, aber in echt. Wenn also die Telekom eine Aktie zum Schnäppchenpreis von DM 28,50 begibt (das waren € 14,57), kann es sein, dass nicht nur der bestens versorgte Chef eines größeren, überwiegend rot und weiß gehaltenen Fußballvereins das Flackern in den Augen kriegt. Er möchte dabei sein, wenn die Kurse - sagt man das noch? - Phantasie entwickeln, also steigen, ins Unermessliche natürlich. "'s ist doch nur Spielgeld!" sagt sich der Neu-Aktionär und haut es raus wie nichts Gutes. Kann sein, dass es zurückkommt, kann auch nicht sein.

Während der Fußball-Chef im Zweifel gute Freunde hat, die ihm in der Not mit noch mehr Spielgeld aushelfen und dann auch noch rechtzeitig sterben, verpfändet der gewöhnliche Zocker Haus und Hof und den Cockerspaniel der Kinder, um weiter, immer weiter investieren zu können. Aber das wird schon wieder eine thomasmännische Moritat vom langsamen Aufstieg und noch schnelleren Niedergang.

Die Bibel und die Besserverdienenden: Wer hat, dem wird noch mehr gegeben

Wie gewonnen, so zerronnen, weiß der reimselige Volksmund, und der von der Telekom verführte Volksspekulant hat, womöglich um Steuern zu vermeiden, den verhassten Staat oder wenigstens den Haushalt saniert. Wenn er bei den traditionellen Marken geblieben wäre, bei der vor 25 Jahren nur mehr belächelten VW-Aktie, er wäre heute reich und nicht reingefallen. Aber gut, die Wirtschaft braucht Geld, sonst kann sie nicht investieren, und das Geld dafür streckt ihr der Kleinaktionär vor, der dumm genug ist, der neuesten Parole vom neuesten Gold-, Silber-, Öl-, Aluminium- oder Lederboom zu folgen.

Schon die Bibel meinte es gut mit den Besserverdienenden, denn Jesus lehrte seine Jünger mit Hilfe des Gleichnisses vom vergrabenen Talent das erste bis zehnte Gebot des Kapitalismus: Wer hat, dem wird noch mehr gegeben.

Geld ist besonders böse, wenn man keins hat, das weiß auch Sahra Wagenknecht. Gunter Sachs hat es da gleich besser angefangen. Der bekannteste, genau genommen der einzige Playboy Westdeutschlands, hat nicht immer den Mädchen nachgestellt, sondern eine Zeitlang ordentlich Mathematik studiert. Sein Geld, nicht wenig, verriet er deshalb nicht an der Börse, sondern schaffte es erst in die langweilige Schweiz, dann - honi soit qui mal y pense - auf die Jungferninseln. Sachs hatte eben genau die Phantasie, die der Kurs so oft vermissen lässt. Geholfen hat es ihm aber dann doch nichts.

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