Land in Sicht - aber auch jede Menge gefährlicher Klippen, die noch umschifft werden müssen: So lässt sich der jüngste Weltwirtschaftsausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenfassen, der am Dienstag in Washington vorgestellt wurde. Demnach wird sich die leichte konjunkturelle Erholung der vergangenen Wochen und Monate zwar mutmaßlich fortsetzen. Auf das gesamte Jahr 2023 gerechnet aber bleibt das globale Wachstum mit einem Plus von lediglich 2,8 Prozent weiter ungewöhnlich schwach. Erst 2024 könne die Zuwachsrate dann immerhin wieder drei Prozent erreichen, so der IWF, der im Auftrag der Staatengemeinschaft die weltweite Wirtschaftsentwicklung überwacht und Ländern in Geldnöten finanzielle Hilfen gewährt.
Dass die Konjunkturerholung nur recht schleppend vorankommt, ist laut Währungsfonds vor allem den Ländern Europas geschuldet, die stärker als andere mit den Folgen der Corona-Pandemie und den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu kämpfen haben. So wird das Wachstum in der Euro-Zone in diesem Jahr mit rund 0,8 Prozent aller Voraussicht nach gerade einmal halb so hoch ausfallen wie in den USA und Kanada.
Noch dürftiger sieht es in Deutschland und Großbritannien aus: Beide Staaten sind die einzigen unter den führenden Industrie- und Schwellenländern, denen der Währungsfonds für 2023 mit minus 0,1 beziehungsweise minus 0,3 Prozent sogar einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) voraussagt. Damit ist der IWF ein Stück weit pessimistischer als der Sachverständigenrat der Bundesregierung, der seine Wachstumsprognose für dieses Jahr erst jüngst von minus 0,1 auf plus 0,2 Prozent nach oben korrigiert hatte.
Auch 2024 dürfte das hiesige BIP-Plus in Deutschland mit geschätzt rund 1,1 Prozent recht niedrig ausfallen. Vor allem viele Schwellenländer wie China, Indien, Mexiko, Saudi-Arabien und sogar Russland können laut IWF-Prognose mit höheren Raten rechnen als die Bundesrepublik. Im Falle Chinas etwa erwarten die Experten für dieses und nächstes Jahr Zuwächse von 5,2 beziehungsweise 4,5 Prozent. Das wäre zwar im langjährigen Vergleich eher wenig, zeigt aber, dass die Volksrepublik ihre massiven coronabedingten Probleme langsam in den Griff bekommt.
Vor allem die Bankenbranche bereitet dem Währungsfonds Sorgen
Der Aufschwung in China ist auch einer der Pluspunkte, die der Währungsfonds mit Blick auf die gesamte Weltwirtschaft auf der Habenseite verbucht. Ein weiterer ist der nachlassende Druck auf die globalen Lieferketten sowie die Energie- und Lebensmittelmärkte, die durch den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Russland mit massiven Verwerfungen zu kämpfen gehabt hatten. Auch bei der allgemeinen Preisentwicklung zeichnet sich dem Bericht zufolge nach den drastischen Leitzinserhöhungen vieler Notenbanken eine leichte Entspannung ab. Für Deutschland etwa sagen die Washingtoner Ökonomen eine Inflationsrate von 6,2 Prozent in diesem und 3,1 Prozent im kommenden Jahr voraus. Auch die Arbeitslosenquote dürfte mit jeweils 3,3 Prozent auf sehr niedrigem Niveau verharren.
Weitaus größer als die Wachstumschancen sind allerdings die -risiken. So erweist sich die Inflation ungeachtet aller leichten Abwärtstendenzen als äußerst hartnäckig, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Notenbanken ihre Zinsen noch stärker werden anheben müssen als ohnehin geplant. Das wiederum könnte die Finanzbranche in neuerliche Schwierigkeiten bringen, die auf einem Berg niedrigverzinster und damit praktisch unverkäuflicher Staatsanleihen sitzt. Für sich genommen ist das eigentlich kein Problem. Es kann sich aber zu einem solchen entwickeln, wenn Kapitalanleger ihr Geld zurückverlangen und ein Kreditinstitut deshalb zu Anleiheverkäufen gezwungen ist.
Wie nervös die Finanzmärkte nach der Pleite der US-amerikanischen Silicon Valley Bank sind, zeigt der Fall des Traditionshauses Credit Suisse: Weil die internationalen Investoren der Bank nicht mehr trauten, geriet sie in Schieflage und wurde auf Druck der Schweizer Regierung von der Konkurrentin UBS übernommen. Ähnliches, so warnt der Währungsfonds, könne auch anderen Geldhäusern passieren, die sich zu hoch verschuldet oder zu stark auf kurzfristige Finanzierungsinstrumente gesetzt hätten. "Sie könnten das nächste Ziel werden - genau wie Länder mit vermeintlich schwachen wirtschaftlichen Fundamentaldaten", schrieb IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas in einem Aufsatz, der parallel zum neuen Weltwirtschaftsausblick veröffentlicht wurde.
Auch ein Szenario, in dem die Leitzinserhöhungen der Notenbanken zu einer Kapitalflucht aus vielen Schwellenländern, einem drastischen Anstieg des Dollar-Kurses und einem globalen Konjunktureinbruch führen, hält der Währungsfonds zwar für unwahrscheinlich, aber keineswegs für gänzlich ausgeschlossen. So oder so, sagt Gourinchas: "Der Nebel, der den Weltwirtschaftsausblick umgibt, ist deutlich dichter geworden."