Konjunktur:Ukraine-Krieg kostet Hunderte Milliarden an Wachstum

Konjunktur: Ein Schiff im Hamburger Hafen: Zu den Ländern, die die größten ökonomischen Kollateralschäden zu verarbeiten haben, zählt vor allem die Bundesrepublik.

Ein Schiff im Hamburger Hafen: Zu den Ländern, die die größten ökonomischen Kollateralschäden zu verarbeiten haben, zählt vor allem die Bundesrepublik.

(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der Internationale Währungsfonds korrigiert seine Prognosen für die Entwicklung der Weltwirtschaft deutlich nach unten. Leidtragende sind vor allem die Kriegsparteien selbst - und Deutschland.

Von Claus Hulverscheidt und Henrike Roßbach, Berlin

Noch weiß niemand, wie viel menschliches Leid Wladimir Putin und seine Truppen noch über die Ukraine bringen werden. Klar hingegen ist bereits: Der weltwirtschaftliche Schaden, den der russische Präsident mit seinem Überfall auf ein friedliches Nachbarland angerichtet hat, lässt sich schon jetzt nur noch mit hohen dreistelligen Milliardenbeträgen beziffern. Das zeigt der neue globale Konjunkturausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF), mit dem sich die 190 Mitgliedsländer der Institution diese Woche bei ihrer Frühjahrstagung in Washington beschäftigen werden. Zu den Teilnehmern zählt auch Bundesfinanzminister Christian Lindner, der am Dienstagabend Ortszeit in der US-Hauptstadt erwartet wurde.

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(Foto: SZ-Grafik; Quelle: IWF)

Nach den Schätzungen der IWF-Ökonomen wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr um lediglich 3,6 Prozent wachsen, das sind 0,8 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Prognose vor gerade einmal drei Monaten vorhergesagt. Auf den ersten Blick mag der Unterschied gering erscheinen. In absolute Zahlen umgerechnet bedeutet er jedoch, dass der Staatengemeinschaft allein in diesem Jahr gut 660 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung entgehen dürften. Damit fehlen auch Hunderte Milliarden an Löhnen, Steuereinnahmen und familieninternen Überweisungen, die dringend gebraucht würden, um die pandemiebedingten Wohlfahrtsverluste in aller Welt auszugleichen und die vielerorts gestiegene Armut entschlossen zu bekämpfen.

Opfer der Konjunkturschwäche sind zunächst einmal die Kriegsgegner selbst: Die Wirtschaftsleistung in der Ukraine wird laut IWF-Schätzung dieses Jahr um 35 Prozent einbrechen - ein Verlust, der, übertrüge man ihn auf Deutschland, kaum mehr vorstellbare 1,3 Billionen Euro ausmachen würde. Aber auch Putins Landsleute zahlen die Zeche für den Überfall: Statt um 2,8 Prozent zu wachsen, wie noch im Januar prognostiziert, dürfte die russische Volkswirtschaft wegen der Sanktionen des Westens 2022 um 8,5 Prozent schrumpfen.

Zu den Ländern, die die größten ökonomischen Kollateralschäden zu verarbeiten haben, zählt vor allem die Bundesrepublik, die laut IWF in diesem Jahr statt mit 3,8 nur noch mit 2,1 Prozent Wachstum rechnen kann. 2023 könnten es dann 2,7 Prozent sein. Ähnlich gravierend fällt die Abwärtsrevision nur für Italien aus, andere große Industriestaaten wie Frankreich, Japan und die USA kommen hingegen glimpflicher davon. Auch China muss sich auf ein - für Pekinger Verhältnisse - miserables Wachstum von lediglich 4,4 Prozent einstellen. Schuld ist allerdings weniger Wladimir Putin als die jüngste Welle der Corona-Pandemie in der Volksrepublik.

Mittelfristig befürchtet der IWF einen Zerfall der Weltwirtschaft in mehrere Machtblöcke

Zu den größten kurz- und mittelfristigen Konjunkturrisiken zählt der IWF neben der Pandemie vor allem die hohen Inflationsraten in Teilen der Welt, die sich wegen des Kriegs in der Ukraine sehr viel langsamer zurückbilden werden als bisher erwartet und die großen Zentralbanken zu drastischen Leitzinserhöhungen veranlassen könnten. Mittel- und langfristig gesehen befürchtet der Währungsfonds zudem einen Zerfall der Weltwirtschaft in mehrere Machtblöcke mit unterschiedlichen technologischen Standards, Zahlungsverkehrssystemen und Reservewährungen. "Eine solche ,tektonische Veränderung' zöge langfristige Effizienzverluste nach sich, würde mehr Schwankungen auslösen und stellte zudem jenes regelbasierte Rahmenwerk in Frage, auf dem die internationalen Wirtschaftsbeziehungen in den letzten 75 Jahren fußten", erklärte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas.

Die Folgen des Ukraine-Kriegs werden auch das Treffen der Finanzminister aus den führenden Industrie- und Schwellenländern (G 20) dominieren, das am Rande der IWF-Tagung stattfindet. Das Problem: Zu den G 20 zählt auch Russland, eine gemeinsame Abschlusserklärung der Gruppe ist deshalb "schwer vorstellbar", wie aus Kreisen der Bundesregierung verlautete. Im Vorfeld des Treffens hatte es dem Vernehmen nach längere Diskussionen gegeben, ob Vertreter Moskaus an den verschiedenen Gesprächsformaten in Washington teilnehmen werden und wie die anderen Staaten sich dazu verhalten sollen. Man wolle sich aber "die wichtige multilaterale Arbeit nicht direkt oder indirekt von Russland sabotieren lassen", hieß es in Berlin. Gleichzeitig dürften Lügen und Propaganda Moskaus aber auch nicht unkommentiert bleiben. Jenseits von Russland sei es "durchweg anerkannt", dass der Angriffskrieg nicht nur eine humanitäre Tragödie ausgelöst habe, sondern auch die eigentlich erwartete Erholung der Weltkonjunktur nach der Pandemie "maßgeblich" gefährde.

Neben dem Ukraine-Krieg werden in Washington auch eine Verbesserung der Pandemievorsorge sowie der Impfstoffverteilung Thema sein. Darüber hinaus soll es um den Umgang mit überschuldeten armen Staaten und den Klimaschutz gehen.

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