Süddeutsche Zeitung

IWF-Frühjahrstagung:Draghi sorgt sich um Unabhängigkeit der US-Notenbank

  • EZB-Präsident Mario Draghi zeigt sich bei der IWF-Tagung "besorgt um die Zentralbank-Unabhängigkeit in anderen Ländern" und meint damit vor allem die USA.
  • Es ist sehr unüblich, dass sich europäische Geldpolitiker in inneramerikanische Angelegenheiten einmischen - doch Trumps Umgang mit der Fed gehörte zu den meist diskutierten Themen des Treffens.
  • Draghi warnte vor diesem Hintergrund eindringlich vor einem Glaubwürdigkeitsverlust der Geldpolitik.

Von Cerstin Gammelin und Claus Hulverscheidt, Washington

Dass da jemand so richtig sauer war, hatte der Chef der US-Notenbank Fed wohl schon am Telefon gehört, jedenfalls setzte er sich nach dem Gespräch umgehend ins Flugzeug, um den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf dessen Privatgut zu besuchen. Doch der Versuch, die Wogen zu glätten, misslang: Nach kurzer Debatte blafften sich beide Herren gegenseitig an, schließlich schubste der mächtigste Mann der Welt den obersten Geldpolitiker des Landes gegen die Zimmerwand. 1965 war das, der Präsident hieß Lyndon B. Johnson, der Fed-Chef William Martin. Wenig später erhöhte Martin zum großen Ärger Johnsons die Leitzinsen.

Noch ist es nicht soweit, dass Donald Trump Jerome Powell körperlich attackieren würde. Doch der verbale Druck auf den Notenbankgouverneur, Trumps Wirtschaftspolitik durch Zinssenkungen gefälligst zu unterstützen, ist so groß geworden, dass selbst Dritte dem Treiben nicht länger wortlos zuschauen wollen. Er sei "besorgt um die Zentralbank-Unabhängigkeit in anderen Ländern - insbesondere in der wichtigsten Jurisdiktion der Welt", sagte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington - keine 600 Meter vom Weißen Haus entfernt. Auf die Frage, ob er die USA meine, antwortete er knapp: "Ja".

Es ist alles andere als üblich, dass sich europäische Geldpolitiker in inneramerikanische Angelegenheiten einmischen, doch auch andere führende Notenbanker bestätigten unter der Hand, dass Trumps Umgang mit der Fed zu den meistdiskutierten Themen des IWF-Treffens gezählt habe. Selbst im Abschlusskommuniqué findet sich ein Satz zum Thema, wenn auch diplomatisch verklausuliert: Zentralbankbeschlüsse, heißt es in dem Papier, müssten auch künftig "auf der Basis von Fakten getroffen werden" - was umgekehrt bedeutet: Sie dürfen nicht das Ergebnis politischen Diktats sein. Gut möglich, dass sich US-Finanzminister Steven Mnuchin noch eine verbale Watschn Trumps einfangen wird, weil ihm die Spitze, die andere in die Erklärung gemogelt hatten, nicht auffiel.

Seit ihrer Entstehung vor mehr als einem Jahrhundert müssen sich Notenbanken in aller Welt gegen Versuche zur Wehr setzen, sie zum Erfüllungsgehilfen nationaler Regierungen zu degradieren. Mit der Finanz- und der Eurokrise vor einigen Jahren erhielt das Problem eine völlig andere Dimension. Die Zentralbanken schlugen neue Wege ein, um die Preise stabil und die Arbeitslosigkeit möglichst niedrig zu halten sowie Wirtschaft, Banken und ganze Währungsräume vor einem Fiasko zu bewahren. Damit machten sie sich jedoch zugleich politisch angreifbar, weil ihre Entscheidungen plötzlich massive Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit ganzer Länder und die Wohlstandsverteilung hatten. Der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) etwa wetterte, Draghi sei wegen der Nullzinsen für deutsche Sparer mitschuldig am Aufstieg der AfD. Der jetzige CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, bezeichnete den Italiener gar als "Falschmünzer". Auch andernorts standen und stehen Notenbanken unter massivem politischem Druck, etwa in Indien und der Türkei.

Auch in Indien oder der Türkei stehen Notenbanken unter politischem Druck

Draghi warnte in Washington vor einem Glaubwürdigkeitsverlust der Geldpolitik: "Wenn Zentralbanken nicht unabhängig sind, werden die Menschen denken, dass sie ihre Beschlüsse von politischen Ratschlägen abhängig machen und nicht von objektiven Bewertungen der wirtschaftlichen Entwicklung." Zwar sei bislang nicht erkennbar, dass Trumps Druck auf die Fed direkte ökonomische Auswirkungen habe. Das müsse jedoch nicht so bleiben. "Kann ich ausschließen, dass es sich auswirkt? Nein, kann ich nicht", sagte der EZB-Chef.

Effekte auf die Geldpolitik in Europa erwartet Draghi aber nicht. "Ich sehe nicht, wie das, was in den USA vor sich geht, die Unabhängigkeit der EZB beeinflusst", betonte er. Die Europäische Zentralbank arbeite in einem ganz anderen Kontext, "wir haben 19 Regierungen und 19 Länder, mit denen wir auskommen müssen." Da müsse man völlig unabhängig arbeiten, "sonst muss man den einen Tag dem einen Land folgen und den anderen Tag dem nächsten. Das geht nicht, da mache ich mir keine Sorgen". Er habe nie das Gefühl gehabt, "dass die Unabhängigkeit in Gefahr war".

Anders sieht das in den USA aus, wo sich Trump nach seinem Wahlsieg die seltene Möglichkeit bot, gleich fünf der sieben Vorstandsposten bei der Fed neu zu besetzen. Doch die Kandidaten, die er zunächst wählte, waren entweder erfahrene, eher moderate Geldpolitiker, die den Kurs ihrer Vorgänger fortsetzen, oder aber sie fielen bei der Anhörung im Senat durch. Ergebnis war, dass die Notenbank das Gegenteil dessen tat, was sich der Präsident erhofft hatte: Sie hob ihren wichtigsten Leitzins mehrfach an, um eine Überhitzung der Konjunktur zu verhindern. Trump dagegen, der sich um geldpolitische Fragen nicht schert, will seine Wähler durch höchstmögliche Wachstumsraten beeindrucken. Für wie ungehörig er das Verhalten der Notenbank erachtet, machte der Präsident am Sonntag erneut deutlich - wie so oft über den Kurzmitteilungsdienst Twitter: "Wenn die Fed ihre Arbeit ordentlich gemacht hätte, was sie nicht getan hat, läge der Aktienindex um 5 000 bis 10 000 Punkte höher, und das Bruttoinlandsprodukt wäre um deutlich mehr als vier statt nur um drei Prozent gewachsen", klagte er. Die Politik der Währungshüter - die von unabhängigen Experten überwiegend gutgeheißen wird - sei "ein Killer" gewesen.

Um die Fed doch noch zu einer Wende zu zwingen, will der Präsident nun die beiden letzten vakanten Vorstandsposten mit willfährigen Gefolgsleuten besetzen: dem Außenseiter-Ökonomen Stephen Moore, dem selbst George W. Bushs früherer Chefvolkswirt Gregory Mankiw "mangelndes intellektuelles Gewicht" bescheinigte, und dem Manager Herman Cain, der einst eine Pizza-Kette leitete und 2012 seine Präsidentschaftsbewerbung nach Vorwürfen sexueller Belästigung abblasen musste. Beide haben - bei deutlich niedrigerem Wachstum, aber zu Zeiten des Präsidenten Obama - stets Leitzinserhöhungen gefordert. Jetzt verlangen sie - bei starkem Wachstum, aber unter Trump - Zinssenkungen. Immerhin: Von den 53 republikanischen Mitgliedern des Senats haben bereits vier öffentlich erklärt, dass sie zumindest Cain nicht mittragen wollen. Damit hat dieser derzeit keine Mehrheit.

Draghi betonte, wenn Zentralbanker nicht das täten, was Politiker forderten, heiße das nicht, dass sie ihnen nicht zuhörten. Die Maßnahmen der Zentralbank könne man vielmehr als eine Antwort lesen, die halt manchmal anders ausfalle als von den Regierenden erhofft. "Es besteht ein großes Risiko für Sinnestäuschungen."

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SZ vom 15.04.2019/vit
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