Süddeutsche Zeitung

Prognose 2020:Weltwirtschaft hat sich stabilisiert - und bleibt anfällig

  • Der IWF rechnet für 2020 mit weltweiten Wachstumsraten von 3,3 Prozent.
  • Für einige Länder hat der Währungsfonds seine letzten Vorhersagen aber noch einmal nach unten korrigiert - darunter Deutschland.
  • Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssten die Staaten besser zusammenarbeiten und auf nachhaltige Themen wie Klimaschutz und Bildung setzen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Ein Silberstreif - mehr aber auch nicht: Glaubt man dem Internationalen Währungsfonds (IWF), dann hat sich die Lage der Weltwirtschaft nach dem deutlichen Abwärtstrend des abgelaufenen Jahres in den vergangenen Wochen ein wenig stabilisiert. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt der IWF in seinem neuen globalen Konjunkturausblick, der an diesem Montag unmittelbar vor Beginn des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos vorgestellt wird. Eine Rückkehr zu den teils hohen Wachstumsraten früherer Jahre erwarten die Experten allerdings vorerst nicht.

Stabilisierend wirken nach den Worten von IWF-Chefökonomin Gita Gopinath unter anderem die lockere Geldpolitik der führenden Notenbanken sowie die erste Teilvereinbarung im amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt, die beide Seiten in der vergangenen Woche besiegelt hatten. Auch die Tatsache, dass Großbritannien nun wohl doch geordnet und nicht ohne Abkommen mit Brüssel aus der Europäischen Union (EU) ausscheiden werde, sei positiv, sagt Gopinath. Da aber etwa der Handelsstreit der USA mit China und der EU jederzeit wieder aufflammen könne, sei die Lage insgesamt weiterhin fragil. "Es ist deshalb wichtig, dass die politischen Entscheidungsträger keinen weiteren Schaden anrichten und die bestehenden Unsicherheiten über den Kurs der Politik beseitigen", erklärte die Chefvolkswirtin in einer vorab verbreiteten schriftlichen Stellungnahme, ohne führende Politiker beim Namen zu nennen.

Dass von einer echten Trendwende noch keine Rede sein kann, zeigt der Umstand, dass der IWF einen Teil seiner Prognosen für einzelne Länder und Regionen im Vergleich zur letzten Vorhersage im Oktober noch einmal nach unten korrigiert hat - wenn auch nur sehr leicht. Für Deutschland etwa erwartet der Fonds nun Wachstumsraten von 1,1 Prozent in diesem und 1,4 Prozent im nächsten Jahr - das sind für 2020 noch einmal 0,1 Punkte weniger als bei der Schätzung im Oktober. Im Vergleich zur Prognose vom vergangenen Juli, also vor gerade einmal sechs Monaten, beträgt das Minus sogar 0,6 Punkte. Das mag für manche nach einer Petitesse klingen, bedeutet aber, dass die gesamtwirtschaftliche Leistung um rund 22 Milliarden Euro niedriger ausfallen könnte als zunächst von Politik und Unternehmen erwartet.

Vor allem Indien bereitet den Ökonomen Sorgen

Die Wirtschaft in der gesamten Euro-Zone wird laut IWF etwa im Einklang mit der deutschen zulegen, zu den Wachstumstreibern zählt weiter Spanien, zu den Schlusslichtern Italien. Auf weniger Wachstum müssen sich auch die USA einstellen - allen Prahlereien Trumps zum Trotz: Hier sagt der IWF für 2020 und 2021 Zuwächse von 2,0 beziehungsweise 1,7 Prozent voraus. Zu den Gründen für den Rückgang zählen die vom Präsidenten höchstselbst angezettelten Handelskonflikte mit China, der EU und anderen bedeutenden Partnern, sowie der Umstand, dass die Sondereffekte der massiven Unternehmenssteuersenkung vom Jahr 2018 langsam auslaufen. Auch in China dürfte sich die Situation auf niedrigerem Niveau als bislang stabilisieren: Für 2020 erwarten die Experten ein Plus von sechs, für 2021 von 5,8 Prozent.

Sorgenkind Nummer eins unter den großen Schwellenländern ist derzeit Indien, wo sich das Wachstum wegen der schwächelnden Nachfrage binnen weniger Jahre von neun auf 4,8 Prozent halbiert hat. Zwar sagt der Fonds nun für dieses und nächstes Jahr wieder Zuwächse von 5,8 beziehungsweise 6,5 Prozent voraus. Das ist jedoch jeweils rund ein Punkt weniger als noch im Oktober erwartet und dürfte die Bemühungen der Regierung in Delhi erschweren, die Armut im Land weiter zu lindern.

Für die gesamte Weltwirtschaft rechnet der IWF unter dem Strich mit Wachstumsraten von 3,3 und 3,4 Prozent. Das bedeutet im Vergleich zur letzten Schätzung in beiden Fällen eine geringfügige Abwärtskorrektur.

Zu den weiter bestehenden Risiken, die die globale Konjunkturentwicklung spürbar belasten könnten, zählt der IWF neben dem Wiederaufflammen des Handelsstreits vor allem geopolitische Konflikte wie der zwischen den USA und Iran. Derlei Auseinandersetzungen könnten den Ölpreis in die Höhe treiben und die Investitionslust der Unternehmen schmälern, sagt Gopinath. Zu den weiteren Risikofaktoren zählt die Ökonomin unter anderem wetterbedingte Naturkatastrophen.

Kein Platz für "Selbstzufriedenheit"

Um die vielen Probleme in den Griff zu bekommen, hält der Währungsfonds eine sehr viel stärkere internationale Zusammenarbeit für notwendig. Zudem müssten die Entscheidungsträger in den einzelnen Ländern Maßnahmen ergreifen, "die eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zum Nutzen aller" befördern. Staaten mit finanziellem Spielraum etwa - gemeint sind, wie schon in früheren Berichten, vor allem Deutschland und Südkorea - müssten diesen nutzen, um in die Bildung sowie den Klimaschutz zu investieren und damit die langfristigen Wachstumsperspektiven zu verbessern.

Hinzukommen müssten Strukturreformen, der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, ein entschlossener Kampf gegen den Klimawandel sowie ein internationales Steuersystem, das auch im Zeitalter der Digitalisierung dafür sorge, dass sich alle Unternehmen in angemessener Höhe an der Finanzierung des Allgemeinwohls beteiligten und jeder Staat seine Einnahmen bekomme. Es ist aus Sicht des IWF also viel zu tun. Was es dagegen nicht gebe, sagt Gopinath, sei "Raum für Selbstzufriedenheit".

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SZ vom 21.01.2020/mxh
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