Inflation:IWF warnt vor "perfektem Sturm"

Inflation: In Großbritannien wird das Benzin knapp, in Deutschland aufgrund der Inflation immer teurer. Noch haben Verbraucher aber keine Angst vor einer dauerhaften Verteuerung.

In Großbritannien wird das Benzin knapp, in Deutschland aufgrund der Inflation immer teurer. Noch haben Verbraucher aber keine Angst vor einer dauerhaften Verteuerung.

(Foto: Michael Probst/AP)

Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass sich der jüngste massive Preisauftrieb 2022 wieder abschwächt. Er stellt Regierungen und Notenbanken jedoch auf einen "Tanz auf dem Hochseil" ein.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Kein Grund zur Panik, wohl aber zur größten Vorsicht: Das ist das Ergebnis einer Analyse, die der Internationale Währungsfonds (IWF) angesichts der massiv gestiegenen Inflationsraten in vielen Staaten der Erde am Mittwoch vorgelegt hat. Stand jetzt, gehen die IWF-Ökonominnen und Ökonomen davon aus, dass der Preisauftrieb in den Industrieländern im Herbst mit durchschnittlich 3,6 Prozent seinen Höhepunkt erreichen und sich bis Mitte 2022 wieder auf dem erwünschten Niveau von etwa zwei Prozent einpendeln wird. Sicher aber sei das nicht: Die Notenbanken und Regierungen weltweit müssten deshalb die Lage genau beobachten, klare Kriterien für ein staatliches Eingreifen definieren und notfalls konsequent gegensteuern.

Die Frage, ob der Preisauftrieb nur eine vorübergehende Folge der Pandemie und des Wiederaufschwungs der Wirtschaft ist oder ob der Welt eine dauerhafte Rückkehr der Inflation droht, ist die wohl drängendste, die derzeit unter Ökonomen debattiert wird. In den USA liegen die Verbraucherpreise seit April Monat für Monat um mindestens fünf Prozent über dem jeweiligen Vorjahreswert. Damit ist die Teuerungsrate fast drei Mal so hoch wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. In Deutschland lag die Inflation zuletzt bei 4,1 Prozent und damit so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Sowohl die Europäische Zentralbank als auch die US-Fed stützen die Konjunktur derzeit noch mit Nullzinsen und milliardenschweren Anleihekäufen.

Bisher halten sich in der Debatte Inflationsmahner und -beschwichtiger die Waage. Auch der IWF räumt ein, dass es derzeit kaum möglich sei zu sagen, ob die Warnungen vor einer dauerhaften Preiswende nun gerechtfertigt sind oder nicht. Aus Sicht der Volkswirte spricht zunächst einmal einiges dafür, dass der jüngste Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sowie die vielen Lieferengpässe der großen Nachfrage nach mehr als einem Jahr pandemiebedingter Konsumzurückhaltung geschuldet sind. Demnach wäre das Problem in dem Moment gelöst, da die Wirtschaft wieder die Kapazitäten hat, die gewünschten Produkte anzubieten. Auch gebe es bisher keine Anzeichen für eine "Entankerung der Inflationserwartungen" von Firmen, Bürgern und Finanzmärkten.

Kommt es zu einer Lohn-Preis-Spirale, müssen die Notenbanken auf die Bremse treten

Die sperrige Formulierung klingt nach akademischer Theorie, tatsächlich aber sind die Inflationserwartungen in der Debatte der Schlüssel. Ein echtes Teuerungsproblem nämlich entsteht aller Erfahrung nach erst dann, wenn Arbeitnehmer und Unternehmen beginnen zu glauben, dass wirklich auf Dauer mehr Inflation droht. Die Gewerkschaften verlangen dann deutlich höhere Gehälter, die Betriebe heben in Erwartung höherer Kosten die Preise an. So kommt, gewissermaßen aus sich selbst heraus, jene Lohn-Preis-Spirale in Gang, die die Notenbanken zwingt, mit Leitzinserhöhungen auf die Bremse zu treten.

Noch, so der IWF, sei es nicht so weit. Aber: Es könne auch niemand ausschließen, dass sich die vielen kleinen Einzelprobleme, die jetzt zum Preisauftrieb beitrügen, zum "perfekten Sturm" entwickelten. Folge wäre eine "deutlich höhere Inflation, als im Basisszenario vorhergesagt". Seien nämlich die Erwartungen erst einmal entankert, "kann es sehr rasch zu einem Inflationsanstieg kommen, der sich nur mit hohen Kosten wieder stoppen lässt".

Um das zu verhindern, müssen sich Regierungen und Notenbanken aus Sicht des IWF auf einen "Tanz auf dem Hochseil" einstellen, bei dem es darum gehe, einerseits die Konjunkturhilfen nicht vorschnell zu kappen, zugleich aber bei steigendem Inflationsdruck rasch zu reagieren. Die Notenbanken müssten vor allem rechtzeitig und klar kommunizieren, welche Preisdaten, Umfrageergebnisse, Wechselkursverschiebungen und sonstige Kriterien für ein Auslaufen der Konjunkturhilfen oder gar eine Erhöhung der Leitzinsen maßgeblich seien. Und auch die Regierungen stehen in der Pflicht: Um die Inflationsgefahr einzudämmen, sollten sie laut IWF nach Überwindung der wirtschaftlichen Corona-Folgen zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik zurückkehren.

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