Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Ein Freispruch voller Misstrauen

Kristalina Georgiewa bleibt trotz ihrer möglichen Verwicklung in eine Datenaffäre bei der Weltbank Chefin des IWF. Die Entscheidung ist richtig - und hinterlässt dennoch nur Verlierer.

Von Claus Hulverscheidt

Kristalina Georgiewa bleibt im Amt, die Führungskrise beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist vorbei, die Spitzengremien haben "volles Vertrauen" in die Chefin. Wüsste man es nicht besser, man müsste vermuten, die Mitteilung des IWF von Dienstag sei Satire, eine böse, kleine Spitze. Denn wenn die 190 Mitgliedsstaaten des Fonds nach Wochen der Verdächtigungen eines nicht mehr haben in Georgiewa, dann ist es volles Vertrauen. Zu schwer wiegen die Vorwürfe gegen die 68-Jährige, die in ihrer Zeit als Hauptgeschäftsführerin der Weltbank an Datenmanipulationen zugunsten Chinas beteiligt gewesen sein soll.

Dennoch war es richtig, an Georgiewa festzuhalten. Denn es gab zwar Indizien, dass sie an jenem mutmaßlichen Deal beteiligt war, bei dem die Volksrepublik der lang ersehnten Erhöhung des Weltbank-Grundkapitals zustimmte und dafür im einst renommierten Doing-Business-Report der Institution übertrieben positiv dargestellt wurde. Hieb- und stichfeste Beweise aber fanden sich nicht. Zudem bestreitet die IWF-Chefin alle Vorwürfe vehement, die eine Anwaltskanzlei gegen sie zusammengetragen hat. Am Ende stand Aussage gegen Aussage, und das bedeutet: im Zweifel für die Angeklagte.

Geriete der IWF in den Verdacht der Käuflichkeit, könnte er die Arbeit einstellen

Vorbei allerdings ist damit gar nichts, denn der wochenlange Streit hat das Renommee von IWF und Weltbank, vor allem aber das der amtierenden Fonds-Chefin, beschädigt - vielleicht sogar irreparabel. Die korrekte volkswirtschaftliche Analyse, die rein faktenbasierte, absolut unbestechliche Ausarbeitung ökonomischer Berichte und Prognosen gehören zu den Kernaufgaben der Schwester-Institutionen. An den Daten hängen staatliche Entwicklungshilfezahlungen, private Investitionen, ja die Schicksale von Regierungen. Geriete der IWF auch nur in den Verdacht, er lasse hier mit sich handeln oder sei gar zu Geschäften bereit - er könnte die Arbeit einstellen.

Schwer wiegt auch, dass mit den USA ausgerechnet der größte Anteilseigner mit Macht auf Georgiewas Rauswurf drang. Wie soll da künftig noch jene enge, intensive Zusammenarbeit zwischen der IWF-Chefin und der US-Regierung möglich sein, ohne die der Fonds praktisch gelähmt ist? Eine solche Lähmung aber wäre gerade in Zeiten einer globalen Gesundheitskrise verheerend, denn auch wenn man es im reichen Westen nicht mitbekommt: In weiten Teilen der Welt sind es mehr oder weniger allein IWF und Weltbank, die die Regierungen im Kampf gegen die Pandemie und deren wirtschaftliche Folgeschäden unterstützen.

Womöglich wollten die USA nur von der Verantwortung Kims ablenken

Beschädigt hat der Streit aber auch die USA und die Europäer, die seit Jahrzehnten eifersüchtig um Einfluss bei IWF und Weltbank rangeln. Sehr auffällig ist etwa, dass die USA von Beginn an Georgiewa zur Schuldigen der Affäre erklärten, während der Name Jim Yong Kim kaum auftauchte. Dabei gibt es auch Hinweise darauf, dass die Manipulationen im Büro des amerikanischen Staatsbürgers Kim ausgeheckt worden sein könnten, der als damaliger Weltbankpräsident Vorgesetzter der Bulgarin war. Und vielleicht ärgert es die USA auch, dass Georgiewa den Fonds gerade in der Pandemie noch weiter für Entwicklungsländer geöffnet hat und die Weltbank mit ihrem heutigen amerikanischen Präsidenten David Malpass damit ein wenig in den Schatten stellt.

Auf der anderen Seite speist sich auch die Unterstützung der Europäer für die IWF-Chefin weniger aus vollem Vertrauen und Wertschätzung für ihre insgesamt gute Arbeit beim Fonds, sondern mehr aus Not: Die EU-Staaten hatten Georgiewa nicht nur 2019 ins Amt gehievt, sie hätten vielmehr bei einem Rauswurf auch befürchten müssen, ein für allemal ihr Gewohnheitsrecht einzubüßen, wonach der Fonds immer von einer Europäerin oder einem Europäer geführt wird.

So oder so, Fakt bleibt: Ein hochpolitischer Deal mit China, wie er bei der Weltbank wohl stattgefunden hat, wird nicht von kleinen Beamten eingefädelt. Es ist im Gegenteil sehr wahrscheinlich, dass Kims oder Georgiewas Büro davon wussten - oder gar die Chefs persönlich. Insofern ist die Entscheidung, die IWF-Chefin im Amt zu belassen, nicht mehr als ein Freispruch zweiter Klasse. Oder anders gesagt: ein Freispruch voller Misstrauen.

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