Süddeutsche Zeitung

IWF-Chefposten:Brüsseler Zweikampf

Die Finanzminister der EU können sich lange nicht auf einen Kompromiss-Kandidaten für den Chefposten beim IWF einigen. Es kommt zur Abstimmung zwischen zwei Kandidaten.

Von Alexander Hagelüken und Matthias Kolb, Brüssel/München

Genau einen Monat ist es her, dass die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Sondergipfel in Brüssel Ursula von der Leyen als neue Chefin der Kommission vorgeschlagen hatten - und sich als Teil des Personalpakets darauf einigten, die Französin Christine Lagarde zur Nachfolgerin von Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) zu machen. Damit war am 2. Juli klar, dass es bald zum Kampf um den nächsten Top-Posten kommen würde: den Chefposten beim Internationalen Währungsfonds (IWF), den Lagarde seit 2011 innehatte.

Die Führung des IWF in Washington ist seit den 1950er Jahren in europäischer Hand. Aufstrebende Schwellenländer wie China fordern seit längerem, einen Präsidenten aus ihren Reihen zu benennen. Das lehnen die Europäer ab und werden dabei von den USA unterstützt, die traditionell den Chefposten der Weltbank besetzen. "Es ist ein europäischer Anspruch, wieder den Präsidenten des IWF zu benennen", sagte kürzlich Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Das Amt sollen nun entweder die Bulgarin Kristalina Georgiewa oder der Niederländer Jeroen Dijsselbloem übernehmen. Die Entscheidung der EU-Finanzminister stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht fest. Der Freitag war geprägt durch ein stundenlanges Ringen, nachdem Frankreich eine Abstimmung durchgesetzt hatte. Finanzminister Bruno Le Maire war mit der Koordinierung beauftragt worden, die bis Ende Juli abgeschlossen sein sollte. Doch er konnte keinen Konsenskandidaten präsentieren. Zuletzt schaltete sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz ein, aber auch der konnte bis Freitagmorgen nicht dazu beitragen, die Uneinigkeit die zentralen Euro-Staaten Frankreich und Deutschland zu überwinden.

Die Briten enthalten sich. Als Favorit galt lange der ehemalige niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, der bis 2018 Chef der Eurogruppe und Sozialdemokrat ist. Deutschland unterstützte ihn, doch gegen den 53-Jährigen gab es Widerstand aus Südeuropa. In Griechenland und Italien sieht man ihn als Vertreter der ungeliebten Sparpolitik in der Eurokrise.

Was Dijsselbloem in den Augen vieler für den IWF-Job qualifiziert, ist nicht nur seine Zeit als niederländischer Finanzminister. Als Chef der Eurogruppe stieß er mit seiner direkten Art zwar zuweilen auf Unverständnis. In einem Interview erklärte er mal: "Ich kann nicht mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend Sie um Ihre Unterstützung bitten". Er wollte damit ausdrücken, dass Solidarität in einer Währungsunion mit Pflichten einhergeht, doch weil südeuropäische Politiker das Zitat auf ihre Länder bezogen, erntete er einen Shitstorm.

Dijsselbloem lernte aber auch bald die Kunst der Moderation - ohne seine stabilitätspolitische Haltung aufzugeben. Er sanierte den Haushalt in seinem Heimatland und war so glaubwürdig, wenn er auch von anderen Eurostaaten Sparanstrengungen forderte. Frankreich und die Osteuropäer hingegen unterstützen die Christdemokratin Georgiewa, die bis 2017 Vizechefin der EU-Kommission war. Die amtierende Weltbank-Geschäftsführerin war auch als Chefin der EU-Kommission im Gespräch. Die bulgarische Ökonomin gilt als sehr kompetent, doch sie hat ein Problem: Sie wird bald 66 und hat daher bereits die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten, die beim IWF für den Chefposten gilt. Le Maire hatte dafür geworben, sich beim IWF für die Abschaffung der Altersgrenze einzusetzen, war damit aber auch in Berlin auf Skepsis gestoßen.

Ursprünglich waren fünf Bewerber im Rennen, doch bereits am Donnerstagabend hatte der Portugiese Mário Centeno zurückgezogen. Als die Beratungen der 28 Finanzminister am Morgen begannen, standen neben Dijsselbloem und Georgiewa noch der finnische Zentralbank-Chef Olli Rehn sowie Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zur Wahl. Mittags zog sich denn Calviño zurück, um so eine europäische Einigung zu erleichtern. Einige Stunden später sah auch der Finne Rehn ein, dass er chancenlos war. Er hatte Anfang Juli schon seine Hoffnungen auf den Chefsessel der EZB begraben müssen, da Lagarde zum Zug kam.

Wer immer von November an Chef des Internationalen Währungsfonds wird, trifft auf eine veränderte Organisation. Der IWF wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit der Weltbank gegründet. Er soll das internationale Währungssystem stabilisieren, frühzeitig die Entstehung von Finanzkrisen erkennen und Ländern in Zahlungsschwierigkeiten helfen. Lange galt der IWF als kalte Faust des Kapitalismus. In der Asienkrise Ende der 1990er Jahre warf man ihm vor, er habe den betroffenen Staaten Hilfe nur unter der Bedingung harter Sparprogramme und restriktiver Geldpolitik gewährt.

In den vergangenen 20 Jahren wandelte sich der IWF deutlich. Er kümmerte sich zunehmend um Themen wie Gleichstellung und Ungleichheit. Er propagiert höhere Steuern für Besserverdiener, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Marktliberale kritisieren solche Ideen scharf. Andere Beobachter kritisieren, der IWF vernachlässige sein Kerngeschäft. So mache er keine Vermittlungsvorschläge im Handelsstreit zwischen den USA und dem Rest der Welt. Für seine fundierten ökonomischen Analysen wird der Währungsfonds bei Fans und Skeptikern aber weiterhin geschätzt.

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SZ vom 03.08.2019
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