IWF-Bericht über Deutschland:Aufschwung durch Inflation

Lesezeit: 2 min

Bisher hat der Internationale Währungsfonds Deutschlands Sparkurs stets kritisiert. Nun kommt ein überraschendes Lob aus Washington: Der IWF stellt Bundesfinanzminister Schäubles Politik ein gutes Zeugnis aus - fordert aber weitere Reformen.

Nikolaus Piper, New York

Die Berichte des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Wirtschafts- und Finanzpolitik seiner 189 Mitglieder sind traditionell eine Übung in Diplomatie, Höflichkeit und Unklarheit. Die Regierung des betreffenden Landes wird selten offen kritisiert; wenn es Kritik gibt, wird sie in nett formulierte Empfehlungen verpackt; außerdem kommt die Regierung selbst ausführlich zu Wort.

Das Container-Terminal in Bremerhaven: IWF sieht Risiken bei der deutschen Konjunktur. (Foto: dapd)

Selbst wenn man dies in Rechnung stellt, ist der jüngste Deutschland-Bericht des IWF ungewöhnlich positiv ausgefallen. Bisher wurden die Deutschen in internationalen Gremien oft gescholten. Sie seien zu sparsam und bauten ausschließlich auf die Kraft ihrer Exporte. Davon ist bei den IWF-Experten nur noch wenig zu hören: In Deutschland gebe es inzwischen die Bedingungen für einen "von der heimischen Nachfrage getriebenen Aufschwung", heißt es in dem Papier. Die Haushaltspolitik von Finanzminister Wolfgang Schäuble sei "angemessen", die gute Verfassung des Arbeitsmarkts stärke die Binnennachfrage. Kräftige Lohnerhöhungen und der Anstieg der Vermögenswerte (vor allem Immobilien) trügen zum Abbau der Ungleichgewichte in der Euro-Zone bei.

Euro-Krise und steigende Ölpreise gefährden den Aufschwung

Das größte Risiko für die deutsche Wirtschaft sieht der Währungsfonds in der weiteren Verschärfung der Euro-Krise. Aber auch die Abschwächung der Weltkonjunktur und ein steiler Anstieg der Ölpreise könnten den Aufschwung gefährden. Insgesamt schätzt der Fonds die Lage in Deutschland in diesem Jahr mit einer Prognose von 1,0 Prozent Wachstum etwas besser ein als noch im April (0,6 Prozent). Für 2013 nimmt er die Prognose leicht von 1,5 auf 1,4 Prozent zurück, was statistisch kaum ins Gewicht fällt.

Der IWF bereitet die Deutschen auch darauf vor, dass die Inflation auf absehbare Zeit in Deutschland über dem Durchschnitt der Euro-Zone liegen wird. Das sei aber kein Problem, sondern ein Beitrag, um die Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem Zentrum und der Peripherie der Euro-Zone - also Ländern wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien - zu schließen.

Der Bericht ist das Ergebnis des Besuchs einer IWF-Delegation in Deutschland von Ende April bis Anfang Mai. Die Experten des Fonds sprachen auch mit Finanzminister Schäuble und dem Präsidenten der Bundesbank, Jens Weidmann.Trotz des positiven Bildes fordert der Fonds Reformen in der Bundesrepublik. Das betrifft in erster Linie den Bankensektor. Die deutschen Banken müssten ihre Risiken im internationalen Geschäft besser verstehen und in ihren Bilanzen berücksichtigen.

Notwendig sei eine verbesserte grenzüberschreitende Bankenaufsicht. Die Landesbanken müssten beschleunigt restrukturiert und ihr Geschäftsmodell erneuert werden. Sowohl das Krisenmanagement als auch das System der Einlagensicherung bedürften der Reformen. Die Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hatte zuvor in einem Interview der Süddeutschen Zeitung eine europäische Garantie für Geldeinlagen bei Banken, eine europäische Bankaufsicht und einen europäischen Schuldentilgungsfonds gefordert.

Indirekt fordern die Fonds-Experten Deutschland auf, seine Rolle in der Welt aktiver wahrzunehmen. "Wenn die gemeinsame Vision in der Wirtschafts- und Währungsunion für deren Architektur nach der Krise deutlicher artikuliert wird, trägt sie dazu bei, Marktvertrauen zu erneuern." Insgesamt solle Deutschland mehr tun, um Wachstum zu fördern: mehr Menschen in Arbeit bringen, die "Qualität des Humankapitals verbessern" - also mehr in Bildung und Ausbildung investieren-, und die "Produktivität des Dienstleistungssektors" zu erhöhen. Gemeint ist mit dieser Formulierung: Viele Handwerksregeln sollen fallen, damit sich die Märkte für Klempner, Friseure und andere Berufe öffnen können.

© SZ vom 04.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: