Italien vor der Wahl:Das Geld fehlt, doch die Politiker geben immer neue Versprechen

FILE PHOTO - Italy's former PM Berlusconi gestures during the television talk show 'Porta a Porta' in Rome, Italy.

Silvio Berlusconi ist wieder im Rennen. Mit seinen Wahlversprechen schießt er den Vogel ab.

(Foto: REUTERS)
  • Die italienische Wirtschaft erholt sich nur langsam von der Krise, dennoch übertrumpfen sich die Parteien im Wahlkampf mit teuren Versprechen.
  • Das ist risikoreich, denn jeder falsche Schritt das Land wieder an den Abgrund einer Schuldenkrise drängen.

Von Ulrike Sauer, Rom

Der ärgste Feind der italienischen Wirtschaft ist ein Berg aus 2256 Milliarden Euro. So hoch sind die Staatsschulden, die das Land angehäuft hat. 30 Jahre haben die Italiener diese wachsende Last verdrängt. Und nun das: Auf einmal wollen alle Parteien die Schuldenquote, die derzeit 131,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreicht, abbauen. Um 11, 12, 20 oder gar 40 Prozentpunkte. Es scheint so, als blickten die italienischen Politiker ausgerechnet im Wahlkampf endlich der kruden Realität ins Auge. Ein Mirakel.

Das Wunder ist in Wirklichkeit eine billige Täuschung. Die Wahlprogramme stellen allesamt kein Ende der Neuverschuldung in Aussicht, sondern sein Gegenteil: eine zügellose Ausgabenorgie. Versprochen wird zum Beispiel, nach der Parlamentswahl am 4. März die Steuern auf einen einheitlichen Satz von 15 Prozent zu senken, die Renten anzuheben oder kostenlose Kitas bereitzustellen. Auch die Kfz-Steuer soll abgeschafft, die Rundfunkgebühr gestrichen werden. Einige versprechen das Grundeinkommen für alle oder das Kindergeld für Familien. Andere kündigen an, einschneidende Reformen zurückzudrehen und Steuersünder zu amnestieren. An der Show beteiligen sich alle großen Parteien, mehr oder minder hemmungslos. Die regierenden Sozialdemokraten unter PD-Chef Matteo Renzi und Premier Paolo Gentiloni halten sich etwas zurück. Den Vogel schießt das Rechtsbündnis von Silvio Berlusconi und dem extremistischen Lega-Nord-Chef Matteo Salvini ab. Der kumulierte Preis ihrer Wahlofferte: 310 Milliarden Euro. Nebenbei wollen sie auch die Schulden reduzieren.

Noch verblüffender aber ist, dass sich unter den Anlegern auf dem Markt für italienische Staatsanleihen bisher keine Nervosität bemerkbar macht. 310 Milliarden Euro Mehrausgaben? Na und? In der vergangenen Woche hat das römische Schatzamt einjährige Staatspapiere zu einem Negativzins von minus 0,4 Prozent verkauft. Die Emission war 1,5-fach überzeichnet. Am Tag danach waren Anleihen mit sieben Jahren Laufzeit und 1,45 Prozent Zins gefragt. Der Risikoaufschlag auf deutsche Bundesschatzbriefe schwankt derzeit um 1,3 Prozentpunkte, nicht weit vom Jahresminimum von 1,2 Punkten entfernt. Italiens Politiker verheißen einen Geldregen und die Risikoprämie, der Spread, verändert sich nicht. Am Freitag will Finanzminister Pier Carlo Padoan das Vertrauen der Investoren mit einer neuen Emission testen.

Dabei ist die Erinnerung an die Beinahe-Pleite Italiens noch wach. Im November 2011 hatten Spekulanten die Zinsen über die Sieben-Prozent-Marke getrieben und den damaligen Premier Berlusconi nach vier Amtszeiten aus dem Amt gejagt. Erst das mutige Versprechen des Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, den Euro zu jedem Preis - "Whatever-it-takes" - zu verteidigen, stoppte 2012 die Teufelsspirale. Doch nun ist Berlusconi aus der politischen Versenkung zurück, auch wenn er nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs für kein Mandat kandidieren darf.

In zehn Tagen steht in Italien wieder einmal ein Endspiel zwischen Populisten und Reformern an. Ausgerechnet in dem Land, das vor sechs Jahren die Währungsunion zu sprengen drohte. Italien hat den drittgrößten Schuldenberg der Welt und weist - trotz der kräftigen Konjunkturbelebung im vergangenen Jahr - weiterhin das niedrigste Wachstum in Europa auf. Umfragen zufolge wird am 4. März mehr als jeder zweite Wähler sein Kreuz bei einer populistischen Partei machen. Im Kampf um den Auftrag zur Regierungsbildung liegt Berlusconi, 81, mit seinem Bündnis vorn. Gefolgt von Luigi Di Maio, 31, dem Spitzenkandidaten der Protestbewegung Fünf Sterne. Die beiden haben Gentilonis regierende Mitte-Links-Koalition klar abgehängt. Ein Sprung in die Vergangenheit oder die Flucht ins Ungewisse - das scheint 2018 die Option für Italien zu sein.

Für die Gelassenheit der Anleger sorgt nicht in erster Linie Mario Draghi ("Super-Mario") mit seinen reduzierten Stützungskäufen. Die gute Nachricht kommt diesmal aus Rom: Den Umfrageinstituten zufolge verfehlen alle Wahlbündnisse eine Parlamentsmehrheit. Keines dürfte damit in die Lage kommen, seine unglaublichen Zusagen in die Tat umzusetzen zu müssen. Das erlaubt es den Wahlkämpfern, sich ungeniert der Flunkerei hinzugeben. Am übernächsten Sonntag werden nicht nur ihre Versprechen wie Luftballons zerplatzen. In Rom geht man davon aus, dass auch die Allianzen und sogar die Parteien aufbrechen und sich neu sortieren werden. So erklärt die Anleihen-Spezialistin Chiara Cremonesi den relativ niedrigen Risikoaufschlag für italienische Staatstitel. "Dieses Niveau spiegelt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit wieder, dass der Ausgang der Wahlen eine für den Markt günstige Koalition der pro-europäischen Parteien" an die Macht bringen wird, sagt die Unicredit-Analystin. Im Übrigen unterscheide sich "die Weisheit der Märkte" nicht sehr von der Weisheit der Wähler, bemerkt der Ökonom Fabrizio Ghisellini. Nur wenige Italiener scheinen den Programmen Glauben zu schenken. Es ist wie so oft: Großes Theater.

Jeder falsche Schritt kann Italien an den Abgrund bringen

Auch in Brüssel verfolgt man die wilde Aufführung entspannt. Das Fehlen einer Mehrheit wird die routinierten Krisenmanager in Rom diesmal zwar auf eine harte Probe stellen. Doch wäre es bereits die fünfte Regierung in Folge, die nicht von Bürgern direkt gewählt wurde. Die echte Gefahr aber scheint gebannt, seit nacheinander alle bisherigen Euro-Gegner auf einen europafreundlichen Kurs umgeschwenkt sind. "Der Hund bellt, aber er beißt nicht", spottete Martin Wolf, Chef-Kommentator der Financial Times.

Alle wissen, dass die Italiener keine Möglichkeit haben, die EU-Regeln zu brechen. Weil die EZB ihren Schutzschirm nun langsam zusammenklappt, könnte jeder falsche Schritt das Land wieder an den Abgrund einer Schuldenkrise drängen. Keine Regierung würde das überleben.

Also wird die Flucht aus der Realität am 5. März zwangsläufig in der Wirklichkeit enden. Die neue Regierung hat wenig Spielraum. Der Etat von Finanzminister Padoan sieht für 2018 ein Haushaltdefizit von 1,6 Prozent vor. Bereits im vergangenen November hat die EU-Kommission die italienische Regierung in einem Brief darauf hingewiesen, dass in ihrem Budgetplan vier Milliarden Euro fehlen. Sie mahnte an, den Fehlbetrag im Frühjahr mit einem Nachtragshaushalt in gleicher Höhe auszugleichen. Dies wird eine der ersten Aufgaben der neuen Regierung sein.

Ein Wandel im Zeitlupentempo

Eine ganz andere Frage ist, ob die zu erwartende, bunt zusammengewürfelte Koalition in Rom in der Lage sein wird, die notwendige, tief greifende Modernisierung voranzutreiben. Steht der unvollendete Reformprozess auf der Kippe? Könnte die Hängepartie in Rom gar die Belebung der Wirtschaft ersticken?

Italiens Wachstum übertraf 2017 mit 1,4 Prozent bei Weitem die Erwartungen. Seit 2010 war die Wirtschaftsleistung nicht mehr so kräftig gestiegen. Doch noch immer liegt sie 5,7 Prozentpunkte unter dem Vor-Krisen-Niveau von 2008. Italien wandle sich "in Zeitlupentempo", schrieben zwölf Ökonomen der römischen Zentralbank jetzt in einer Studie. Dass die drittstärkste Volkswirtschaft der Währungsunion in dem allgemeinen Aufschwung in Europa das Schlusslicht bleibt, sei auf ihren großen Produktivitätsrückstand zurückzuführen.

Sicher, in der Industrie, die dem Wettbewerbsdruck des Weltmarkts ausgesetzt ist, steigt die Produktivität inzwischen um knapp zwei Prozent im Jahr. Die Regierung hat mit der Arbeitsmarktreform, der Förderung von Forschung und den Anreizen für die digitale Fabrik nachgeholfen. Doch in den vielen geschützten Branchen bewegt sich noch immer wenig. Schlimmer noch: Die Ineffizienz der öffentlichen Hand "reduziert die Wirksamkeit der Reformen", monieren die Forscher. Sie setzen den dröhnenden Wahlkampagnen einen leisen Appell an die Politiker entgegen: Verliert nicht weitere fünf Jahre.

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