Italien:Vollbremsung

Italien: Vergitterte Ladentüren. Ein Mann steht vor einem Geschäft in Rom.

Vergitterte Ladentüren. Ein Mann steht vor einem Geschäft in Rom.

(Foto: Roberto Monaldo/AP)

Inzwischen steht 70 Prozent der italienischen Wirtschaft still. Damit verliert das Land jeden Monat 100 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung.

Von Ulrike Sauer, Rom

Es sei keine leichte Entscheidung gewesen, aber sie sei notwendig. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte wandte sich am vergangenen Samstag mit einem Facebook-Video an das Land. Es ist kurz vor Mitternacht, die Stirn des Premiers in tiefe Sorgenfalten gelegt. "Wir bremsen den Wirtschaftsmotor, aber wir stellen ihn nicht ab", sagt Conte. Er verkündet so die landesweite Schließung der Fabriken. Ausgenommen von dem Produktionsstopp sind nur Unternehmen, die für die Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar sind. "Die Maßnahmen sind drakonisch, aber wir haben keine Wahl", stellt der Premier sein fünftes Regierungsdekret im Kampf gegen die Covid-19-Epidemie vor. Es ist die fünfte Verschärfung der Maßnahmen zur Eindämmung der tödlichen Virusinfektion in einem Monat. Seit Donnerstag steht nun 70 Prozent der Wirtschaft still.

Die industrielle Blockade galt als äußerstes Mittel. Am 21. März, als sie beschlossen wurde, starben in Italien 793 Menschen an der Lungenkrankheit. Es war der schwärzeste Tag seit dem Ausbruch der Epidemie vier Wochen zuvor. Conte hielt dem Druck nicht länger stand. Die Gouverneure der am schwersten betroffenen Regionen entlang des Alpenrands und die Bürgermeister der Corona-Hauptstädte im Norden verlangten seit Tagen den Shutdown. Schließlich drängten auch die Gewerkschaften auf eine landesweite Schließung der Betriebe. Sie waren wiederum von ihren Mitgliedern aus den Katastrophengebieten bestürmt worden, der Gesundheit absoluten Vorrang vor dem Umsatz zu geben. Schon seit Wochen kam es zu spontanen Arbeitsniederlegungen in Fabriken, Büros und Call Centern, mit denen die Beschäftigten ihren Forderungen nach schärferen Sicherheitsbestimmungen Nachdruck verliehen.

Die Industriellen hatten hingegen versucht, die generelle Stilllegung der Produktion zu verhindern. "Die Produktionsketten sind so eng verwoben, dass Gefahr besteht, durch den Stillstand auch lebensnotwendige Branchen zu blockieren", warnte der Industrieverband Confindustria. Zudem befürchten die Unternehmer, dass viele Firmen die Zwangsschließung nicht überstehen. Gewerkschaften und Industrie rangen tagelang mit der Regierung darum, welche Unternehmen von der Blockade ausgeklammert werden dürfen. Sie gilt nun zunächst bis zum 3. April. "Das Leben ist unser höchstes Gut und wir können die Unternehmen in ganz Italien schließen, aber wir müssen uns klar darüber sein, dass viele von ihnen nicht wieder aufmachen werden", sagt Carlo Bonomi, Chef der Mailänder Industriellen. "Wenn dieser Albtraum vorbei ist, werden wir uns in einer Kriegswirtschaft befinden", sagt er.

Der Shutdown wird das Land im Monat 100 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung kosten. "Wir müssen nun alles daransetzen, dass die Schließung für die Firmen nicht definitiv sein wird", sagt Confindustria-Chef Vincenzo Boccia.

Die Regierung hat ein erstes Hilfsprogramm über 25 Milliarden Euro beschlossen. Finanzminister Roberto Gualtieri kündigte für Anfang April ein neues Paket in gleicher Höhe an, um den wirtschaftlichen Neustart zu unterstützen. Wie stark die Wirtschaft 2020 abstürzen wird, vermag niemand abzuschätzen. Der Rückgang werde "handhabbar" sein, versichert Gualtieri. "Wesentlich ist, dass auf den unausweichlichen und tiefen Sturz schnell ein Aufschwung folgt", sagt Vize-Finanzminister Antonio Misiani.

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