Italien:Populismus, den die Jugend bezahlt

Italien: "Per il futuro", "Für die Zukunft" demonstriert diese junge Studentin in Rom. Die Zukunft der jungen Italiener sieht derzeit eher düster aus.

"Per il futuro", "Für die Zukunft" demonstriert diese junge Studentin in Rom. Die Zukunft der jungen Italiener sieht derzeit eher düster aus.

(Foto: Andreas Solaro/AFP)
  • Nach neuen Zugeständnissen der italienischen Regierung bei der Haushaltsplanung verzichtet die EU-Kommission vorerst darauf, ein Defizitverfahren zu eröffnen.
  • Vizepremier Matteo Salvini und seine Partei sind weiterhin populär. Ihre vielen Versprechen sind allerdings auf Pump finanziert, die Kosten werden die jungen Italiener tragen müssen.
  • Schon jetzt wandern zahlreiche junge, gut ausgebildete Italiener aus. Industrieverbände und die Zentralbank rechnen mit Schäden in Milliardenhöhe.

Analyse von Ulrike Sauer, Rom

Seit 13 Monaten geht es in Italien nun schon steil bergab. Neben dem wirtschaftlichen Stillstand bürdet der Populismus dem Land wachsende Schulden auf. Doch die Zuerst-die-Italiener-Propaganda der seit Juni 2018 regierenden Koalition zieht noch immer. Immerhin machte die amtierende Regierung zuletzt einige Zugeständnisse bei der Haushaltsplanung. Die EU-Kommission teilte deshalb am Mittwoch mit, dass sie auf die Einleitung eines Defizitverfahrens verzichte.

Lega-Chef Matteo Salvini, Vize-Premier und Meister der Massenablenkung, hielt im Streit mit Brüssel stur an seinem Plan radikaler Steuersenkungen fest. In den Umfragen stieg seine rechtsnationalistische Partei diese Woche auf 38 Prozent, ein neuer Rekord. Allerdings hat Salvinis Popularität einen hohen Preis, und bezahlen sollen ihn die nachfolgenden Generationen.

Den Verrat an der italienischen Jugend hat nicht die amtierende Koalition aus Lega und Cinque Stelle erfunden. Er war aber nie so schamlos. Ein markanter Generationswechsel an der Regierung weckte vor einem Jahr Hoffnungen auf einen Wandel. Die 30- und 40-jährigen Politiker enttäuschten sie aber rasch. Das liegt nicht nur an ihrer Arroganz und Ahnungslosigkeit. Die neue Führungsklasse verfolgt zur Absicherung ihrer Macht die Devise: Zuerst kommen die Italiener, zuletzt kommen die Jungen. Im Haushaltsstreit mit Brüssel tritt das Prinzip klar zutage. In Europas Hauptstadt wartete man seit der Androhung des Strafverfahrens vor einem Monat auf einen Brief aus Rom, in dem die Regierung darlegt, wie sie einen Anstieg der Schuldenquote auf 135 Prozent im kommenden Jahr zu verhindern gedenkt.

Aber will sie das überhaupt?

Salvini hält am "Trumpschen Rezept" fest und will die Italiener sofort um 15 Milliarden Euro Steuern entlasten. Auf Pump, was das Vorhaben für die EU-Partner inakzeptabel macht. Der Chef des römischen Rechnungshofs, Alberto Avola, warnte: "Ohne entsprechende Ausgabenkürzungen droht der Anstieg der Schulden die positiven Effekte der Steuersenkung zu annullieren." Geradestehen für die Schulden müssten am Ende "vielleicht sogar drei oder vier Generationen". Die Italiener von morgen sind Italiener zweiter Klasse.

Schon heute gibt Italien mehr Geld für die Zinsen auf Altschulden aus als für Bildung. Die niedrige Rate der Uniabsolventen ist eine der Folgen dieser Zukunftsvergessenheit. 2019 strich Rom weitere vier Milliarden Euro im Bildungsetat.

Die Demografie wird die Lage nachhaltig verschärfen. In den kommenden 25 Jahren nimmt die Zahl der 25- bis 64-Jährigen in Italien um sechs Millionen ab, selbst bei einem geschätzten Zuzug von vier Millionen Ausländern. Ein Drittel der Bevölkerung wird dann 65 und älter sein. Der EU-Durchschnitt liegt mit 28 Prozent deutlich niedriger. Der römische Zentralbankchef Ignazio Visco warnt, dass das den Druck auf die Renten- und Pflegesysteme noch erhöhen wird. Unverantwortlich war es daher, das Ruhestandsalter vor drei Monaten auf 62 Jahre abzusenken. Die Regierung warb damit, jeder Frührentner werde durch drei junge Arbeitskräfte ersetzt. Es war ein haltloses Versprechen, eines von vielen. Nichts weise darauf hin, dass die Frühverrentung "signifikante Auswirkungen auf die Nachfrage am Arbeitsmarkt haben wird", bemerkte die Zentralbank in Rom. Statt einer Umverteilung der Arbeit bewerkstelligten die Populisten eine Umverteilung der Steuergelder - zugunsten der Alten und zulasten der Jungen.

Fahrlässig ist es auch, die Abwehr von Migranten als das wichtigste Regierungsziel zu definieren. Die echte Bedrohung geht für Italien nicht von Flüchtlingsrettern der Sea-Watch aus, sondern von der Emigration. 2018 haben 120 000 Italiener ihrem Land den Rücken gekehrt. Der Anteil der jungen Auswanderer hat sich in zehn Jahren verfünffacht. Der Anteil der Hochschulabsolventen verdoppelte sich. Mobilität ist wichtig. Der Exodus eines gut ausgebildeten Nachwuchses aber ist ein finanzieller Aderlass und ein ernsthaftes Problem für die Gesellschaft. 2015 verließen zum Beispiel 51 000 Italiener unter 40 Jahren ihr Land.

Italien fehlen die im Internet-Zeitalter geborenen, motivierten jungen Leute

In einer Studie rechnete der Industrieverband Confindustria vor, welchen Schaden die Absetzbewegung angerichtet hat: den Verlust von 14 Milliarden Euro. Die Forscher zählten die Ausgaben der Familien für das Großziehen der Kinder bis zum 25. Lebensjahr und die staatlichen Aufwendungen für ihre Ausbildung zusammen. Diese Investitionen fördern nun das Wachstum in anderen Ländern. Auch in Deutschland. Ihrer Heimat Italien aber fehlen die im Internet-Zeitalter geborenen, kreativen und motivierten jungen Leute. "Der Verlust von Humankapital droht sich negativ auf die Produktivität auszuwirken", warnt die römische Zentralbank. Italien belegt heute unter den 28 EU-Ländern in der Digitalisierung der Unternehmen den viertletzten Platz.

Um einem folgenschweren Strafverfahren zu entgehen, muss die römische Regierung im Etat 2020 mindestens 40 Milliarden Euro einsparen. Am Montagabend verabschiedete das Kabinett einstweilen Korrekturen am laufenden Haushalt, mit denen die Neuverschuldung 2019 um 7,6 Milliarden Euro verringert wird. Das erlaubt es Italien, die mit Brüssel vereinbarte Defizitquote von 2,04 Prozent einzuhalten. Alles wie gehabt also: Erst attackieren Salvini und Cinque-Stelle-Chef Luigi Di Maio tagein tagaus Europa und die Bürokraten in Brüssel. Dann beugen sie sich wie schon im Haushaltsstreit im vergangenen Herbst klammheimlich den Forderungen der Kommission. Die verzichtete nach den neuesten Anpassungen vom Montag nun also vorerst auf ein Defizitverfahren. Salvini ermöglicht das, seine Steuer-Propaganda noch ein paar Monate länger auszunutzen. Und den Verrat an der Jugend fortzusetzen.

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