Süddeutsche Zeitung

Italien:Mit der Geduld am Ende

Industriechef Carlo Bonomi fordert Italiens Regierung heraus. Die hat bislang keinen Plan, wie die Wirtschaft des Landes aus der Krise findet.

Von Ulrike Sauer, Rom

Als sich Carlo Bonomi am Mittwochnachmittag ins Schlösschen im römischen Park Villa Pamphili begab, standen die Zeichen auf Sturm. Erwartet wurde der Chef der italienischen Industriellen von Premier Giuseppe Conte, der im barocken Casino del Bel Respiro seine Treffen mit der Wirtschaft abhält. Hinter verschlossenen Türen berät Conte seit vergangenen Samstag neun Tage lang mit verschiedenen Experten einen Plan zum Wiederaufbau der am Boden liegenden Wirtschaft. Die nach dem Vorbild französischer Monarchen einberufene Versammlung dient offenkundig der Selbstinszenierung des Gastgebers. Selbst beim sozialdemokratischen Koalitionspartner stößt man sich hinter vorgehaltener Hand an Contes "One Man Show".

Nun also war Bonomi an der Reihe. Schon seit Tagen wartete man in Italien auf den Auftritt des rüden Widersachers der Regierung. Der Mailänder Unternehmer, der erst am 20. Mai die Führung des italienischen Industrieverbandes Confindustria übernahm, ist kein Typ, der mit seinen Ansichten hinter dem Berg hält. Schon gar nicht jetzt, in der verheerenden Krise, in die das Coronavirus das ohnehin schwer angeschlagenes Land gestürzt hat.

Fragt man Bonomi, welche Gefahr er am meisten fürchtet, antwortet er in leicht abfälligem Ton: "Am Schlimmsten wäre es, ohne konkrete Maßnahmen in den Herbst zu gehen, weil man sich die wirtschaftlichen Risiken nicht bewusst macht". Sein Ziel ist es, die Regierung aus ihrer Realitätsferne und Unschlüssigkeit aufzurütteln. Der Hersteller von Verbrauchsmaterialien für die Krebstherapie und die Diagnostik mit Kontrastmitteln scheut dabei keine scharfen Worte. Seine Kritik an der Koalition aus den populistischen Fünf Sternen und der sozialdemokratischen PD gipfelte vergangene Woche in der Warnung: "Diese Politik droht mehr Schaden anzurichten als die Covid-Epidemie". Angesichts von 34 400 Todesopfern war das ein Hammer.

Die Ohrfeige verfehlte ihre Wirkung nicht. In der römischen Politik tauchten scharfe Konfrontationslinien auf. Hier der sich selbst lobende Conte, dessen Regierung ein Plan gegen den Absturz fehlt. Dort sein Quälgeist, ein Industrie-Boss, der mit seiner Geduld am Ende ist. Ihr Schlagabtausch trieb die Stimmung zwischen Firmen und Regierung auf den Tiefpunkt.

Bonomi verfolgt eine ungewöhnliche Strategie. Mit seinem aggressiven Auftreten bereitet er dem traditionellen Schmusekurs der römischen Confindustria-Spitzen ein Ende. Zielstrebig hatte der 53-Jährige auf sein neues Amt hingearbeitet. Er will den Verband von innen reformieren. Als Sprungbrett diente ihm die Führung der Mailänder Unternehmervertretung Assolombarda, die in Italien ein Vorbild für Effizienz und die perfekte europäische Integration ist. Als Bonomis Schwäche galt eigentlich sein fehlender Stallgeruch. Er begann seine Karriere in der Medizintechnikbranche nicht als Unternehmer, sondern als Manager. "Ich habe dann die Seite gewechselt, weil ich selbst das letzte Wort haben wollte", erzählt er. Auf dem virtuellen Verbandstreffen im April wurde er von 818 Delegierten zum Confindustria-Chef gewählt. Ohne Gegenstimme.

Bei Contes Expertentreffen legte Bonomi dem Premier nun das druckfrische Buch "Italien 2030 - Vorschläge für das Wachstum" auf den Tisch. Bei ihrem letzten Treffen war der Regierungschef im Oktober nach Mailand gereist, um bei den lombardischen Industriellen für Sympathien zu werben - und scheiterte. Ausgerechnet auf der Bühne der Scala, der berühmten Mailänder Oper, rechnete Bonomi mit den Fehlern und Versäumnissen der Regierung ab. Da war er noch Assolombarda-Chef. Ungehalten forderte er die Politiker auf, ihren wortreichen Ankündigungen Taten folgen zu lassen. "Erzählt uns nicht länger etwas vom Neuen Humanismus, diesmal überrascht uns!". Geschehen ist nichts. Auf Contes Programm zum Wiederaufbau der Wirtschaft warten die Italiener angstvoller denn je.

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SZ vom 18.06.2020
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