780 Euro:Italien führt das Bürgergeld ein

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Möglich wäre es, dass italienische Bürger auch in Bars und Läden mit Mini-Bots, geldähnlichen Schuldscheinen, bezahlen. (Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)
  • Ab sofort können Bedürftige in Italien ein Bürgergeld von 780 Euro im Monat für Single beantragen.
  • Die Ankündigung dieses Grundeinkommens hatte der italienischen Regierungspartei Cinque Stelle viele Wähler eingebracht.
  • Sozialverbände und Wissenschaftler hatten massiven Widerstand dagegen geleistet und kritisieren es als unausgereift und falsch. Auch innerhalb der Regierungskoalition ist das Projekt umstritten.

Von Ulrike Sauer, Rom

Endlich war der Tag X gekommen. Der Tag, an dem Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Partei und Italiens Vize-Premier, nach eigenem Bekunden die Armut abschafft. Andere begannen diesen vermeintlichen "Festtag" am Mittwoch mit mulmigen Gefühlen, Postämter klebten einen Aushang an die Tür und informierten, dass sie Anträge für das Bürgergeld gestaffelt entgegennehmen. Am Mittwoch waren die Namen mit den Anfangsbuchstaben A und B dran. Auch die 5000 Steuerberatungen der Gewerkschaften baten um Geduld: "Bitte kommen Sie nicht alle am 6. März." So fiel zwar das befürchtete Chaos aus. Doch Italiens Grundeinkommen bleibt ein unkalkulierbares Wagnis. Denn kaum etwas ist, wie es sein sollte.

Den Werdegang von Italiens Bürgergeld zu rekonstruieren, ist eine verstörende Erfahrung. Vor einem Jahr lockte Di Maio bei den Parlamentswahlen Anfang März 2018 mit der Zusage von 780 Euro im Monat viele der elf Millionen Cinque-Stelle-Wähler. Er propagierte das Bürgergeld nicht als Sozialhilfe, sondern als "die größte Investition in das Humankapital der italienischen Geschichte". Das Bürgergeld solle in drei Jahren eine Million Jobs schaffen. Doch die Angst ist groß, dass die improvisierte Aktion am Ende an der Laienhaftigkeit und Arroganz ihrer Antreiber scheitert. Und das hätte schlimme Folgen. Denn Hilfen für die 11,4 Prozent der Bevölkerung, die in Italien unter der Armutsgrenze leben, sind dringend nötig. Selbst die EU forderte Rom auf, sich den sozialpolitischen Standards in Europa anzunähern.

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Kein anderes Regierungsvorhaben offenbart so deutlich, dass die Koalition aus Cinque Stelle und rechtsextremistischer Lega die Italiener in eine Diktatur der Irrealität geführt hat. Im Wahlkampf zeigten Di Maio und seine Mitstreiter Tabellen in die Kameras, die eine finanzielle Deckung der Ausgaben belegen sollten. Als Kosten wurden 15 Milliarden Euro kalkuliert. Am Start reichen nun 7 Milliarden Euro - ohne Abstriche zu machen. Dafür finanziert das hoch verschuldete Land das Grundeinkommen jetzt komplett auf Pump. "Eine strukturelle Reform dieser Tragweite darf nicht mit neuen Schulden bezahlt werden", kritisiert der Ökonom und frühere Sparkommissar Carlo Cottarelli. Die Folgen seien eine Erhöhung der Staatsverschuldung, ein Anstieg der Zinsen und wachsende Schwierigkeiten der Banken, die Unternehmen mit Kreditgeld zu versorgen. Unter der neuen Regierung ist Italien bereits im vergangenen Sommer in die Rezession zurückgerutscht. Die OECD kürzte am Mittwoch ihre Wachstumsprognose für Italien um 1,1 Prozentpunkte. Sie rechnet nun mit einem Rückgang der italienischen Wirtschaftsleistung 2019 um 0,2 Prozent.

Bedürftige Single erhalten monatlich 780 Euro, Familien mit zwei Kindern 1280 Euro

Für Di Maio, den Doppelminister für Industrie und Arbeit, drehte sich in den vergangenen Monaten alles ums Bürgergeld. Am 4. Februar stand er in Rom auf einer Bühne und lüpfte einen weißen Schleier über einem Glaskegel. Wie ein Magier, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert. In dem Reliquienbehälter lag die erste gelbe Debit-Karte. Auf ihr wird dem Bezieher monatlich das Bürgergeld gutgeschrieben. Die Zeit drängt. Vor den Europawahlen Ende Mai will Di Maio, dessen Partei in ein Umfragetief sackte, sein Versprechen unbedingt einlösen.

Die Anträge werden von der Renten- und Sozialkasse INPS geprüft. Am 15. April soll die Behörde die ersten Bescheide verschicken. Bedürftige Single erhalten monatlich 780 Euro, Familien mit zwei Kindern 1280 Euro. "Die Revolution geht los", twitterte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch.

Aber die Wirklichkeit hinkt weit hinter den Wunschvorstellungen her. Die Regierung hatte sich im Januar nur mit Ach und Krach auf ein Dekret geeinigt. Die Lega mag das Grundeinkommen überhaupt nicht. Nun muss das Parlament die Verordnung bis 28. März in ein Gesetz umwandeln. Das erweist sich trotz einer komfortablen Parlamentsmehrheit als schwierig. Lega-Chef Matteo Salvini ließ das Gesetz im Senat umschreiben. Die Änderungsanträge zielten darauf ab, den Kreis der Berechtigten zu begrenzen. Und vermutlich wird die Abgeordnetenkammer weitere Änderungen fordern. So kommt es, dass am Tag X unklar ist, wer eigentlich Anspruch auf das Grundeinkommen hat.

Die Ärmsten werden ausgeschlossen, kritisieren Wohlfahrtsverbände

INPS rechnet mit 2,4 Millionen Empfängern. Knapp die Hälfte davon ist alleinstehend. Die Regierung spricht von 3,5 Millionen Beziehern. Laut Statistikamt leben in Italien aber fünf Millionen Menschen in absoluter Armut. "Das Problem ist, dass am Ende die Randgruppen, die Obdachlosen und die kinderreichen Familien von der Zuwendung ausgeschlossen wurden", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Giampaolo Galli. Auch Wohlfahrtsverbände und die Bischofskonferenz rügten die Ausgrenzung der Ärmsten. Die Regierung verletze so die italienische Verfassung und die europäischen Vorschriften, monierten sie.

Die größten Schwächen weist die Maßnahme allerdings in ihrer beschäftigungspolitischen Mission auf. Di Maio versprach, dass jedem arbeitslosen Empfänger ein Assistent an die Seite gestellt wird, der ihm bei der Jobsuche hilft. Die aktive Beschäftigungspolitik steckt in Italien jedoch in den Kinderschuhen. Nur drei Prozent der Neueinstellungen kommen über die staatliche Vermittlung zustande. Die Arbeitsagentur Anpal wurde erst 2015 gegründet und von Maurizio Del Conte aufgebaut. Der Arbeitsrechtler kehrte nun an eine Mailänder Universität zurück. "Der Druck war unerträglich geworden", sagt er. Di Maio hatte ihn aufgefordert, umgehend 6000 Arbeitsvermittler - navigator genannt - einzustellen. Es eilt, und so sollte die Kandidatenauswahl auf der Grundlage eines Quiz erfolgen. Die Regionen, denen die 552 Arbeitsagenturen in Italien unterstellt sind, versetzte das in Aufruhr. "Wir können nicht 6000 Leute mit Zeitverträgen auf der Basis von Quizergebnissen einstellen", protestierte Cristina Grieco, die Sprecherin der Regionen. Die Toskana rief sogar das Verfassungsgericht an.

Vor einer Woche trat der Wirtschaftsprofessor Mimmo Parisi aus dem US-Staat Mississippi als neuer Anpal-Chef an. Er brachte eine App mit, mit der er Angebot und Nachfrage auf dem italienischen Arbeitsmarkt zusammenbringen will. Das Gesetz schreibt vor, dass Bürgergeldempfänger drei Job-Offerten vorgelegt werden sollen. Bei der dritten Ablehnung verlieren sie die Hilfe. Doch Gewerkschafter glauben nicht an die Wunderwirkung der Software. "Ich möchte mal wissen, wo man in Italien arbeitslosen Jugendlichen drei Jobangebote machen kann", sagt die CISL-Chefin Annamaria Furlan. Arbeit ließe sich nicht herbeizaubern. Im Februar waren in Rom 200 000 Demonstranten auf die Straße gegangen, um gegen die Wirtschaftspolitik zu protestieren. "Jobs schafft man nicht mit dem Navigator, sondern mit Investitionen", rief Furlan der Menge zu.

© SZ vom 07.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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