Kommentar:Italienische Renaissance

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Thomas Fromm hat für E-Autos grundsätzlich mehr Sympathie als für Panzer. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Vom Verlierer Europas zum Land des Jahres 2021: Italiens Wirtschaft wächst, die Impfkampagne läuft und die Regierung investiert. Jetzt geht es darum, das große Comeback nicht wieder zu verspielen.

Kommentar von Thomas Fromm

Wenn in den italienischen Medien auf die Politik eingedroschen wird, ist das den Italienern meistens ziemlich egal. Sie halten es ja oft genauso: Das Schimpfen auf die Politik und ihre Institutionen gehört zwischen Bozen und Palermo zum festen Ritual. Was den Italienern allerdings nicht egal ist: Was ausländische Medien über sie schreiben. Das war schon so, als der Spiegel im Sommer 1977 einen Teller Spaghetti mit einer Pistole garnierte, das Ganze aufs Cover hob und titelte: "Urlaubsland Italien". Da saß der Schock tief, ältere Italienerinnen und Italiener erinnern sich heute noch mit Schaudern an die Mafia-Story aus Hamburg. Und als der britische Economist vor 20 Jahren Silvio Berlusconi zur Titelstory machte und "Unfit to lead Italy", also "Zum Regieren ungeeignet" darüber schrieb, war auch das ein Schlag. Wie jetzt - soll das etwa heißen, wir haben uns einen unfähigen Clown zum Regierungschef gewählt? Besonders empfindlich reagiert man immer dann, wenn Kritik und Häme aus dem Nachbarland Deutschland kommen. Wenn sich, so wird das dann meistens wahrgenommen, Berlin zum Lehrmeister des Südens aufspielt. Allerdings liegen die Dinge gerade etwas anders als sonst. Italien-Bashing, immer nur vom Norden lernen? Vielleicht wäre es mal Zeit für einen kleinen Rollentausch.

Es war kurz vor Weihnachten, als in der internationalen Presse wieder über Italien geurteilt wurde. Diesmal kürte der Economist Italien zum "Land des Jahres 2021". Trotz eines wachsenden Schuldenbergs, und obwohl ausgerechnet der 85-jährige und vorbestrafte Berlusconi jetzt auch noch Staatspräsident werden möchte. In Italien, wo man besser weiß als woanders, was politische und wirtschaftliche Dauerkrisen sind, war das eine Art vorgezogenes Weihnachtswunder. Auf einmal war die Rede von einer Renaissance, einer Art Wiedergeburt des Landes.

Zugegeben, das mag ein wenig pathetisch klingen und auch etwas gewagt sein angesichts einer Verschuldungsquote von mehr als 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und dennoch: Italiens Wirtschaft dürfte nach einem starken Einbruch im vergangenen Jahr wieder um sechs Prozent wachsen und damit Deutschland hinter sich lassen, außerdem gehört die Impfquote des Landes zu den höchsten in Europa. Und die Stimmung? Besser als in vielen anderen Teilen Europas. Besser auch als in Deutschland, wo Corona-Leugner und Impfgegner mit Fackeln vor den Häusern anderer Menschen stehen und das "Spaziergänge" nennen. Spaziergänge? Dann vielleicht doch lieber eine italienische Renaissance.

Das Geld aus Brüssel ist eine einmalige Chance

Die Chancen dafür stehen historisch gut. Mehr als 190 Milliarden Euro kann Italien aus dem EU-Konjunkturprogramm ausgeben, so viel wie sonst kein anderes Land in Europa. Der große Plan der Regierung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi beinhaltet Reformen in der öffentlichen Verwaltung, robuste Steuererleichterungen, längst überfällige Investitionen in Infrastrukturen, Zuschüsse und Darlehen für private Immobilienbesitzer, die renovieren und sanieren möchten. In Rom weiß man, dass der Brüsseler Geldsegen auch eine historische Chance ist, den ärmeren Süden des Landes dem reicheren Norden anzunähern und das Land langfristig zu modernisieren. Es ist vermutlich auch die vorläufig letzte große Chance.

Und auch wenn die Corona-Fallzahlen seit Tagen wieder stark steigen: In Italien wurde im Laufe des vergangenen Jahres vieles richtig gemacht - und vor allem: schneller, verbindlicher und klarer. Als in Deutschland noch darüber diskutiert wurde, ob man eine Impfpflicht für das Personal in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ab März 2022 einführen darf, war die Sache in Italien schon längst geklärt und von den meisten akzeptiert worden. Schon seit vergangenem Frühjahr muss das Gesundheitspersonal in Krankenhäusern oder Pflegeheimen geimpft sein. Über eine allgemeine Impflicht wird in Deutschland gestritten, Rom führt sie für alle über 50-Jährigen ein. Schon seit Mitte Dezember gibt es eine Corona-Impfpflicht für Polizisten und Carabinieri.

Wenn also italienische Geschäfte, Kaufhäuser und Pizzerien in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr erstaunlich gut besucht waren, dann bedeutet das wohl auch: Die Regierung hat es geschafft, den Menschen im Land den Zusammenhang von Freiheit, wirtschaftlichem Erfolg und erfolgreicher Impfkampagne nahezubringen. 2022 wird es nun darum gehen, dass das Land des Jahres 2021 seine neue Rolle nicht wieder verspielt.

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