Süddeutsche Zeitung

Italien:Der Staat gegen die Benettons

  • Die italienische Regierung wirft der Industriellenfamilie Benetton vor, an dem katastrophalen Einsturz der Autobahnbrücke in Genua schuld zu sein.
  • Die Familie ist der wichtigste Aktionär des Mautunternehmens Autostrade per l'Italia, zu dessen Netz auch die Autobahn A10 und die eingestürzte Brücke gehören.
  • Die Benettons, hauptsächlich bekannt wegen ihres Modegeschäfts, profitierten in den vergangenen Jahrzehnten enorm von der Privatisierung in Italien.

Von Ulrike Sauer, Rom

Der Angriff kam prompt und präzis, nur 20 Stunden nach dem Kollaps der Todesbrücke in Genua hatte die selbst proklamierte "Regierung des Wandels" in Rom den Schuldigen gefunden. Auf Facebook verlangte Verkehrsminister Danilo Toninelli den Kopf des Chefs des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia. Er kündigte gleich noch an, die Betriebslizenz zu entziehen. Wenige Stunden später nannte sein Parteikollege von den populistischen Cinque Stelle, Industrieminister Luigi Di Maio, den Übeltäter beim Namen: "Weil in Italien zum ersten Mal eine Regierung im Amt ist, die kein Geld von den Benettons eingesteckt hat, sind wir jetzt zum Widerruf der Konzession bereit".

Welch ein Spektakel: Die "Anwälte des Volkes" gegen eine der reichsten und berühmtesten Industriellendynastie Italiens.

Die Textilfamilie aus dem Veneto ist seit 2003 wichtigste Aktionärin des Mautunternehmens Autostrade per l'Italia, das mehr als 3000 Kilometer des gebührenpflichtigen Autobahnnetzes in Italien betreibt, darunter auch das Teilstück der A10, an dem die eingestürzte Morandi-Brücke liegt. Das profitable Autobahngeschäft war ein Schnäppchen auf einer Einkaufstour, mit der die Gründer der Modekette United Colors of Benetton schon vor vielen Jahren ihre Aktivitäten diversifizierten. Als Italien in den 1990er Jahren eine Privatisierungsoffensive startete, griff niemand so beherzt zu wie die Vorzeigeindustriellen aus dem Hinterland Venedigs.

Der Staat geht, Benetton kommt, war damals ein geflügeltes Wort.

Und nun heißt es: der Staat gegen Benetton. Eine Konstellation wie aus dem Bilderbuch des Populismus. Während in Genua 300 Feuerwehrleute unter tonnenschweren Betonblöcken weiter nach Opfern suchen, nutzt die neue Regierung in Rom das Unglück unverzüglich zur nächsten Attacke auf das Establishment. Zur Attacke auf die Benettons.

Hinter dem Geschwisterquartett aus Treviso liegt ein beispielloser Aufstieg. Luciano Benetton hat die Firma 1965 gegründet. Der Schritt in die Selbständigkeit war für die Halbwaisen die Befreiung aus bitterer Armut. Benetton war bunt, schnell, unkonventionell, innovativ - und sehr lange sehr erfolgreich. Im Jahr 2002 aber ging der Umsatz der United Colors erstmals nach 37 Jahren zurück. Von da an ging es bergab. Das Trendlabel verlor Kunden, Farbe, Coolness. Die Italiener wurden von neuen Konkurrenten wie H&M oder Zara verdrängt. Die Mitarbeiter verzagten an ständigen Führungswechseln, Geschäftsrückgängen und hartnäckigen Verlusten.

Vor neun Monaten kehrte dann Luciano Benetton, 82, zurück, um United Colors zu retten. Der Gründer zog wieder in die Villa Minelli ein, das feudale Hauptquartier der belanglos gewordenen Modemarke. Er brachte Oliviero Toscani, 75, den Starfotograf aus alten Tagen, gleich mit. Die Tabubrüche der beiden hatten die Werbebotschaft des unkonventionellen Labels zwei Jahrzehnte lang in 120 Länder getragen. Nun inszeniert Toscani, der Meister anstößiger Fotos und aufrüttelnder Werbung, wieder den Auftritt der verblassten Marke. Sogleich griff er das Flüchtlingsthema auf und brachte die neue Regierung gegen Benetton auf, so mit einer zweiseitigen Anzeige, die das Foto einer Rettungsaktion im Mittelmeer zeigte. Innenminister Matteo Salvini, Parteichef der rechtsextremen Lega, antwortete darauf mit scharfen Attacken. Ein Lega-Politiker rief gar zum Boykott auf: "Ich kaufe nie wieder ein T-Shirt von Benetton".

Unter den Benetton-Gründern waren die Rollen von Anfang an genau verteilt. Giuliana war für den Stil zuständig, Carlo für die Produktion. Während der extrovertierte Luciano die Familie mit seinen bunten Maschen weltberühmt machte, war die Kasse dem zuverlässigen Gilberto, dem Finanzgenie, anvertraut worden. Vor 20 Jahren nutzte er die staatliche Versilberungsaktion zum Aufbau eines Firmenkonglomerats. Gilberto stand fast immer auf der Matte, wenn Rom etwas zu verkaufen hatte. "Eine solche Chance gibt es nur einmal im Leben", frohlockte er und griff zu, kaufte Supermärkte, Autobahnen, Raststätten, Flughäfen, Bahnhöfe und anderes mehr.

Die wichtigste Firma der Benettons ist heute der Infrastrukturkonzern Atlantia, der 5000 Kilometer Autobahnen in Italien, Brasilien, Chile, Indien und Polen betreibt. Daneben kontrolliert Atlantia über den Flughafenbetreiber Aeroporti di Roma die römischen Flughäfen Fiumicino und Ciampino sowie drei französische Flughäfen. Im vorigen Jahr erzielte Atlantia knapp sechs Milliarden Euro Umsatz und 1,2 Milliarden Euro Gewinn. Ende 2017 war der Konzern an der Börse 21,7 Milliarden Euro wert. Gerade schmiedet Atlantia-Chef Giovanni Castelluccio mit der Übernahme des spanischen Autobahnbetreibers Abertis den größten Mautkonzern der Welt.

Dann fiel am Dienstag um 11.47 Uhr die Hängebrücke in Genua zusammen und riss mindestens 38 Menschen in den Tod. Am Donnerstag brach deshalb die Atlantia-Aktie an der Mailänder Börse um bis zu 26 Prozent ein. Dazu hat auch die italienische Regierung mit ihren Schuldweisungen beigetragen. Auf einer Eilsitzung in Genua hatte das Kabinett am Mittwochabend die Einleitung des Verfahrens zum Widerruf der staatlichen Konzession beschlossen. "Wir können nicht auf die Feststellung der Verantwortung warten", sagte der parteilose Premier Giuseppe Conte. "Es hat schwere Versäumnisse gegeben", klagte Verkehrsminister Danilo Toninelli den Autobahnbetreiber an.

Die Populisten werden so schnell nicht an ihr Ziel kommen. Erst müssen dem Betreiber in einem langwierigen Verfahren schwerwiegende Versäumnisse nachgewiesen werden. Der Autobahnbetreiber trat den Vorwürfen energisch entgegen. Die Brücke sei fortlaufend kontrolliert und weit über das vorgeschriebene Maß hinaus mit modernsten Apparaturen inspiziert worden. Die eigenen Techniker hätten zur Untersuchung des Viadukts zudem international führende Prüfgesellschaften hinzugezogen. Es habe keinerlei Anzeichen für einen drohenden Einsturz gegeben. Zwischen 2012 und 2017 habe man mehr als eine Milliarde Euro im Jahr in die Sicherheit, Wartung und den Ausbau des italienischen Netzes investiert.

Für den Steuerzahler würde die Auflösung des Vertrags sehr teuer werden. Sollte die Regierung dem Unternehmen der Benettons die Lizenz entziehen, müsste der Staat das Unternehmen nach Schätzung von Branchenexperten mit 15 bis 20 Milliarden Euro entschädigen.

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SZ vom 17.08.2018/vd
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