Süddeutsche Zeitung

Globalisierung:Wie sich Italien der chinesischen Umarmung entziehen will

Der Adriahafen Triest ließ vor zwei Jahren einen chinesischen Bieter abblitzen und verkaufte die Mehrheit an den Hamburger Hafen. Nun kommt China nach dem umstrittenen Cosco-Deal durch die Hintertür wieder rein. Rom ist empört.

Von Ulrike Sauer, Rom

Es gab eine Zeit, in der Italien dem China-Rausch verfallen war. Lang ist das noch nicht her. Der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte empfing vor drei Jahren Chinas Staatspräsident Xi Jinping in der prächtigen Renaissancevilla Madama in Rom und unterschrieb ein bilaterales Abkommen über die Teilnahme Italiens am chinesischen Großprojekt der "Neuen Seidenstraße". Contes China-Flirt stieß 2019 im Westen auf massiven Unmut - an der Initiative Pekings beteiligte sich kein anderes G-7-Land.

Nach dem Megadeal unterzeichneten die Italiener im November 2019 auch noch eine Absichtserklärung mit der China Communications Construction Company (CCCC) über eine größere Beteiligung am Hafen Triest, die vorzüglich zur Strategie der aufstrebenden Weltmacht passte. Denn die Terminals der Stadt an der nördlichen Adria sind über die Schiene gut mit Italiens Industrieregionen, mit Österreich, Deutschland und Osteuropa verbunden. Triest winkten Großinvestitionen, die aus der alten Hafenstadt die italienische Drehscheibe der chinesischen Seidenstraße und ein Einfallstor nach Europa machen sollten. Doch im Nordosten Italiens wollte man genau das nicht. Statt CCCC kam in Triest der Betreiber des Hamburger Hafens bei der strategisch wichtigen Infrastruktur am Mittelmeer zum Zug. Im Oktober 2020 übernahm die Hamburger Hafen und Logistik (HHLA) 50,01 Prozent an Italiens größtem Hafen.

Sieh mal an: Das eigenwillige Triest, das fünfeinhalb Jahrhunderte für die österreichische Habsburger-Monarchie der Hafen zur Welt gewesen ist, hatte gezeigt, wie vorbildliches Friendshoring, also der Handel nur mit befreundeten Staaten, geht. Statt die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von aggressiven Autokratien zu vertiefen, stärkten die Italiener die Bande zu ihrem größten Handelspartner Deutschland. Das geschah zwei Jahre bevor der russische Angriff auf die Ukraine und der Taiwan-Konflikt dazu führten, dass ein Kurswechsel im Außenhandel nun in aller Munde ist und das sogenannte Friendshoring zum Buzzwort wurde.

Mit dem umstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco bei einem Terminal des Hamburger Hafens ergibt sich in Triest nun allerdings eine kuriose Situation. Hatten die Italiener der CCCC aus Peking die Tür zugesperrt, so kommen die Chinesen jetzt über ihre Beteiligung an dem Hamburger Terminal in gewisser Weise durchs Fenster wieder rein. Zwar beteiligt sich Cosco nicht an der Hamburger HHLA, der Hauptaktionärin des italienischen Adria-Hafens, sondern lediglich an deren Terminal Tollerort in Hamburg. Dennoch löste der deutsche Umgang mit dem Fall Cosco in Italien besorgtes Befremden aus.

Besonders alarmiert ist die neue rechtsnationalistische Regierung in Rom

Direkte Auswirkungen auf Triest werde die Übernahme in Hamburg wohl nicht haben, sagt Francesca Ghiretti vom Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS). Doch werfe die Beteiligung Fragen beim Thema Wettbewerb auf. Cosco finanziere sich aus staatlichen Mitteln und konkurriere damit nicht aus derselben Position mit den anderen Playern der Branche. "Außerdem stellt die dominante Marktposition ein potenzielles geopolitisches Druckmittel für Peking dar", sagt die Expertin für wirtschaftliche Sicherheit.

Besonders alarmiert ist die neue rechtsnationalistische Regierung in Rom. "Wir sind uns mit Sicherheit der Risiken des chinesischen Hegemonialstrebens bewusster", kommentierte Adolfo Urso die von Bundeskanzler Olaf Scholz durchgeboxte Genehmigung der Cosco-Beteiligung. Urso, der Melonis Partei Fratelli d'Italia angehört, führt das Wirtschaftsministerium, das neuerdings Ministerium für Unternehmen und Made in Italy heißt. Italien sei Europas Grenze im Mittelmeer und verteidige die strategischen Infrastrukturen des Landes gegen die Einflussnahme Pekings. "Wir werden uns den Chinesen nicht ausliefern", sagt Urso. Chinesische Staatskonzerne interessieren sich auch noch für andere Häfen auf der Mittelmeerhalbinsel - darunter Genua und Palermo.

In Italiens launischem Politikbetrieb hat es seit dem Seidenstraßen-Pakt mit Xi Jinping schon drei Regierungswechsel gegeben. Sie hatten immer auch einen Sinneswandel in der internationalen Handelspolitik zur Folge. Das ist nun beim Antritt der Postfaschistin Giorgia Meloni mit ihrem Hang zu Protektionismus und Autarkie nicht anders. "Unsere Politik zielt darauf ab, die strategische Autonomie Italiens und Europas in allen wichtigen Lieferketten zu gewährleisten", sagt Wirtschaftsminister Urso. "Wenn andere beabsichtigen, sich aus der Energieabhängigkeit in eine technologische und wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu begeben, werden wir ihnen auf diesem Weg nicht folgen", stichelt er gegen die Bundesregierung.

Im vergangenen Juni untersagte Draghi auch den Transfer von Technologien

Allerdings: Was China betrifft, setzt Meloni den Weg fort, den ihr Vorgänger Mario Draghi eingeschlagen hatte, um sein Land wieder auf mehr Distanz zu Peking zu bringen. Draghi befreite Europas Krisenland schrittweise aus der chinesischen Umarmung. Er ließ die 29 bilateralen Vereinbarungen prüfen und verhinderte in den 20 Amtsmonaten den Einstieg chinesischer Käufer in Schlüsselindustrien. Erst sperrte sich seine Regierung gegen den Verkauf eines Halbleiterherstellers. Dann stoppte sie die Übernahme des Saatgutherstellers Verisem durch das chinesische Staatsunternehmen Syngenta. Rom machte sogar den Verkauf des Drohnenherstellers Alpi Aviation wieder rückgängig. Im vergangenen Juni untersagte Draghi auch den Transfer von Technologien und Algorithmen des italienischen Roboterherstellers Robox an dessen chinesischen Investor. Zuweilen war nicht einmal das Eingreifen der Regierung notwendig. Der Land- und Baumaschinenkonzern CNH brach von sich aus die Verhandlungen mit FAW Jiefang über den Verkauf eines Tochterunternehmens ab.

Spannend bleibt die Frage, wie weit Giorgia Meloni ihre protektionistischen Grundüberzeugungen durchsetzen wird. Schon die programmatische Umbenennung von wichtigen Ressorts war Ausweis des nationalistischen Regierungsdenkens. Neben dem Ministerium für "Made in Italy" gibt es nun auch das Ministerium für Landwirtschaft und Nahrungsmittelsouveränität. Nähme man die Regierungschefin beim Wort, dann stünde eine Abschottung der italienischen Wirtschaft vom Welthandel bevor. Realistisch ist das aber nicht.

Selbst die Entkopplung von China wäre für die Exportnation ein Desaster. Nicht nur die Luxusmodelabel wie Gucci, Prada und Moncler verdanken ihren Boom dem asiatischen Markt. Ferrari trumpfte gerade wieder mit glänzenden Quartalsergebnissen auf - mit 73 Prozent übertraf die Absatzsteigerung in China das Unternehmenswachstum um mehr als das Dreifache. Sogar ein Zulieferer wie der Bremsenhersteller Brembo verkündete, dass China sein zweitgrößter Markt geworden sei. Und selbst der Obstbauer Oranfrizer aus Sizilien verkauft inzwischen seine Blutorangen in großem Stil nach China. Da dürfte Autarkie nichts weiter als eine postfaschistische Parole bleiben.

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