Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftswachstum in Europa:"So etwas gibt es nur einmal im Leben"

Wie stark wächst die Wirtschaft in Ländern wie Italien? Die EU gibt eine Prognose ab - und ist selbst überrascht.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Paolo Gentiloni regierte Italien als Ministerpräsident in einer Zeit, als die Wirtschaft auf sehr geringem Niveau wuchs. Das war in den Jahren zwischen 2016 und 2018, und die Wachstumsraten lagen zwischen 1,6 und 0,9 Prozent. In seiner neuen Funktion als EU-Wirtschaftskommissar erlebte Gentiloni dann von Brüssel aus, wie sein Land während der Corona-Krise einen historischen Absturz erlebte. An diesem Donnerstag präsentierte er nun in seiner Herbstprognose für die Europäische Union Zahlen, die ihn selbst verblüfften: Italiens Wirtschaft wächst in diesem Jahr wohl um 6,2 Prozent, für kommendes Jahr prognostiziert seine Behörde 4,3 Prozent, im darauf folgenden Jahr immer noch 2,3 Prozent. "So etwas", sagte Kommissar Gentiloni, "gibt es nur einmal im Leben."

Es ist eine Ausnahmesituation in jeder Beziehung. Natürlich ist der Aufschwung in Italien besonders stark, weil auch der vorangegangene Abschwung so dramatisch war. Einzigartig sind auch die Summen, die die nationalen Regierungen in Europa mobilisierten, nachdem die Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes außer Kraft gesetzt worden waren. Und einzigartig ist auch die Wirkung des Corona-Wiederaufbaufonds, aus dem die EU 800 Milliarden Euro in Europa verteilt und dessen Wirkung Gentiloni mit Nachdruck würdigte. Vermutlich hätte er sich so eine Geldschwemme schon früher gewünscht, um die Wirtschaft in Südeuropa in Schwung zu bringen.

Für Spanien meldete Gentiloni 4,6 Prozent Wachstum in diesem und 5,5 Prozent im nächsten Jahr. Frankreichs Wirtschaft wächst 2021 sogar um 6,5 Prozent. Der Wert für die gesamte EU liegt bei 5,0 Prozent, noch einmal eine kleine Steigerung im Vergleich zur vergangenen Prognose. Das sei eine "eine außergewöhnliche Leistung", sowohl der EU als auch den nationalen Regierungen, sagte Gentiloni.

Es gibt auch "Gegenwind" - etwa die Inflation

Für Deutschland hat die Kommission für 2021 ihre Zahlen deutlich nach unten korrigiert, auf 2,7 Prozent. Im kommenden Jahr werde die deutsche Wirtschaft im Gleichschritt mit der ganzen EU wachsen, um mehr als vier Prozent, so steht das im Papier der Kommission. Treiber der Entwicklung sei in ganz Europa vor allem die Binnennachfrage. Allerdings warnte Gentiloni vor beträchtlichem "Gegenwind". Grund zur Sorge gibt ihm nach wie vor die Pandemie mit der Gefahr von neuerlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die blockierten Lieferketten könnten weiterhin das Wachstum abwürgen, sagte Gentiloni. Vor allem aber drohten die gestiegenen Energiepreise die Inflation anzuheizen und dadurch Konsum und Investitionen zu hemmen. Die Kommission schätzt, dass die Inflation dieses Jahr bei 2,6 Prozent ihren Höchststand erreichen und dann wieder sinken wird, auf 2,5 Prozent im kommenden und 1,6 Prozent im übernächsten Jahr.

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