IT-Gipfel:Deutschland droht die digitale Kluft

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Anke Rehlinger (SPD), Wirtschaftsministerin des Saarlandes, bei einem Besuch des Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. (Foto: Oliver Dietze/dpa)

Regierungsberater warnen vor einer wachsenden Spaltung in der deutschen Wirtschaft. Kleine und mittlere Unternehmen laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Von Markus Balser, Berlin

In den Spitzen der IT-Konzerne ist längst angekommen, welch gravierender Wandel sich in der internationalen Industrie abspielt. "Die Zukunft gehört den Schnellen", verkündet etwa Meg Whitman, Chefin von Hewlett-Packard. Immer klarer zeichnet sich ab, dass diese digitale Revolution, oft auch als die "Vierte industrielle Revolution" oder "Industrie 4.0" bezeichnet, Unternehmen und Arbeitswelt durcheinanderwirbelt. Für das Weltwirtschaftsforum ist klar, dass der Wandel sogar die internationalen Gewichte der Industrie verschiebt. Grenzen zwischen Industrie- und Schwellenländern könnten sich auflösen. Es werde Länder geben, die die Technologien vorantreiben - und solche, die den Anschluss verlieren.

Bislang sah sich die deutsche Wirtschaft im Grunde auf einem guten Weg in Richtung Gewinnerseite. Doch nun warnt eine Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, vor einer drohenden digitalen Spaltung im Land. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften will das fast 50-seitige Papier an diesem Mittwoch auf dem nationalen IT-Gipfel an die Bundesregierung übergeben. Darin befürchtet Acatech das Aufreißen einer doppelten Kluft: zwischen kleinen und großen Unternehmen sowie zwischen niedrig und hoch qualifizierten Arbeitskräften.

Das Papier macht unmissverständlich klar: Die gesamte deutsche Wirtschaft muss sich besser auf radikale Veränderungen einstellen. "Der erfolgreiche Wandel zu Industrie 4.0 bestimmt in den kommenden Jahren die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Wertschöpfung am Standort Deutschland." Diese Erkenntnis sei allerdings noch nicht überall angekommen.

Big Data ist im Mittelstand die Ausnahme

Dass mit der Vernetzung von Produkten, Prozessen und Infrastruktur "auch neue Geschäftsmodelle einhergehen und bestehende möglicherweise infrage stehen, erkennen die Unternehmen noch nicht in ausreichendem Maß". Nur die Hälfte der Großunternehmen und 39 Prozent der Mittelständler seien sich dessen bewusst.

Doch gerade der Mittelstand droht angesichts hoher Kosten bei den Investitionen in mehr Digitalisierung zurückzufallen. "Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen müssen für die umfassenden Veränderungen sensibilisiert werden." Während etwa 80 Prozent der Konzerne ihre Strategien auf mehr Digitalisierung ausrichten, plant dies laut Studie nur gut die Hälfte der kleinen und mittleren Firmen. Die Warnung könnte für Wirbel auf dem IT-Gipfel sorgen. Denn die laufende Digitalisierungswelle in der Industrie gilt für international führende Unternehmen aus Deutschland - Autohersteller, Medizintechnik-, Maschinenbau- oder Infrastrukturunternehmen - als zentrales Erfolgskriterium. Verliert der Mittelstand den Anschluss, hätte das laut Acatech-Präsident Henning Kagermann einschneidende Konsequenzen. "Am Mittelstand hängen viele Jobs. Wir haben so viele Hidden Champions, wie kein anderes Land weltweit", sagt der Regierungsberater und frühere SAP-Chef der SZ. "Wenn wir den Mittelstand bei der Industrie 4.0 zurücklassen, schwächen wir also unsere Volkswirtschaft."

Branchenvertreter gestehen aber bereits offen ein, dass die Wissenschaftsakademie mit ihrer Analyse richtig liegt. "Im Mittelstand besteht erheblicher Nachholbedarf in der Digitalisierung, speziell bei Industrie 4.0", sagt BVMW-Präsident Mario Ohoven. Selbst einfache Digitalisierungsprozesse würden als unwichtig abgetan. Das führe dazu, dass Big Data im Mittelstand die Ausnahme bilde. Für Ohoven spielen dabei die Investitionsmöglichkeiten eine große Rolle. Internationale Konzerne verfügten über ganz andere Ressourcen. So habe Siemens für seine digitale Strategie zwei Milliarden US-Dollar aufgebracht, leiste sich Fachabteilungen zu jedem Aspekt der Digitalisierung. "Da winkt jeder Mittelständler ab." Der Verband fordert deshalb eindringlich mehr Unterstützung von Konzernen und Politik. "Zum Mittelstand zählen weit mehr als 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland", sagt Ohoven. Wenn es aber um die Ausgestaltung der digitalen Transformation geht, geben Großkonzerne Takt und Tempo an." Nötig sei eine stärkere Verzahnung von Politik und Mittelstand.

Auch für die Beschäftigten dürfte die Umstellung gewaltig werden. In seiner Digitalisierungsstudie geht das Weltwirtschaftsforum davon aus, dass der zunehmende Stellenwert der digitalen Welt in den Fabriken und Büros bis 2020 mehr als fünf Millionen Jobs kosten könnte. Der immer stärkere Einsatz von Robotern und 3-D-Druckern, werde zu "Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt führen". In den wichtigsten entwickelten und aufstrebenden Volkswirtschaften würden etwa sieben Millionen herkömmliche Arbeitsplätze überflüssig, zugleich aber zwei Millionen mit neuem Anforderungsprofil entstehen. Gerade kleine Unternehmen verfügten oft nicht über die notwendigen Mitarbeiter, "um die Chancen der Digitalisierung voll auszuschöpfen", sagt Iris Plöger, Abteilungsleiterin Digitalisierung, Innovation und Gesundheitswirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie in Berlin. Acatech fordert deshalb eine neue Bildungsoffensive und schlägt eine neutrale Bildungsplattform vor, die Unternehmen den Zugang zu Wissen und zu konkreten Weiterbildungsmaßnahmen erleichtert. Kagermann geht mit seinen Wünschen an die Bundesregierung allerdings noch weiter: Digitale Kompetenzen sollten in Deutschland von Kindesbeinen an künftig stärker gefördert - und nach dem Vorbild der Pisa-Studie regelmäßig überprüft werden.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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