Israel:Gelähmtes Land

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Am Strand von Tel Aviv, während die Luftwaffe Kunstflüge für eine Parade probt. (Foto: Oded Balilty/dpa)

Die Wirtschaft in Israel leidet darunter, dass es seit Monaten keine stabile Regierung gibt. Das Wachstum geht zurück, Projekte werden auf Eis gelegt. Aufwärts geht es nur im Tourismus.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Ausgerechnet Unternehmer könnten das politische Schicksal von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besiegeln. 70 Vertreter aus der High-Tech-Branche haben sich an den Obersten Gerichtshof mit einer Petition gewandt. Sie verlangen vor der erneuten Parlamentswahl am 2. März 2020 Aufklärung darüber, ob Netanjahu nach Anklagen in drei Korruptionsfällen überhaupt eine neue Regierung bilden darf.

Nun ist Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, der Ende November Anklagen wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit gegen Netanjahu angekündigt hat, erneut am Zug. Schließt er sich der Rechtsansicht des mit dem Fall Netanjahu betrauten Staatsanwalts an, dann dürfte dies das Aus für die politische Karriere des rechtsnationalen Likud-Politikers bedeuten, der insgesamt 13 Jahre als Premier amtiert.

Dass sich sogar Vertreter der High-Tech-Branche in die israelische Politik einmischen, ist ungewöhnlich. Aber auch sie sind in Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die durch den politischen Stillstand Schaden nimmt. Denn Israel steuert auf die dritte Wahl binnen eines Jahres zu. Seit April ist eine Übergangsregierung im Amt, die nur eingeschränkt Entscheidungen vornehmen kann. Außerdem bleiben im Parlament Gesetzesvorhaben oder -änderungen liegen. Das politische Vakuum wird noch länger andauern, weil nach der erneuten Wahl am 2. März 2020 die Verhandlungen frühestens im Mai zu einer neuen Koalition führen dürften.

Die Folgen sind schon jetzt spürbar: Die Finanzierung von Projekten und Programmen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind, wurde eingestellt, Entscheidungen über Zuwendungen werden hinausgezögert. So wurden größere Infrastrukturprojekte im Straßen- und Bahnbereich auf Eis gelegt. Ausgaben im Verteidigungssektor warten auf Genehmigung. Dem Gesundheitssektor wurden von politischer Seite Erhöhungen in Aussicht gestellt, aber die Zusagen werden nicht eingehalten.

Es gibt nicht einmal ein beschlossenes Budget für 2020. Ministerien müssen sich deshalb Monat für Monat an den Ausgaben im Vorjahr orientieren. Die Gehaltsverhandlungen für den öffentlichen Dienst haben noch gar nicht begonnen. Zu Jahresende werden weitere Programme auslaufen, deren Finanzierung bisher nicht geklärt werden konnte. "Es herrscht absolutes Chaos in den Ministerien. Das passiert, wenn man kein Budget hat", erklärt Amir Fuchs, Experte vom Israel Democracy Institute.

Konkret betroffen sind finanzielle Unterstützungen der Start-up-Szene. So warten laut israelischen Medienberichten derzeit 250 Firmen auf zugesagte Beihilfen im Umfang von umgerechnet 26 Millionen Euro. Weil das Geld nicht fließt, haben Unternehmen begonnen, Arbeitnehmer zu entlassen. Nach Angaben des Onlineportals Calcalist werden von der israelischen Innovationsbehörde insgesamt rund 52 Millionen Euro zurückgehalten. Yossi Rabinovitz, Gründer der Logistikfirma Quay Express, spricht von einer "Notfallsituation" und von 500 betroffenen Firmen. "Unternehmer erzählen uns, dass sie Arbeitnehmer freisetzen und Projekte absagen müssen." Aber auch Unterstützungen von Soldaten werden wegen fehlender Budgetzuweisungen nicht mehr ausbezahlt.

Auswirkungen zeigen sich beim Wirtschaftswachstum. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Aussichten für Israel revidiert: von 3,3 auf 2,9 Prozent in den Jahren 2020 und 2021. Im Vergleich zu den EU-Ländern und den USA ist das ein starkes Wirtschaftswachstum, für Israel ist es ein deutlicher Rückgang. In den vergangenen 25 Jahren betrug der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in Israel durchschnittlich 3,7 Prozent pro Jahr. Als Gründe für die Konjunkturabschwächung nennt die OECD einen Rückgang der Nachfrage im eigenen Land, eine Abkühlung des Arbeitsmarktes und einen Rückgang der fiskalischen Anreize. Aufwärts geht es dagegen im Tourismus. Für 2019 wird ein neuer Besucherrekord erwartet. Bis Ende Oktober gab es einen Anstieg um zehn Prozent im Jahresvergleich. Dieser Bereich wird jedoch stark subventioniert. Fluggesellschaften, die neue Strecken nach Israel eröffnen, erhalten Zuschüsse.

Maßnahmen wie diese haben Auswirkungen auf das Budget. Da in Wahlkampfzeiten keine Reformen eingeleitet werden, wird sich erst die neue Regierung mit dem stark wachsenden Defizit beschäftigen. Das Budgetdefizit beträgt derzeit rund 3,5 Milliarden Euro und soll auf 5,6 Milliarden im Jahr 2020 steigen. Für 2021 wird ein Anstieg auf 6,8 Milliarden Euro erwartet, sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die OECD fordert eine rasche nachhaltige Senkung des Budgetdefizits.

Ökonomen verlangen von der neuen Regierung außerdem Schritte zur Reduktion der im OECD-Vergleich hohen Lebenshaltungskosten. Mehrere Berichte, die in den vergangenen Wochen publiziert wurden, zeigen die Auswirkungen: 22 Prozent der Haushalte überziehen regelmäßig das Bankkonto. Etwa ein Viertel der Israelis lebt unter der Armutsgrenze. Die Kluft zwischen den Wohlhabenden und denjenigen, die wenig haben, wird laut Studien breiter und tiefer. Auf die neue Regierung in Israel wartet somit viel Arbeit.

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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