Irland:Ein ganzes Volk diskutiert über Apples Steuermodell

Irland: In der Minderheit: Iren protestieren vor dem Parlament dafür, die 13 Milliarden Euro Steuernachzahlung von Apple einzutreiben.

In der Minderheit: Iren protestieren vor dem Parlament dafür, die 13 Milliarden Euro Steuernachzahlung von Apple einzutreiben.

(Foto: Paul Faith/AFP)
  • Ein Geldsegen in Höhe von 13 Milliarden Euro müsste der Traum jedes Finanzministers sein, doch die Minderheitsregierung des konservativen Premiers Enda Kenny ist über das Geschenk nicht erfreut.
  • Sie fürchtet um den Ruf des Landes und will den Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten.

Von Björn Finke, London

Die Parlamentarier sind extra drei Wochen früher als geplant aus dem Urlaub zurückgekehrt. Die Sondersitzung des Dáil Éireann, des irischen Abgeordnetenhauses in Dublin, war am Mittwoch auf zehn Stunden angesetzt. Aber es wurden ja auch die ganz großen Fragen behandelt: Es ging um das irische Wirtschaftsmodell, um das Verhältnis des Landes zur EU, es ging um nationale Souveränität.

Die Politiker diskutierten über die Entscheidung der EU-Kommission, dass Apple auf der Insel 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss. Irland habe dem US-Technologiekonzern unzulässige Steuervergünstigungen gewährt, hat die Behörde geurteilt.

So ein Geldsegen müsste der Traum jedes Finanzministers sein, doch die Minderheitsregierung des konservativen Premiers Enda Kenny ist über das Geschenk gar nicht erfreut. Sie fürchtet um den Ruf des Landes und will den Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten, genau wie Apple. Das Parlament unterstützte diesen Schritt am Mittwochabend nach langer Debatte, mit 93 zu 36 Stimmen.

Die EU-kritische Partei Sinn Féin begrüßt die Entscheidung aus Brüssel

Trotzdem belastet das unwillkommene Präsent die Minderheitsregierung. Und es könnte die Europabegeisterung der traditionell EU-freundlichen Iren abkühlen.

Denn auch die große Mehrheit der Bürger will auf die 13 Milliarden Euro verzichten; einer Umfrage zufolge sind 62 Prozent der Wähler für die Klage, 24 Prozent lehnen sie ab. Erbitterter Gegner eines Gangs nach Luxemburg ist die Oppositionspartei Sinn Féin, drittstärkste Kraft im Parlament. Das ist nicht ohne Ironie, denn die Partei, früher politischer Arm der Terrorgruppe IRA, ist der EU gegenüber sonst sehr skeptisch eingestellt.

Aber die 13 Milliarden Euro, die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Apple abknöpfen möchte, will Sinn Féin gerne akzeptieren und für Soziales verwenden: Die Krankenhäuser seien überbelegt, und "trotzdem will die Regierung mehr Steuergeld ausgeben, um eine 13-Milliarden-Zahlung zurückzuweisen, die Apple dem Staat schuldet", sagte David Cullinane, der finanzpolitische Sprecher der Partei. "Das ist unglaublich."

In der Regierung ist Klage umstritten

Die Regierung steuerte das Land in den vergangenen Jahren mit einem harten Sparprogramm aus der Krise. Sinn Féin profilierte sich als linke Protestpartei gegen Kürzungen im Sozialen - mit Erfolg.

Doch innerhalb der Regierung ist die Klage ebenfalls umstritten. Nach den Parlamentswahlen im Februar hatte die Koalition von Premier Kenny keine Mehrheit mehr. Zähe Verhandlungen führten am Ende dazu, dass der Konservative mit Unterstützung von unabhängigen Abgeordneten an der Macht blieb. Er ist aber darauf angewiesen, dass die größte Oppositionspartei, die konservative Fianna Fáil, seine Regierung toleriert. Im Kabinett sitzen nun Unabhängige - und die sehen die Klage gegen die Zahlung skeptisch. Sie wollten nur zustimmen, wenn das Parlament darüber debattieren darf und eine Kommission das System der Unternehmensteuern im Land kritisch untersucht.

Der interne Streit um die Klage schwächt die ohnehin fragile Minderheitsregierung. Manche Beobachter erwarten, dass sie bereits im Oktober zerbrechen könnte, wenn sich die Minister auf den Haushaltsplan für 2017 einigen müssen.

Das Chaos an der Spitze käme in schwierigen Zeiten: Der Austritt Großbritanniens aus der EU trifft Irland härter als andere Staaten. Großbritannien ist der zweitwichtigste Exportmarkt nach den USA. Die Ausfuhren ins Königreich schrumpfen bereits, auch weil der Verfall des Pfundkurses irische Waren dort verteuert. Außerdem könnte in Zukunft wieder an der Grenze zu Nordirland kontrolliert werden müssen.

Nirgendwo sonst arbeiten so viele Menschen bei ausländischen Firmen

Als reiche das nicht an Ärger, veröffentlichte dann vorige Woche die EU-Kommission ihren Beschluss. Die irische Regierung hat stets argumentiert, nicht gegen EU-Recht verstoßen zu haben. Da ist es naheliegend, jetzt Klage einzureichen. Brüssel stößt sich daran, dass irische Finanzbehörden Apple 1991 und 2007 bestimmte Zusicherungen machten. Die führten dazu, dass der Konzern Milliardengewinne aus dem Ausland nach Irland umleitete und dort kaum Steuern anfielen. Deshalb sollen die Kalifornier nun 13 Milliarden Euro nachzahlen, plus Zinsen. Der Geldsegen für Irland wird kleiner, wenn andere Staaten Nachforderungen stellen.

Die Regierung fürchtet, dass die Brüsseler Entscheidung das Vertrauen ausländischer Konzerne in Irland schmälern könnte. Schließlich hebt die EU Zusagen von Behörden auf, die vor vielen Jahren gegeben wurden. Außerdem schadet es dem Ruf, als Steueroase dargestellt zu werden, die US-Konzernen mit illegalen Absprachen beim Vermeiden von Abgaben hilft. Der konservative Finanzminister Michael Noonan sprach am Mittwoch von einer "unfairen Karikatur von Irlands Position".

Investitionen ausländischer Konzerne wie Apple standen hinter dem Aufstieg Irlands vom Armenhaus Europas zum Keltischen Tiger in den Neunzigerjahren. In keinem Industrieland ist der Anteil der Arbeitnehmer höher, die bei ausländischen Firmen tätig sind. Etwa 80 Prozent der Einnahmen aus Unternehmensteuern stammen allein von US-Konzernen. Die Firmen lockt die englischsprachige, gut ausgebildete Bevölkerung, der Zugang zum riesigen Markt der EU und der niedrige Steuersatz auf Gewinne von 12,5 Prozent. Apples Beispiel zeigt jedoch, dass die irischen Gesetze noch viel geringere Sätze zulassen. Nach EU-Berechnungen zahlten die Kalifornier 2014 nur 0,005 Prozent Steuern.

Dan O'Brien, Chefvolkswirt beim Institute of International and European Affairs in Dublin, glaubt nicht, dass die Brüsseler Entscheidung Investoren aus dem Ausland verschrecken wird. "Vielleicht sind wegen der negativen Schlagzeilen einige Firmen nun skeptischer, aber Irland ist weiterhin ein sehr attraktiver Standort", sagt er.

Ein attraktiver Standort, der gerade ein Imageproblem und eine schwache Regierung hat.

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