Irland:Der irischen Wirtschaft geht es gut, den Bürgern nicht

Life And Landmarks In The Irish Capital Of Dublin

Irische Wirtschaft: Pub namens Temple Bar im gleichnamigen Viertel der irischen Hauptstadt Dublin.

(Foto: Dan Kitwood/Getty)
  • Rasantes Wachstum, hoch fliegende Pläne: In Irland legte die Wirtschaft so schnell wie in keinem anderen EU-Staat zu.
  • Einer der Gründe für den Aufschwung: Für Unternehmensgründer ist das Land ein Paradies.
  • Viele Bürger spüren allerdings nichts vom Aufschwung.

Von Björn Finke, Dublin

Vom großen Balkon geht der Blick über die Dächer hinweg. Luca Boschin zeigt auf ein Gebäude mit schwarzer Fassade, das die anderen Häuser überragt. "Das ist die Europa-Zentrale von Google", sagt der Unternehmer. Und die Nähe zu Internet-Konzernen wie Google ist ein gewichtiger Grund dafür, dass der Italiener Boschin nun am Rande der Dubliner Innenstadt auf dem Balkon seines Büros steht. An einer Hochschule in Zürich hat der 29-Jährige zusammen mit einem Landsmann eine Software entwickelt, dank der Handys Markenlogos auf Fotos besser erkennen. Daraus wollte das Duo ein Geschäft machen, es gründete eine Firma namens Logograb - aber nicht in Zürich oder Italien, sondern in Dublin.

"Wir sind vor einem guten Jahr hierhergezogen. Das war definitiv die richtige Entscheidung", sagt Boschin. "Wir wollen weltweit wachsen. Da ist es besser, in einem englischsprachigen Land zu sein." Für die irische Hauptstadt spreche zudem die große Gründer- und Internet-Szene. US-Konzerne wie Google, Facebook oder Twitter haben dort ihre Europa-Zentralen, auch zahlreiche Internet-Start-ups versuchen in Dublin ihr Glück. Oft lassen sie sich im alten, aufgehübschten Hafenviertel nieder - die Gegend wird inzwischen Silicon Docks genannt. "Es gibt hier ständig Veranstaltungen für und von der Gründer-Szene und sehr viele Menschen mit den richtigen Qualifikationen und Talenten für Unternehmen wie das unsere", sagt Boschin. Bis Jahresende soll Logograb zwölf bis 15 Mitarbeiter haben, bislang sind es sechs.

Die Wirtschaft in Irland wächst schneller als in Deutschland

Rasantes Wachstum, hoch fliegende Pläne: Das passt zu Boschins Wahl-Heimat Irland. In diesem und dem vergangenen Jahr legte die Wirtschaft in keinem anderen EU-Staat so schnell zu. Im laufenden Jahr soll das Plus 6,2 Prozent betragen - gut dreieinhalb mal so viel wie in Deutschland. Dabei stand die grüne Insel 2010 vor der Pleite. Irland musste als erster Staat der Euro-Zone unter den Rettungsschirm von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds schlüpfen. Ohne die Hilfskredite der Troika von 67,5 Milliarden Euro hätte die Regierung nicht ihren Haushalt finanzieren können.

Den Schutz des Schirms konnten die Iren vor zwei Jahren verlassen, sie finden wieder problemlos Kreditgeber. Das Defizit im Staatshaushalt beträgt seriöse 2,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ausländische Konzerne investieren kräftig auf der Insel, die Exporte steigen, die Zahl der Arbeitslosen fällt.

Während in Griechenland kein Ende der Querelen absehbar ist, schreiben die 4,8 Millionen Iren die heiß ersehnte Erfolgsgeschichte der Euro-Rettung.

Familien landen wegen der steigenden Mieten auf der Straße

Dennoch herrscht im Land keine Jubelstimmung. Tatsächlich droht der Regierungskoalition - der konservativen Partei Fine Gael und den Sozialdemokraten von Labour - bei den Parlamentswahlen im Februar oder März eine empfindliche Schlappe. Die zwei Parteien kamen 2011 an die Macht und führten das Land mit einem harten Sparkurs aus der Krise.

Allerdings spüren viele Bürger bislang nichts vom Aufschwung: Die Gehälter, die nach dem Crash deutlich sanken, legen erst langsam wieder zu. Die Steuererhöhungen der vergangenen Jahre und Kürzungen im Sozialen und im öffentlichen Dienst belasten ebenfalls. An zahlreichen Dörfern fernab der Städte geht der Boom ohnehin vorbei. Zugleich herrscht im prosperierenden Dublin inzwischen Wohnungsnot. Familien landen auf der Straße, weil sie sich die rasant steigenden Mieten nicht mehr leisten können.

Büromieten verteuern sich ebenfalls kräftig - das merkt auch Logograb-Gründer Boschin. Er ist mit seiner Firma gerade in größere Büros umgezogen. "Dublin ist nicht billig", sagt der Italiener bedauernd.

Der Aufstieg des Keltischen Tigers

Ein scharfer Kontrast zur Krise: Im Jahr 2008 platzte die Immobilienblase auf der Insel, bis 2012 halbierten sich die Hauspreise. Käufer konnten ihre Hypotheken nicht mehr bedienen; die aufgeblähten und schlampig überwachten Banken gerieten ins Trudeln und mussten mit Milliarden der Regierung gerettet werden. Das ließ die Staatsverschuldung explodieren, das Haushaltsdefizit betrug 2010 fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung. Aus dem "Keltischen Tiger" wurde ein Pleitekandidat, der genau wie Griechenland, Zypern, Spanien und Portugal Schutz unter dem Euro-Rettungsschirm suchen musste.

Keltischer Tiger: Diesen Titel erwarb sich Irland in den neunziger Jahren, als Ökonomen erstaunt auf den Boom im einstigen Armenhaus Europas blickten. Reihenweise investierten ausländische Konzerne auf der Insel, eröffneten Fabriken. Die Wirtschaft wuchs im Rekordtempo, befeuert von Exporten. Angelockt wurden die Firmen von der Aussicht auf gut ausgebildete, junge und englischsprachige Mitarbeiter sowie den niedrigen Steuern auf Gewinne. Der Satz liegt bei 12,5 Prozent, was Irland regelmäßig den Vorwurf einbringt, Konzernen bei der trickreichen Steuervermeidung zu helfen. Die EU-Kommission untersucht zudem, ob irische Finanzbehörden dem Technologie-Unternehmen Apple in illegalen Absprachen besonders geringe Steuern zusagten - ein Ergebnis wird vor Weihnachten erwartet.

Die Exportindustrie war von der Krise nicht betroffen

Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich auf der boomenden Insel aber eine gefährliche Immobilienblase, auch wegen der niedrigen Zinsen nach Einführung des Euro. Nach dem Crash waren dann die Zweifel groß, ob Irland rasch wieder zurückfinden werde auf den Erfolgspfad. John FitzGerald hingegen äußerte sich schon damals zuversichtlich. Der Volkswirt ist Professor am Trinity College in Dublin und sitzt im Führungsgremium der irischen Zentralbank.

Der schmucke Campus der Hochschule ist eine Touristenattraktion der Stadt, wenn auch nicht ganz so beliebt bei Gästen wie die Guinness-Brauerei. FitzGeralds Büro befindet sich jedoch in einem eher hässlichen Betonklotz auf dem Gelände. "Der kräftige Aufschwung überrascht mich nicht", sagt er. "Ich hätte allerdings gedacht, dass er etwas später einsetzt."

Das "irische Modell" funktioniere weiterhin, erklärt der Professor: viele Ausfuhren, viele Investitionen ausländischer Konzerne. Die Krise habe die Bauwirtschaft und die Banken hart getroffen, nicht aber die Exportindustrie, sagt er. Tatsächlich profitieren Unternehmen sogar davon, dass wegen des Crashs die Löhne gesunken sind; der schwache Euro-Kurs hilft den Exporteuren genauso.

Inzwischen zieht die Nachfrage im eigenen Land ebenfalls an: Die Bürger, die Regierung und Firmen geben wieder mehr Geld aus - logische Folge sind die rekordhohen Wachstumszahlen. Irland hat sich also aus der Krise herausexportiert.

Besserung ist in Sicht - wenn nur der Boom anhält

Der Schuldenberg des Staates ist allerdings immer noch beunruhigend groß. Die Außenstände betragen 97 Prozent der Wirtschaftsleistung. FitzGerald glaubt jedoch, dass der Wert bis 2020 auf unter 60 Prozent sinken könnte. Schließlich wächst die Wirtschaft schnell, das Haushaltsdefizit ist klein. Außerdem wird die Privatisierung der Banken, bei denen der Staat während der Turbulenzen einstieg, viele Milliarden erlösen. Mit so einem Schuldenstand würde Irland wieder zu den Musterknaben Europas zählen.

Voraussetzung dafür ist aber, dass die Konjunktur weiter gut läuft. Sollte die Weltwirtschaft in Schwierigkeiten geraten, etwa durch Probleme in China, wäre es rasch vorbei mit der irischen Exportherrlichkeit. Und sollten sich die Briten in ihrer Volksabstimmung 2016 oder 2017 für einen Austritt aus der EU entscheiden, würde das nirgendwo mehr Unsicherheit schüren als in Irland - Nachbar Großbritannien ist wichtigster Handelspartner.

Ökonom FitzGerald sagt, der Hauptunterschied zwischen Griechenland - dem scheinbar ewigen Krisenfall - und Irland sei schlicht, dass Griechenland kein funktionierendes Wirtschaftsmodell gehabt habe "und immer noch nicht hat". Irland dagegen habe nur zum bewährten Erfolgsrezept zurückkehren müssen.

Mit Sparpaketen hat sich die Regierung nicht beliebt gemacht

Auf einen Erfolg hofft auch die Regierungskoalition: bei den anstehenden Parlamentswahlen. Doch Umfragen legen nahe, dass die zwei Parteien viele Sitze und damit ihre Mehrheit im Dáil Éireann verlieren werden - dies ist der Name des Unterhauses auf Irisch. Zuwächse werden für Sinn Féin vorhergesagt. Die Partei galt früher als politischer Arm der Terrorgruppe IRA; nun profiliert sie sich in der Republik Irland als linke Protestpartei gegen Sparprogramme.

Die Zahl unabhängiger Abgeordneter soll ebenfalls kräftig steigen. Am Ende könnten die zwei Regierungsparteien vielleicht weitermachen, müssten dafür aber eine Reihe unabhängiger Parlamentarier in ihre Koalition einbinden. Das verspräche eine mühsame Regierungsbildung und eine eher wackelige Koalition.

Brendan Howlin ist einer der Labour-Minister in der Regierung. Der 59-Jährige ist zuständig für Staatsausgaben und Reformen im öffentlichen Dienst. Der Absturz in den Umfragen überrascht ihn nicht: "Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen, ist kein Rezept, um beliebter zu werden", sagt er mit Blick auf die Sparpakete der vergangenen Jahre.

Doch die Zeiten des Knauserns sind jetzt, pünktlich zu den Wahlen, vorbei. In dieser Woche präsentierte die Regierung ihren Haushaltsentwurf für 2016 und verteilte munter Wahlkampfgeschenke: Sozialleistungen rauf, Steuern runter. Dank des Wirtschaftsbooms soll das Staatsdefizit trotzdem sinken. "Viele Bürger fühlen den Aufschwung noch nicht", sagt Howlin. Die Wohltaten der Regierung sollen das ändern. Und der Koalition eine zweite Amtszeit bescheren.

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