Flugsicherheit:Internationales Frühwarnsystem fehlt noch immer

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Der Abschuss eines ukrainischen Flugzeuges in Iran zeigt: Der Luftverkehr in Krisenregionen ist nicht ausreichend geregelt - die Branche müsste wohl selbst aktiv werden.

Von Jens Flottau, Frankfurt

MH 17 hätte der Wendepunkt sein sollen. Damals, im Juli 2014, war eine Boeing 777 der Malaysia Airlines von pro-russischen Kräften über der Ukraine abgeschossen worden, 298 Menschen kamen ums Leben. Der Untersuchungsbericht der in diesem Fall mit-zuständigen niederländischen Luftfahrtbehörde machte klare Defizite aus: Der Luftraum hätte gesperrt sein müssen, es gab kein funktionierendes internationales Frühwarnsystem.

Mehr als fünf Jahre später ist wieder ein Flugzeug abgeschossen worden: Am 8. Januar zerstörten zwei Boden-Luft-Raketen der iranischen Armee eine Boeing 737 der Ukraine International Airlines, die gerade in Teheran gestartet war - dieses Mal starben 176 Menschen. Die International Air Transport Association (IATA), der Weltverband der Fluggesellschaften, bezeichnet den Abschuss als "Skandal" und findet es "schockierend", dass Iran und der Irak der Informationspflicht zu Sicherheitsrisiken nicht nachgekommen sind. "Das Problem existiert seit Jahrzehnten, aber die Community hat nicht den Mumm, Entscheidungen zu treffen, die wehtun", kritisiert Georg Fongern, der bei der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) die Arbeitsgruppe Sicherheit leitet.

Das Problem ist: Auch nach MH 17 ist zu wenig passiert. Die International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, hatte zwischenzeitlich eine Datenbank für Krisengebiete eingerichtet, doch mittlerweile ist diese wieder abgeschafft worden, auf politischen Druck aus betroffenen Ländern, wie Kritiker sagen. Internationale Behörden koordinieren ihr Vorgehen und ihre Sicherheitsempfehlungen kaum. Geheimdienstinformationen werden nur ungern geteilt, und in Zeiten großer Spannungen zwischen den USA und Europa beklagen die Fluggesellschaften, dass der Austausch noch schlechter geworden ist. Die Qualität der Informationen, die europäische Dienste weitergeben, ziehen sie ebenfalls in Zweifel und verlassen sich lieber auf informelle Netze und private Initiativen.

Die europäische Behörde darf nur Empfehlungen geben - keine Befehle

Das Resultat war am 8. Januar und danach in Iran zu sehen. Die amerikanische Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) hatte den US-Airlines schon nach den iranischen Attacken auf US-Basen im Irak am Morgen verboten, in den iranischen Luftraum einzufliegen. Die European Aviation Safety Agency (EASA) empfahl den europäischen Fluglinien erst am 11. Januar, alle Flüge zu vermeiden. Anders als die FAA kann sie nur Empfehlungen aussprechen, nicht aber Verbote. Am 16. Januar veröffentlichte sie dann ein sogenanntes Crisis Zone Information Bulletin (CZIB), das bis Juli gilt und von Flügen unter 25 000 Fuß abrät. Die erste, restriktivere Empfehlung bleibt zugleich bestehen.

Die Airlines beraten, wie es weitergeht. Lufthansa hatte zunächst bis einschließlich 20. Januar alle Flüge nach Teheran abgesagt. Am vergangenen Freitag entschied der Konzern dann aber, bis 28. März Flüge nach Teheran zu streichen sowie Flüge durch den iranischen Luftraum zu vermeiden. Nach Erbil im Irak fliegen aber sowohl Lufthansa als auch die Konzerntochter Austrian weiterhin, obwohl andere Airlines auch den irakischen Luftraum meiden. VC-Sicherheitsexperte Fongern kritisiert dies - auch Erbil sei in einer Krisenregion, die Fluggesellschaften sollten eine gemeinsame Linie verfolgen.

Dies gilt aber nicht einmal für Iran. Amerikanische und europäische Airlines meiden den Luftraum. Die Fluggesellschaft Emirates fliegt derzeit zwar noch nach Teheran, aber sonst um Iran herum, und zwar auf dem Weg nach Europa über den Irak. Viele andere Fluggesellschaften wie Qatar Airways, Turkish, Aeroflot, Fly Dubai oder Air Arabia fliegen weiterhin über Iran.

Schon im Dezember, also vor dem Abschuss des Fluges PS 752 in Teheran, hatte die EASA eine neue Initiative angestoßen. Bei einem Workshop zu Krisenzonen schlug die europäische Flugsicherheitsbehörde unter anderem vor, eine zentrale Stelle einzurichten, an die sich Fluggesellschaften rund um die Uhr wenden können. Diese Stelle soll mit allen zur Verfügung stehenden Informationen gefüttert werden, sie soll nicht nur den Airlines, sondern auch anderen Beteiligten wie Gewerkschaften offenstehen. Unklar ist allerdings, welche nicht-europäischen Behörden mitmachen und wie der rechtliche Rahmen definiert wird.

Die IATA hat sich bislang zurückgehalten mit Sicherheitsempfehlungen, weil sie für eine aktivere Rolle kein Mandat ihrer Mitglieder hat. Doch der neueste Abschuss hat die Diskussion wieder schwer in Gang gebracht. Wenn es sonst keine funktionierenden Mechanismen gibt, auf deren Basis die Fluggesellschaften fundierte Entscheidungen treffen können, müssten sie vielleicht selbst aktiv werden, heißt es in der Branche.

© SZ vom 21.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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