Atomabkommen mit Iran:Wie die Träume der deutschen Industrie platzen

FILE PHOTO: A gas flare on an oil production platform in the Soroush oil fields is seen alongside an Iranian flag in the Persian Gulf

Der französische Öl-Konzern Total hat Milliarden Dollar im Persischen Golf investiert. Was geschieht nun mit dem Geld?

(Foto: REUTERS)
  • Der neue US-Botschafter in Berlin hatte bereits gefordert, dass deutsche Unternehmen, die in Iran tätig sind, den Betrieb "unverzüglich" einstellen sollen.
  • "Wer sich jetzt noch stark in Iran engagiert, bekommt Probleme im US-Geschäft", sagt ein Industrievertreter.

Von Caspar Busse, Elisabeth Dostert, Thomas Fromm, Christoph Giesen und Henrike Roßbach

Wie voll der Regierungsflieger ist, wenn ein Minister ins Ausland reist, ist ein guter Indikator dafür, wie interessant die deutsche Wirtschaft das Land findet, in das die Reise geht. Als Sigmar Gabriel (SPD), damals noch Bundeswirtschaftsminister, im Herbst 2016 am Berliner Flughafens Tegel ins Flugzeug Richtung Teheran stieg, war es sehr voll. 120 Unternehmensvertreter saßen dicht an dicht, bis in die Holzklasse hinein. Bekannte Namen wie Linde, Wintershall, Bilfinger, Airbus, Boehringer Ingelheim, SAP oder Voith tauchten auf in der ungewöhnlich dicken Delegationsbroschüre, hinzu kamen Maschinen- und Anlagenbauer, Energiespezialisten, Logistiker, Architekten, Spezialchemie-Firmen. Alle wollten sie nach Iran.

Damals, neun Monate nachdem die Sanktionen des Westens im Zuge des Atomabkommens aufgehoben worden waren, sprossen die Hoffnungen. Man wollte wieder anknüpfen an jahrzehntelange Wirtschaftsbeziehungen, die durch die Sanktionen unterbrochen worden waren. Iran, das war für alle ein Markt mit jungen, gut ausgebildeten Menschen, Rohstoffen und einem gewaltigen Investitionsbedarf, ob in Industrie, Verkehr oder Gesundheit.

Schadensbegrenzung statt große Verträge

Seit Präsident Donald Trump in dieser Woche den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran verkündet und neue Sanktionen angekündigt hat, sind die Träume geplatzt. Peter Altmaier (CDU), Gabriels Nach-Nachfolger als Wirtschaftsminister, muss statt von "großen Verträgen mit großen Firmen" nun von "Schadensbegrenzung" sprechen.

Gleichzeitig steigt die Angst in den deutschen Unternehmen, auch unter den Bann der USA zu geraten. "Für den amerikanischen Appell, dass deutsche Unternehmen ihr Geschäft in Iran sofort zurückfahren sollten, haben wir kein Verständnis", sagt Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

Der Druck der US-Regierung auf Unternehmen mit Iran-Geschäft erhöhe sich "dramatisch mit unabsehbaren Folgen". Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, hatte bereits gefordert, dass deutsche Unternehmen, die in Iran tätig sind, den Betrieb "unverzüglich" einstellen sollen. "Wer sich jetzt noch stark in Iran engagiert, bekommt Probleme im US-Geschäft", sagt ein Industrievertreter, der nicht genannt werden möchte. Probleme im - deutlich größeren - US-Geschäft will keiner haben. Dann lieber das bislang schwache Iran-Geschäft abschreiben.

79,9 Millionen

Menschen leben nach der jüngsten Volkszählung aus dem Jahr 2016 in Iran, das sind ungefähr so viele wie in Deutschland. Die Fläche des Landes ist dagegen mehr als viermal so groß. Der Altersdurchschnitt liegt bei lediglich rund 31 Jahren, die Bevölkerung ist damit deutlich jünger als in Deutschland (Durchschnitt etwa 47 Jahre). Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt nach Schätzung nur bei etwa 20 000 Dollar, weit hinter dem von Deutschland. Iran hat einen großen wirtschaftlichen Nachholbedarf. Zuletzt öffnete sich das Land auch für Touristen.

Zum Beispiel Airbus. Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern hat bereits Aufträge reingeholt. Iran Air hat 98 Airbus-Maschinen bestellt mit einem Wert von knapp 20 Milliarden Euro. Drei wurden schon ausgeliefert, eine Kurzstreckenmaschine direkt an Iran Air, zwei weitere A 330 für die Mittelstrecke über einen Leasinggeber. Und die übrigen 95 Flieger? Das könnte jetzt auf der Kippe stehen.

US-Finanzminister Steven Mnuchin kündigte bereits an, dem europäischen Flugzeugbauer und dem amerikanischen Konkurrenten Boeing, der weitere 80 Maschinen an Iran liefern will, die Lizenz zum Verkauf von Passagiermaschinen dorthin zu entziehen. "Airbus wird seine Entscheidung in den nächsten Tagen bekanntgeben", sagte der Berater von Irans Verkehrsminister Asghar Fachrieh-Kaschan. Airbus wollte sich dazu nicht äußern.

Immerhin knapp 3,4 Milliarden Euro betrug das deutsch-iranische Handelsvolumen im vergangenen Jahr, gut 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Das war zwar ein kräftiges Wachstum, erhofft hatten sich Wirtschaft und Politik weit mehr. Kernproblem waren die US-Finanzsanktionen, die unberührt vom Atomabkommen weiter in Kraft blieben. Sie erschwerten die Finanzierung größerer Geschäfte mit Iran; auch deutsche Banken wollten keinen Ärger mit Amerika und hielten sich zurück.

"Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen zu schützen"

Nun dürften die Banken gar nichts mehr machen. Minister Altmaier bot betroffenen Firmen zwar Hilfe an und beteuerte, Deutschland wolle an den Hermesbürgschaften auch für Iran festhalten. Im Deutschlandfunk sagte er am Freitag aber auch: "Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen."

WIR

Noch in trauter Eintracht: Die amerikanische neben der iranischen Flagge, jetzt haben die USA das Atomabkommen gekündigt.

(Foto: Carlos Barria/AFP, Stefan Dimitrov)

Kein Wunder, dass Siemens - wie viele andere Unternehmen - ausdrücklich betont, sich strikt an geltende Vorschriften zu halten. Auch der Münchner Konzern, der schon in den Siebzigerjahren ein Atomkraftwerk in Iran bauen wollte, hatte große Hoffnungen, nicht nur auf dem Energiemarkt, und ist jetzt enttäuscht. Keiner will Ärger, in den USA ist die Lage seit Trumps Amtsantritt schon kompliziert genug - auch für die Autobauer.

Es gab Zeiten, lange vor den Sanktionen, da war Iran für Daimler sehr interessant. Man verkaufte an die 10 000 Fahrzeuge, und mit dem Hersteller Khodro Industrial Group hatte man einen potenten Partner vor Ort. Nach dem Ende der Sanktionen nahmen die Stuttgarter die alten Kontakte wieder auf. Denn, so heißt es heute in Stuttgart: Man habe "ein großes Nachholpotenzial" gesehen. In dem Land, in dem große Laster entweder 30 bis 40 Jahre alt sind oder aus China stammen und von dem viele glaubten, dass nun der große Aufschwung komme, konnte sich ein Hersteller wie Daimler Hoffnungen auf einen florierenden Absatz machen.

Was drohen kann, ist bei ZTE aus China zu besichtigen: Die Fertigung wurde eingestellt

Aber die Wirtschaft kam nicht in Gang. Gerade mal ein paar Tausend Nutzfahrzeuge, vor allem leichte Lkws der Marke Fuso Canter, sollen zuletzt abgesetzt worden sein. Beispiel VW: Es gab eine Zeit, da machte man in Wolfsburg ein großes Ausrufezeichen hinter das Wort Iran. Als die Sanktionen fielen, rollten erstmals seit 17 Jahren wieder VW ins Land. Der für den Import zuständige Kooperationspartner hieß seit dem Sommer 2017 Mammut Khodro, und VW teilte damals freudig mit: "Mit dem Import von Tiguan und Passat knüpft Volkswagen in Iran an eine lange Tradition an. Bereits in den Fünfzigerjahren war die Marke mit dem Käfer im Straßenbild präsent." Nun gehe es darum, "der iranischen Bevölkerung moderne Technologie "made in Germany" anzubieten." Heute klingt das Ganze weniger euphorisch. "Volkswagen hält sich an alle geltenden nationalen und internationalen Gesetze und Export-Regularien", teilte VW nun schmallippig mit. Seit der Rückkehr ins Land, so Schätzungen, seien keine 2000 VW-Modelle importiert worden - bei mehr als zehn Millionen verkauften VW-Autos weltweit.

Es geht dennoch um viel Geld: Der französische Öl-Konzern Total etwa hat Milliarden Dollar im Persischen Golf investiert. Und nun? Wie soll man mit der veränderten Lage umgehen? "Keiner traut sich mehr etwas zu sagen", erzählt ein deutscher Unternehmer, der sowohl in den USA als auch in Iran tätig ist. In vielen öffentlichen Äußerungen werde "gelogen, was das Zeug hält, um es sich nicht mit den Amerikanern zu verscherzen". Die Entscheidung Trumps treffe fast jedes Unternehmen, selbst wenn es mit Schokohasen handele. "Das muss jeder für sich beurteilen, ob er erpressbar ist", sagt Klaus Friedrich, Experte des Maschinenbauverbandes VDMA. Es gebe einige Maschinenbauer, die es sich leisten könnten, auf den US-Markt zu verzichten, und solche, die ohnehin keine Waren in die USA liefern. "EU-Embargos sind für uns rechtsverbindlich, das wissen auch die Kunden", sagt Friedrich. "Ausländische Embargos sind das nicht, ergo bedrohen nationale Alleingänge anderer Staaten einen Lebensnerv der deutschen Industrie."

Auch bei BASF stellt sich nun die Frage, wie es weitergehen soll. Der Chemiekonzern setzte im vergangenen Jahr mit Kunden in den USA 13,1 Milliarden Euro um. In Iran war es nach Firmenangaben ein "hoher zweistelliger" Millionenbetrag. In Nordamerika, also den USA, Mexiko und Kanada, beschäftige BASF etwa 18 000 Mitarbeiter an mehr als 100 Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorten. "BASF wird die nun herrschende Lage analysieren", heißt es dort. Und man halte sich an "alle geltenden internationalen gesetzlichen Vorschriften", teilt BASF wie Siemens und die Autobauer mit.

Der große Nutznießer könnten chinesische Unternehmen sein. Nach dem Ende der Sanktionen gegen Iran hatten Peking und Teheran vereinbart, den wechselseitigen Handel in den kommenden zehn Jahren auf 600 Milliarden Dollar mehr als zu verzehnfachen. Dem fühlt China sich weiterhin verpflichtet und kritisiert die Entscheidung aus Washington scharf.

Was Konzernen droht, die trotz der US-Entscheidung in Iran tätig sind, ist beim chinesischen Smartphonehersteller ZTE zu besichtigen. Das Unternehmen teilte mit, die "wichtigsten Geschäftsaktivitäten" seien eingestellt worden. Im April hatten die USA angekündigt, ZTE für sieben Jahre vom Zugang zu amerikanischer Technologie auszuschließen. Die Strafe für ZTE geht auf Lieferungen von Telekom-Ausrüstung nach Iran und Nordkorea zurück. Statt vor Trump einzuknicken, startete China demonstrativ eine neue Zugverbindung nach Iran. Die ersten Güterwagen fuhren am Donnerstag mit 1150 Tonnen Sonnenblumenkernen aus der Inneren Mongolei ab. In 15 Tagen soll der Zug in Teheran eintreffen.

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