iPhone:Schau mir in die Infrarotkamera

Apples neue Gesichtserkennung wird mit viel Technik und Aufwand betrieben. Wie gut sie ist, werden bald viele testen.

Von Marvin Strathmann und Hakan Tanriverdi

Apple press conference

Spot auf Philip Schiller: Apples Marketing-Chef zeigt die Gesichtserkennung.

(Foto: Josh Edelson/AFP)

Mit dem neuen iPhone X hat Apple am Dienstag auch eine neue Technik vorgestellt: Face ID, automatische Gesichtserkennung. Da die Vorderseite des neuen iPhones fast nur noch vom Display bedeckt wird, gibt es keinen Platz mehr für den Home-Button mit eingebautem Fingerabdruck-Sensor, über den sich das Telefon entsperren ließe. Statt den Sensor auf die Rückseite zu verschieben wie andere Hersteller, hat Apple ihn entfernt und bietet als Ersatz nun Gesichtserkennung an.

Um das Telefon zu entsperren, schaut der Nutzer es einfach an. Damit das Handy ein Gesicht zuverlässig erkennt, packt Apple sehr viel Technik in die obere Leiste, in der die Selfie-Kamera sitzt. Ein kleiner Projektor wirft 30 000 unsichtbare Punkte auf das Gesicht des Nutzers. Sie werden von einer eingebauten Infrarotkamera gelesen, um ein 3D-Abbild des Gesichts zu erstellen. Dank Infrarotlicht soll das auch im Dunkeln funktionieren, behauptet Apple. Dazu sind ein Näherungssensor und ein Sensor für Umgebungslicht eingebaut.

True Depth nennt Apple das System - wahre Tiefe. Aus den Daten der Sensoren berechnet das neue iPhone ein mathematisches Modell des Gesichts. Das soll auch dann zuverlässig funktionieren, wenn der Nutzer einen Hut, eine andere Frisur oder eine neue Brille trägt. Allerdings erfordert das iPhone X die komplette Aufmerksamkeit seines Besitzers: Die Augen müssen offen und auf das Handy gerichtet sein, wenn er es per Face ID entsperren möchte.

Face ID speichert das Gesicht des individuellen Nutzers. Es unterscheidet sich deshalb von Technik, die Gesichter von Millionen Menschen automatisiert erfassen soll, so wie das derzeit zum Beispiel am Bahnhof Südkreuz in Berlin getestet wird.

Durch die neue Technik könnte es etwas umständlicher als bisher werden, das iPhone zu entsperren - etwa, wenn es auf einem Tisch liegt. Statt nur einen Finger auf das Handy zu legen, muss der Nutzer es hochheben und die passende Pose für die Gesichtserkennung finden. Während Geräte mit Fingerabdruck-Sensor schon in der Hosentasche entsperrt werden können, muss das neue iPhone erst vors Gesicht gehalten werden. Das mag nur eine Sekunde länger dauern, aber Nutzer sind bequem.

Apple will die Gesichtserkennung nicht nur nutzen, um das iPhone zu entsperren. Auch der Bezahldienst Apple Pay oder Apps wie 1Password sollen die Authentifizierung per Gesicht verwenden. Das System muss also reibungslos und schnell funktionieren, wenn Apple seine Kunden nicht verärgern möchte.

Maskenbildner aus Hollywood sollen Gesichter gefertigt haben zum Sicherheitstest von Face ID

Als ein Apple-Mitarbeiter das Feature nach der Veranstaltung am Dienstag vorführte, soll es gut funktioniert haben - berichtet die Technik-Seite The Verge. Auf der Webseite des Magazins Wired liest sich das allerdings anders: Die Gesichtserkennung funktioniere entweder unglaublich schnell oder gar nicht. Wie gut es im Dämmerlicht oder in dunklen Räumen klappen wird, bei Menschen mit bunten Tüchern oder ausgefallenen Brillen auf dem Kopf, wird sich erst in der Praxis zeigen, wenn sich Millionen Menschen ein iPhone X vors Gesicht halten.

Doch wie sicher ist Apples Face ID? Auf den ersten Blick gibt es einen klaren Vorteil und einen klaren Nachteil, wenn es um die Privatsphäre geht. Der Vorteil ist, dass ein Gesicht einzigartig ist und daher besser als ein schlecht gewähltes Passwort. Der Nachteil: Man hat nur ein Gesicht. Finden Angreifer einen Weg, die Gesichtserkennung auszutricksen, ist der Besitzer dem Angriff ausgeliefert. Dasselbe Problem hatte auch der Fingerabdruck-Sensor. Es wird also darauf ankommen, wie viel Energie Apple in die Sicherheit von Face ID gesteckt hat. Im Vergleich zu anderen Herstellern sind iOS-Systeme in der Regel gut abgesichert. Das liegt daran, dass Apple sowohl Hard- als auch Software kontrolliert - und damit komplett überblickt, wie das Design funktioniert und wie sich Sicherheitsmerkmale einbetten lassen.

Gefragt, wie sicher die Technik ist, lautet Apples Antwort erwartungsgemäß: sehr sicher, das Gesicht sei "das beste Passwort". Die Entwickler hätten sehr viel Arbeit investiert, um hohe Sicherheitsstandards aufrechtzuerhalten. Nachdem die Kamera die 30 000 unsichtbaren Punkte auf das Gesicht projiziert hat, kommt ein neuronales Netzwerk zum Einsatz: Algorithmen, die - vereinfacht gesagt - funktionieren wie das menschliche Gehirn und die Millionen von Datenpunkten verarbeiten können. Die Daten des Gesichts werden verschlüsselt und durch Secure Enclave geschützt - so heißt Apples Sicherheitsarchitektur. Nicht Bilder werden gespeichert, sondern mathematische Darstellungen.

Allerdings: Mehreren IT-Sicherheitsforschern ist es gelungen, Software zur Gesichtserkennung zu überlisten. Einer von ihnen trickste das System des chinesischen Unternehmens Alibaba aus, indem er einfach ein Video von sich selbst aufnahm und dieses dann der Kamera vorspielte. Jan Krissler überlistete den Irisscanner des Samsung 8. Dazu fotografierte der Fachmann seine Augen mit einer Kamera mit Infrarotfilter und leuchtete sie mit einem Infrarotstrahler an, wie Zeit Online berichtet. Weil er auch eine spezielle Kontaktlinse verwendete, kam er an den Sicherheitsschranken vorbei.

Im Gegensatz zur Technik der Konkurrenz konzentriert sich Apple auf das gesamte Gesicht. Damit sollte ausgeschlossen sein, das Smartphone zu entsperren. Allerdings sei es den IT-Sicherheitsforschern von SR Labs 2015 gelungen, durch Gipsmodelle eines Gesichts auch 3D-basierte Ansätze zu überlisten, meldet Wired. Karsten Nohl ist IT-Sicherheitsforscher, er hat die Firma SR Labs gegründet und auch 3D-Modelle ausgetrickst, mit hohem Aufwand: "Das Gesicht ist schwerer zu fälschen als ein Fingerabdruck", fasst er zusammen.

Laut Phil Schiller, bei Apple für Marketing zuständig, ist das Unternehmen auch auf das Szenario mit den 3D-Modellen vorbereitet. Maskenbildner aus Hollywood seien beauftragt worden, Gesichter zu fertigen, an denen Face ID getestet wurde: Die Gesichter hätten das System nicht überlisten können. Auch die Fehlerrate soll laut Apple niedriger sein: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anderes das Smartphone per Fingerabdruck entsperren kann, liege bei eins zu 50 000, mit der Gesichtserkennung bei eins zu einer Million.

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