Investorenschutz bei TTIP:Wenn Schiedsrichter Verteidiger brauchen

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Das Schiedsgericht in Den Haag. Vor kurzem wurde hier die Klage der Aktionäre des Ölkonzerns Yukos gegen Russland entschieden, bald der Fall Philip Morris gegen Australien. (Foto: Guus Shoonewille/dpa)

Die Kampagne gegen "Geier" und "Geheimgerichte" wirkt: TTIP könnte kippen, weil die Gegner sich auf die Klagerechte für Unternehmen und die umstrittenen Schiedsgerichte eingeschossen haben. Drei Treffen mit Diplomaten und Lobbyisten, die langsam verzweifeln.

Von Jannis Brühl, Brüssel/München

Die Schiedsgerichte, vor denen Unternehmen Staaten verklagen können, sind der brisanteste Punkt der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Die Schutzklauseln ermöglichen es ausländischen Unternehmen, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie sich enteignet fühlen - außerhalb nationaler Rechte. Gegner des Mechanismus namens ISDS ( investor state dispute settlement) schmähen die Kammern als "Geheimgerichte". Sie sehen die Demokratie durch eine "Schattenjustiz" gefährdet, in der gut bezahlte Anwälte um das Geld der Bürger feilschen. Was ist dran an dieser Kritik? Und wie sehr prägt der Disput die Verhandlungen? Drei Treffen mit einem entnervten Top-Beamten der EU, einem Lobbyisten für die als "Geier" verunglimpften Anwälte und einem erstaunlich gut gelaunten Diplomaten Barack Obamas.

Der Schachspieler

Manche Versuche von Lobbyisten, ihn zu beeinflussen, nimmt Frank Hoffmeister mit Humor: Die Kuh aus Kunststoff haben ihm Bauern überreicht, es ging um Milchpreise. Er hat ihr ein Schild umgehängt: "proud to be liberal" - stolz, liberal zu sein. So viel zu seinem Verhältnis von Staat und Markt. Die Kuh steht auf seinem Fensterbrett im Berlaymont, einem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel. Der Jurist Hoffmeister ist 44 Jahre alt, FDP-Mitglied und Kabinettsvize von Handelskommissar Karel De Gucht. Damit ist er für das Abkommen TTIP zuständig. Hoffmeister ist genervt von den Gegnern des Abkommens, ihren Argumenten und ihrem Erfolg. "Massive Desinformation" wirft er ihnen vor. Die deutsche Regierung knickt schon ein. Sie will die Investorenschutzklauseln nun doch aus dem Vertrag streichen.

Gestresst ist Hoffmeister, weil er immer weniger Einfluss auf die öffentliche Debatte hat. Freihandelsfreunde wie er sind gegen linke Gruppen in die Defensive geraten. Hoffmeister sagt: "Wenn die Gegner behaupten, dass die EU Investoren Gewinne garantiert, dann ist das schlicht falsch." Es gehe um Entschädigung für Fälle extremer staatlicher Willkür. Die Staaten selbst bauten das System seit Jahrzehnten aus, damit will er nichts zu tun haben. "Als Sündenbock wurde die Kommission identifiziert, die angeblich amerikanischen Großkonzernen das Recht einräumt, Deutschland kaputtzumachen."

Findet, die Ziele der EU-Kommission würden falsch dargestellt: Frank Hoffmeister (Foto: EU)

Hoffmeister trägt eine Krawatte voller Pferdeköpfe. Es sind Springerfiguren, er spielt Schach, sein EU-Team ist mal in die zweite belgische Liga aufgestiegen. Die Partie um TTIP aber droht ihm nach guter Eröffnung zu entgleiten. Deshalb ist seine Taktik nun: zuhören. Die Kommission hatte die Verhandlungen über den Investorenschutz für Monate eingefroren, um Bürger nach ihrer Meinung zu fragen. Und sie verspricht, das System durch das Freihandelsabkommen grundlegend zu verbessern. Auch Hoffmeister spricht von "Missbrauchsmöglichkeiten". Aber die EU werde das ändern: "Man muss die Schutzstandards so eng und präzise formulieren, dass Schiedsrichter sich genau daran halten."

Er zieht einen Ordner aus dem Regal, blättert zu einer Seite mit zwei Spalten. In der einen steht nur ein Satz. So sieht ein zentraler Punkt des Investorenschutzes in bisherigen Abkommen aus. Ein Satz, viel Spielraum für Firmen, sich absurde Klagen einfallen zu lassen. Hoffmeisters Finger fährt die zweite Spalte ganz runter, dann weiter auf die nächste Seite: mehr als 30 Zeilen. Das sei die Klausel, welche die Kommission in das Abkommen schreiben wolle, sagt er. Da steht nun genauer: Wer darf klagen? Was ist Enteignung, was nicht? Wann sind Vorwürfe so lächerlich, dass sie abgelehnt werden müssen? Seiner Meinung nach hat er genug Licht ins Dunkel gebracht, das zeige doch der Vergleich in seinem Ordner. Aber da draußen reden sie immer noch von Schattenjustiz.

Das liegt vor allem an einem grünen Heft mit dem Titel "Profit durch Un-Recht", die Organisation Corporate Europe Observatory hat es 2012 veröffentlicht. Sie hat nicht so viel Geld wie Industrielobbys, weiß aber, wie man Menschen mobilisiert. Zum Beispiel mit plumpen Bildern: In dem Bericht sind jene auf Schiedsverfahren spezialisierten Juristen schlicht "Geier" - Nutznießer eines Systems, das die Kassen von Ländern ausplündert. Die Anwälte verdienen an jedem Schiedsverfahren, sie sind den Autoren zufolge voreingenommen - im Sinne der Investoren. Auf dem Cover des Berichts eine Zeichnung: Anzugträger ohne Gesichter, gezeichnet im Stil des Vorspannes der Serie "Mad Men". In der geht es um Männer in weißen Hemden mit dunklen Geheimnissen. Die Figuren auf dem Bericht stoßen mit Champagner an, neben einem Koffer voller Geld ( ganzer Bericht als PDF).

Es ist anstrengend für Blazej Blasikiewicz, gegen solche Bilder zu kämpfen. Früher war er erfolgreicher Kickboxer in seiner Heimat Polen, heute macht er brasilianisches Jiu-Jitsu. Hilft alles nichts. Jetzt hat er es mit Freihandelsgegnern zu tun, und die verstehen seiner Ansicht nach nichts von FDI. Das Kürzel steht für "foreign direct investment" - ausländische Direktinvestitionen. Sie zeigen, wie attraktiv Länder für Firmen sind. Aber globaler Kapitalismus, meint Blasikiewicz, sei nur etwas für die Mutigen: "Die meisten Kritiker haben nie ein Geschäft geführt und nie in anderen Ländern investiert. Die riskieren überhaupt nichts." Da kann er sich nur an den kahlrasierten Kopf fassen und ungläubig durch seine Kastenbrille schauen. Der 30-Jährige sitzt in einem Straßencafé in Brüssel, ihm ist heiß, er ist ungehalten, sein Eistee schäumt beim Eingießen über. Es sind harte Zeiten für die Anwälte, die er mit Leidenschaft verteidigt, und für die sich bis vor Kurzem kaum jemand interessierte. Nun sind die Schlagzeilen so negativ, dass die Branche beschlossen hat, ihre PR zentral zu organisieren.

Blazej Blasikiewicz hält Investorenschutzklauseln für dringend notwendig. (Foto: oh)

Blasikiewicz ist Mitgründer von Efila, einer neu gegründeten Organisation, die sich für ISDS einsetzt. Bezahlt werde er dafür nicht, betont er, und was er sagt, dass sei nur seine persönliche Meinung. Er ist vorsichtig. Überzeugung treibt ihn an, er glaubt, dass Investitionen geschützt werden müssen, als wären sie eine bedrohte Tierart. Er nennt Efila einen "Thinktank", Gegner sagen: Lobbygruppe. Die großen Kanzleien, die an den Schiedsverfahren verdienen, sind mit an Bord. Blasikiewicz hat Wirtschaft studiert, dann Jura, an einem Schiedsgericht gearbeitet, wo Firmen sich gegenseitig verklagen. Dass an den Gerichten eine verfilzte Elite über das Schicksal von Staaten entscheide, bestreitet er: "Es ist kein geschlossener Zirkel. Die Schiedsanwälte haben einfach Qualitäten, die andere Anwälte nicht haben." Wenn ein Staat keinen der oft gebuchten Anwälte wolle, könne er ja auch Professoren oder ehemalige Diplomaten für seine Verteidigung nominieren.

Auch Blasikiewicz will nicht, dass sein Lager für den Streit verantwortlich gemacht wird. "Die Kanzleien haben Schiedsverfahren nicht erfunden. Das System der Investitionsschutzabkommen wurde von Staaten errichtet, um FDI anzuziehen, nicht von Unternehmen." Es ist der indirekte Vorwurf, den viele Verfechter des Investorenschutzes erheben: Wenn Staaten jetzt von ihm abrücken - wie die Regierung Merkel -, dann sei das ein bisschen Heuchelei. Berlin argumentiert, dass Schiedsgerichte für Verträge mit Entwicklungsländern gedacht waren - und nicht für jene zwischen Ländern mit funktionierenden Rechtssystemen wie den EU-Mitgliedern und USA.

So jemanden kann nur Barack Obama schicken. "Das ist eine großartige Frage!", sagt Jai Motwane enthusiastisch nach jeder Frage, die ihm gestellt wird, egal wie unangenehm. Der Mann im perfekt geschnittenen dunklen Anzug hat nichts von den Cowboy-Diplomaten der Ära Bush, die den Europäern arrogant entgegentraten. Motwane ist der US-Unterhändler für das TTIP-Kapitel, in dem es um Investorenschutz geht . Er ist nach München gekommen, um an der Uni mit Studenten in Jeans und T-Shirt zu diskutieren.

US-Unterhändler Jai Motwane findet, die USA gingen transparent mit Investorenklagen um. (Foto: www.fuchs-foto.de)

Der 37-Jährige wirkt jünger, als er ist, und er hat gute Laune mitgebracht. Er lobt den Autokonzern BMW und gesteht grinsend, dass er als Student Freihandel selbst skeptisch sah. Kurz: Er sagt, was man deutschen Studenten sagen sollte, wenn man ihnen Freihandel schmackhaft machen will. Der "american way" des Investorenschutzes sei transparent, sagt Motwane: "Wir machen ISDS seit 15 Jahren ganz anders als die Europäer. Wir stellen alle Dokumente online, alle Verfahren finden öffentlich statt oder werden im Internet gestreamt, schikanöse Klagen können frühzeitig abgewiesen werden." Gegner der Klauseln wollen aber keine Reformen, sie wollen ein Abkommen ganz ohne Investorenschutz.

Dass Motwane nach München reist und junge Europäer anspricht, zeigt, dass auch die US-Regierung mittlerweile fürchtet, dass der Investorenschutz im Abkommen gekippt wird. Deshalb ist er auf Werbetour und beruhigt: "Deutschland ist in Jahrzehnten nur zweimal verklagt worden." Motwane lässt keinen Zweifel daran, dass die USA Investorenschutz für essenziell halten: "Das Abkommen soll einen Standard für die Welt setzen. Sonst wird es schwieriger, Investorenschutz in künftigen Abkommen mit anderen Ländern mit schlechteren Rechtssystemen durchzusetzen."

Ohne es explizit auszusprechen, sagt Motwane da, dass es bei all dem gar nicht so sehr um Europa geht. Die USA fürchten weniger um ihre Investoren in Deutschland oder Polen, sondern in dem Land, mit dem sie nach TTIP das nächste Handelsabkommen verhandeln werden: China.

© SZ vom 12.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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