Süddeutsche Zeitung

Immobilien für Senioren:Investoren entdecken die Moral

Barrierefreier Zugang, Pflegemöglichkeiten in der Nähe - und trotzdem nicht zu teuer: Sozial geförderte Wohnungen werden für Anleger immer attraktiver. Davon profitieren auch die Mieter.

Von Christine Mattauch

Auf den ersten Blick ist es ein Seniorenbauprojekt wie viele andere: Vier Häuser mit 62 Wohnungen, 49 davon zur Miete, alle barrierefrei. Wer hier im Alter wohnt, ist gut versorgt, denn im Gebäude finden sich auch eine Tagespflege, eine Arztpraxis und Physiotherapeuten. Erst auf den zweiten Blick hebt sich der Wohnkomplex, der von diesem Frühjahr an im Luftkurort Lindenberg im Allgäu entsteht, von der breiten Masse ab. Das Besondere: Die Miete ist gedeckelt, auf maximal zwölf Euro pro Quadratmeter. Und das, obwohl hier keine Genossenschaft baut und auch keine Wohltätigkeitsorganisation, sondern ein Projektentwickler, der seine Gebäude an professionelle Anleger verkauft - Versorgungswerke, Versicherungen oder Investment-Gesellschaften.

Bei Bürogebäuden, schicken Wohn- oder Gewerbeparks lief das schon immer so. Bei bezahlbaren, zumal geförderten Wohnungen ist es neu. Lange galten sie als zu renditeschwach für institutionelle Anleger. Doch das ändert sich gerade.

Die GBI Holding AG, die in Lindenberg baut, hat vor einigen Jahren damit begonnen, sich auf geförderte und preisgedämpfte Wohnungen zu spezialisieren. Pro Jahr errichtet die GBI inzwischen mehrere hundert davon, seit 2019 auch barrierefreie Einheiten speziell für Senioren. So wie im bayerischen Heroldsbach, wo ein Komplex mit 25 altengerechten Sozialwohnungen samt Tagespflege, Arzt, Apotheke und Friseur entstand.

"Investoren zu finden ist überhaupt kein Problem", sagt Simon Hübner, im GBI-Vorstand zuständig für Wohnungsbau. "Viele würden am liebsten ein ganzes Portfolio erwerben." Für Menschen, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind, ist das eine gute Nachricht. Wenn Investoren Sozialwohnungen kaufen möchten, dann werden auch welche gebaut.

Drei Gründe gibt es für diese Entwicklung. Erstens ist die Nachfrage von Mietern enorm - um Leerstand müssen sich Eigentümer keine Sorgen machen. Zweitens liegen die Renditen mit knapp drei Prozent nur noch knapp unter denen vieler konventioneller Immobilien. Und drittens gibt es Vorgaben aus Brüssel, die so genannten ESG-Standards, die Investoren erfüllen müssen, wenn sie sich mit dem ESG-Etikett "Nachhaltig" schmücken wollen: E steht für Environment (Umwelt), S für Social (Soziales) und G für Governance (gute Unternehmensführung).

"Wir sind in einer Transformation. Investoren wenden sich verstärkt gesellschaftlichen Fragen zu."

Zunächst stand bei den Standards das grüne Bauen im Vordergrund, jetzt geht es zunehmend auch ums Soziale. Beim "Global Investor Outlook Report 2022" vom Immobiliendienstleister Colliers gaben immerhin elf Prozent der Befragten im europäischen Raum an, in bezahlbaren Wohnraum investieren zu wollen.

"Wir sind in einer Transformation. Investoren wenden sich verstärkt gesellschaftlichen Fragen zu", sagt Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG). "Das kann auch dazu beitragen, Defizite zu beseitigen." Zum Beispiel den Mangel an Seniorenwohnungen auf dem Markt.

Bis 2035 wird in Deutschland der Anteil der Menschen im Rentenalter um 22 Prozent steigen, mit gravierenden Folgen für den Wohnungsmarkt. "Schon jetzt fehlen mindestens 2,5 Millionen barrierefreie Wohnungen, Tendenz steigend", heißt es in einem Positionspapier der Verbraucherzentrale und einem Dutzend weiterer Verbände. Entsprechend hoch ist der Investitionsbedarf: In einer Studie des Hannoveraner Pestel Instituts kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass bereits bis 2030 bundesweit rund drei Millionen altersgerechte Wohnungen zusätzlich gebaut werden müssen.

Dabei wohnen Senioren häufig nicht nur in Wohnungen, die nicht altersgerecht sind, sondern oft auch in viel zu großen Wohnungen oder Häusern, deren Instandhaltung viele überfordert. Die Witwe allein im Reihenhaus, der Rentner in einer geräumigen Altbauwohnung - jeder kennt solche Beispiele. Zugleich suchen junge Familien oft vergeblich nach genau solchen Objekten. Und selbst wenn alte Menschen zum Wechsel in eine seniorengerechte Neubauwohnung bereit wären: Viele von ihnen könnten sich das gar nicht leisten, weil die neue Miete höher sein würde als die alte.

"Seniorenwohnen wird in Zukunft ein Thema für den Massenmarkt sein."

Zu denen, die das ändern wollen, gehört "Lively", ein neuer Anbieter von Servicewohnen in Hamburg. Das Konzept ist eine Mischung aus Hotel mit ambulantem Pflegedienst und einer Groß-WG mit üppigen Gemeinschaftsflächen, die viel Raum für Begegnung bieten: Dachterrasse, Wohnzimmer, Gemeinschaftsküche, Sauna, Co-Working, sogar ein Atelier. Hier sollen sich Senioren wohl versorgt und zugleich nicht einsam fühlen. Alle Wohnungen sind barrierefrei und lassen sich je nach Bedarf weiter nachrüsten, etwa mit Stützgriffen.

Gegründet wurde Lively 2021 von zwei jungen Leuten aus der Hotellerie, Constantin Rehberg und Christina Kainz. Ein wichtiger Kapitalgeber ist der Berliner Immobilien-Investor "Neworld", der nachhaltig investieren möchte, vor allem in Sozialimmobilien. "Seniorenwohnen wird in Zukunft ein Thema für den Massenmarkt sein", sagt Neworld-Geschäftsführer Alexander Lackner. "In dem Bereich entsteht aber recht wenig, was für den Großteil der Menschen auch bezahlbar ist." Bei Lively soll eine 35-Quadratmeter-Wohnung weniger als 1000 Euro kosten - warm, inklusive Nebenkosten und Nutzung der Gemeinschaftsflächen.

Das erste Quartier entsteht im westfälischen Gronau, in dem sanierten Industriedenkmal "Weiße Dame", einer früheren Spinnerei. Neben 123 Apartments von Lively wird es in dem Komplex auch ein Café geben, eine Tagespflege und Pflegeplätze. Zwei bis vier Standorte jährlich will die neue Kette eröffnen. Gründer Rehberg träumt von einem deutschlandweiten Netz von altersgerechten Quartieren.

Es tut sich also etwas am Markt - Lücken werden aber dennoch bleiben. Das gilt vor allem für Metropolen, in denen hohe Bauland- und Baukosten schnell Kalkulationen für günstige Neubauten sprengen.

Nahe München sollen bezahlbare Mehrgenerationen-Häuser für Demenz- und Pflege-WGs entstehen

Bisher sei der Bau geförderter Seniorenwohnungen "eine Nische in der Nische", sagt GBI-Vorstand Hübner. Künftig werde das Thema jedoch massiv an Bedeutung gewinnen. Das nächste Projekt steht für sein Unternehmen bereits an: In einer Gemeinde außerhalb Münchens, soll ein Bau mit einer Kombination aus Sozialstation und Wohnungen entstehen.

Aus Sicht der sozialen Wohnungsunternehmen sind die privaten Investoren willkommen. "Wir begrüßen es, wenn sich neue Akteure engagieren", sagt Tobias Straubinger, Sprecher des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen, dessen Mitglieder auf dem Feld schon lange aktiv sind, auch mit innovativen Lösungen. Die Genossenschaft Maro aus Ohlstadt im Landkreis Garmisch-Partenkirchen etwa baut Mehrgenerationen-Häuser und integriert teilweise Demenz- und Pflege-WGs. Auch in anderen Bundesländern gibt es gute Ansätze: So verdichtete beispielsweise die städtische Wohnungsgesellschaft Gewo in Speyer eine Siedlung mit kleinen seniorengerechten Apartments. Betagte Bewohner können dort somit umziehen, ohne ihr Quartier zu verlassen.

"Angesichts des enormen Bedarfs hilft jedes Projekt", findet Romy Reimer, Projektleiterin beim "Forum Gemeinschaftliches Wohnen" in Hannover. Für sie ist wichtig, dass Investoren die Wohnungen nicht als Spekulationsobjekte betrachten, sondern Rücksicht nehmen auf die Bewohner und ihre Bedürfnisse. "Das ist für mich ein Qualitätsindikator."

GBI-Vorstand Hübner sieht das ähnlich. "Wir wollen das Thema in Zukunft größer denken", sagt er. Heißt: Nicht nur Einzelgebäude errichten, sondern frühzeitig mit den Kommunen über die Gestaltung ganzer Quartiere sprechen. Ob etwas seniorengerecht ist oder nicht, hängt schließlich nicht nur von der Wohnung ab, sondern auch von ihrer Umgebung.

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