Geschlechtergerechtigkeit:Theoretisch mehr Vielfalt

Geschlechtergerechtigkeit: Gemischte Teams sollen erfolgreicher sein.

Gemischte Teams sollen erfolgreicher sein.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Immer mehr große Investoren setzen Unternehmen unter Druck, damit sie mehr Frauen in Top-Positionen befördern. Doch allzu konsequent gehen sie dabei nicht vor.

Von Felicitas Wilke

Ingo Speich ist ein Mann mittleren Alters. Ein Mann, dessen Job es ist, darauf hinzuwirken, dass in den Führungsetagen deutscher Unternehmen bald weniger Menschen seinesgleichen das Sagen haben. Sein Arbeitgeber, die Deka Investment, legt das Geld ihrer Kunden in Aktien von Unternehmen an. Speich, der den Bereich "Sustainability & Corporate Governance" leitet, erwartet von diesen Unternehmen, dass sie in Top-Positionen nicht mehr ganz so oft auf weiße Männer in der zweiten Lebenshälfte setzen. "Wenn ein Unternehmen nicht heterogen aufgestellt ist, dann bleibt viel zu viel Potenzial ungenutzt", sagt Speich. Deshalb sei mehr Vielfältigkeit "im Interesse unserer Kunden".

Mit dieser Einschätzung steht der langjährige Fondsmanager nicht alleine da. Eine Studie der Initiative "Investors 4 Diversity" der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin zeigt: Immer mehr institutionelle Investoren setzen die Unternehmen unter Druck, auf gemischte Führungsteams zu setzen. Dabei geht es ihnen um mehr Frauen in Spitzenpositionen, aber auch um Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund oder anderen Abschlüssen als dem gängigen BWL-Diplom. Die Studie zeigt aber auch: Die Investmentgesellschaften handeln oft nicht nach ihrer eigenen Maxime.

Da institutionelle Investoren wie Deka, Union Investment oder US-Riesen wie Blackrock und Vanguard stellvertretend für ihre Kunden vergleichsweise viele Anteile an den Firmen halten, haben sie Macht: Bewegt sich das Unternehmen ihrer Ansicht nach zu wenig oder in die falsche Richtung, können sie ihr Stimmrecht auf der Jahreshauptversammlung der Aktionäre nutzen, um Mitgliedern des Aufsichtsrats oder Vorstands das Vertrauen zu entziehen. Die neue Studie zeigt: Während 2020 noch die Hälfte der 30 einflussreichsten Investoren eine geschlechtsgemischte Zusammensetzung der Führungsgremien zur Bedingung machte, sich am Unternehmen zu beteiligen, schrieben dies im vergangenen Jahr schon 73 Prozent in ihren Anlagerichtlinien nieder.

"Die Investoren machen das nicht aus Goodwill, sondern weil sie die Bedeutung von Diversität für gute Unternehmensführung sehen", sagt auch Studienautorin Philine Sandhu von der HWR. Tatsächlich legen Untersuchungen nahe, dass sich vielfältig zusammengesetzte Teams positiv auf Geschäftserfolg und Aktienkurs auswirken. Ein kausaler Zusammenhang konnte bislang jedoch nicht nachgewiesen werden.

Erst Nachfragen, dann Druck ausüben

Um herauszufinden, ob ein Unternehmen wirklich Tempo macht für Vielfalt, befragen Fondsmanager regelmäßig die Aufsichtsräte. Denn dieses Gremium besetzt und kontrolliert in einer Kapitalgesellschaft den Vorstand. "Aus den Gesprächen mit den Aufsichtsräten ergibt sich oft ein Eindruck, wie ernst es das Unternehmen mit der Diversität nimmt", sagt Speich. Entsteht das Bild, dass dies nicht der Fall ist, können die Investoren das, wie Speich sagt, "schärfste Schwert" zücken und den Führungsgremien die Entlastung verweigern.

Genau das geschieht aber oft nicht. Dringen sie in der Theorie noch so sehr auf Vielfalt, haben die untersuchten Investoren in 39 Prozent der Fälle entgegen der eigenen Richtlinien votiert. Sie stimmten für einen männlichen Kandidaten, obwohl die eigenen Anforderungen an Geschlechtervielfalt noch nicht erfüllt waren. "Diese Diskrepanz hat uns überrascht", sagt Studienautorin Sandhu.

Das Forscherteam erklärt sich das Ergebnis vor allem so: Es fehle an standardisierten Daten, mit denen sich überprüfen lässt, wie die Unternehmen tatsächlich vorankommen. Wie fördern sie weibliche Talente? Wo auf der Karriereleiter gehen sie verloren? Werden Frauen schlechter bezahlt? "Je weiter unten wir in die Hierarchie des Unternehmens blicken, desto intransparenter wird es, wie dort Positionen besetzt werden", sagt Ingo Speich von der Deka. Und: Desto schwieriger wird es für Investoren, sich ein Bild zu machen.

Mehr Einblicke könnte von 2024 an eine EU-Direktive bringen, die strengere Transparenzpflichten für Unternehmen vorsieht. Auch die zuständige Bundesfamilienministerin Lisa Paus erklärt, sie wünsche sich, dass künftig "auch Kriterien wie Vielfalt, Gleichstellung oder Vereinbarkeit in Unternehmen deutlich besser gemessen, offengelegt und perspektivisch integriert werden". Bleibt ein Haken: Die Fonds- und Investmentgesellschaften sind selbst stark männlich dominiert. "Möglicherweise mangelt es bei manchen auch deshalb an einer gewissen Sensibilität für das Thema", vermutet Sandhu. Ganz von der Hand weisen will Deka-Mann Speich das nicht, sagt aber auch: In seinem Team, das sich Vielfalt ja zum Thema gemacht hat, liege der Frauenanteil bei mehr als 50 Prozent.

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