Investitionen und Jobs:Der amerikanische Freund

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Welcome to Munich: Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner freut sich im Dezember 2015 über die Ansiedlung von IBM in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Der US-Konzern verlagert den Hauptsitz seiner wichtigsten Forschungszentrale nach München, um näher beim Kunden zu sein. 1000 Beschäftigte werden dort künftig am Internet der Dinge arbeiten.

Von Helmut-Martin Jung, München

Ist es ein Verkehrsschild oder nur ein Werbeplakat? Sind die Vibrationen an dem Roboterarm noch normal oder schon ein Zeichen dafür, dass bald etwas kaputtgeht? Selbstfahrende Autos und die vernetzte Produktion - sie und viele andere Wirtschaftszweige setzen mehr und mehr auf künstliche Intelligenz, um sich Fragen wie diesen zu stellen. Viele der Antworten werden künftig aus München kommen: Der IT-Konzern IBM baut in der bayerischen Landeshauptstadt seinen globalen Hauptsitz für diese wichtige Zukunftstechnologie auf.

IBM, ein Veteran der Computerindustrie, eröffnet erstmals in seiner langen Geschichte das Welthauptquartier eines Firmenbereichs außerhalb der USA. "Wir hätten auch nach Asien gehen können", sagt Niklaus Waser, der Leiter des neuen Zentrums für das Internet of Things (IoT), das Internet der Dinge also, in Deutschland meist Industrie 4.0 genannt. Die Gründe, die für München sprachen, überwogen aber. "Für uns war wichtig, in der Nähe der Kunden zu sein", sagt Waser, "wir brauchen die Zusammenarbeit mit Firmen, die sehr tief drinstecken - und die sind eben im süddeutschen Raum besonders stark vertreten."

Dabei geht es um Automobilhersteller ebenso wie um Technologie-Konzerne wie Siemens oder die Schweizer ABB - die liegt, zumindest nach amerikanischen Maßstäben, auch nur einen Katzensprung von München entfernt. In der Allianz und dem Rückversicherer Munich Re haben zwei weitere wichtige Vertreter ihrer Branche ihren Sitz in München. Außerdem gebe es im Süden eine ganze Reihe von Unternehmen, die gerade dabei seien, ihre digitale Transformation umzusetzen. Und schließlich, sagt Waser, kommt noch die TU München dazu, die einen hervorragenden Ruf genieße.

IBM wird in München rund 200 Millionen Dollar investieren. Derzeit arbeiten etwa 100 Menschen in den neuen Gebäuden in der Parkstadt Schwabing, um die 1000 sollen es schon bald werden. Das Besondere an dem Zentrum: Hier wird nicht nur theoretisiert und an Computercodes gebastelt. Hier werden, wenn auch in verkleinertem Maßstab, auch Industrieanlagen aufgebaut, an denen Experten in Zusammenarbeit mit den beteiligten Firmen ganz konkret testen, wie das Erheben und Auswerten großer Datenmengen Fabriken intelligent oder Autos autonom machen kann. Anlagen zur Fördertechnik wird man dort genauso finden wie Roboter. Für IBM ist das Engagement in München Teil einer drei Milliarden Dollar schweren Initiative, mit der die Watson genannte Technologie des Unternehmens in den Markt gebracht werden soll. Bisher hat IBM etwa 6000 Kunden, die diese Software einsetzen, vor acht Monaten waren es erst 4000.

In München wird der Schwerpunkt anfangs auf Branchen wie Versicherungen, Automobilbau und Gesundheit liegen, danach, sagt Niklaus Waser, werde bald auch der Handel dazukommen - gerade hier sieht er große Potenziale. Geplant sind zudem Gespräche mit den Universitäten und Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer.

Als Besonderheit des Zentrums wertet es sein Leiter Waser, dass die Firmen in Kooperation mit den Experten von IBM nicht nur für sich forschen, sondern auch den Kontakt zu anderen Gruppen aus der Industrie suchen könnten. "Wie viel jeder von seiner Arbeit preisgibt, entscheiden aber die Firmen", sagt Waser. Was vertraulich bleiben solle, das werde es auch bleiben. Durch dieses Ökosystem aus Firmen, die oft ähnliche Probleme zu lösen haben, könne ein Mehrwert entstehen.

In der Anwendung von künstlicher Intelligenz und vernetzten Geräten sieht Waser ein großes, bisher kaum ausgeschöpftes Potenzial für nahezu alle Wirtschaftszweige. "Wir nutzen bisher nur wenige Prozent der Daten, die wir produzieren." Das liege auch daran, dass die bislang verfügbare Technik es nicht effektiv geschafft habe, einen Erkenntnisgewinn aus den Daten zu ziehen. "Wir brauchen daher lernende Systeme, die den Mehrwert herausfiltern können." Diese würden die Anwender dann in die Lage versetzen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Solche Systeme gingen weit über jene hinaus, die mit bereits präzise erfassten Daten in Text- oder Zahlenform arbeiten. Lernende Systeme könnten beispielsweise auch Informationen aus Bildern verarbeiten. Einer der Kooperationspartner von IBM ist zum Beispiel ein Drohnenhersteller, dessen Fluggeräte Industrieanlagen inspizieren und Auffälligkeiten selbständig aus dem Strom der erfassten Bilder erkennen sollen.

Nicht nur IBM, auch andere Firmen aus der IT-Branche investieren Milliarden in die Forschung zum Internet der Dinge und zu künstlicher Intelligenz. Vor Kurzem wurde bekannt, dass sich Google, Amazon, Facebook, Microsoft und eben IBM zu einer Initiative verbündet haben, bei der es darum geht, sowohl bestimmte Forschungsergebnisse zu teilen als auch ethische Richtlinien zu entwickeln. Künstliche Intelligenz war in der Wissenschaft schon lange ein Thema, doch erst seit einigen Jahren sind Rechner und auch die Software dafür leistungsfähig genug, um Computern Tätigkeiten zu überlassen, die bisher nur Menschen möglich waren.

Da Computer aber unvorstellbar große Datenmengen durchforsten können und nie müde werden, übertreffen sie den Menschen bei bestimmten Aufgaben bereits. Experten rechnen deshalb damit, dass viele Tätigkeiten, die eher monoton sind, schon bald von Maschinen erledigt werden können. Den Menschen blieben allerdings auf absehbare Zeit Aufgaben, bei denen es auf Kreativität ankommt.

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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