Süddeutsche Zeitung

Umbruch:Deutschland braucht massive Steuersenkungen

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Als Hochsteuerland ist die Bundesrepublik heute unattraktiv für Investoren. Die Gelder braucht sie aber dringend - dann gelingt auch der wirtschaftliche Umbruch.

Kommentar von Nikolaus Piper

Deutschlands Wirtschaft stagniert. Das ist die schlechte Nachricht, die das Statistische Bundesamt am Freitag verbreitete. Die gute Nachricht dabei lautet: Schlimmer wird es vermutlich nicht. Kein Anlass also, über schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme nachzudenken. Ein wichtiger Vorbehalt allerdings: Die Kosten des Coronavirus sind noch nicht bekannt.

Die Probleme der deutschen Wirtschaft jedenfalls sind langfristiger Art. Sie hat die Folgen der Finanzkrise zwar gut überwunden, die deutsche Industrie im engeren Sinne jedoch steckt seit 2018 in einer Rezession, was nur durch den Boom auf dem Bau ausgeglichen wird. Die Industrie muss einen historischen Umbruch bewältigen. Der Umstieg in eine klimafreundliche Produktion und die Digitalisierung werden viele Unternehmen umstürzen, wenn sie denn überhaupt als unabhängige Einheiten überleben können. Beispiel Daimler. Der Autobauer, eine deutsche Legende, musste dieses Woche einen massiven Gewinneinbruch melden, wegen der Kosten des Dieselskandals und wegen des Umstiegs zum Elektromotor. Die Krise hat die gesamte Autoindustrie, Deutschlands wichtigsten Industriezweig, mit ihren 834 000 Beschäftigten erfasst. Zehntausende Jobs werden verloren gehen.

Und es ist nicht nur die Autoindustrie und nicht nur das Klima. Der Stahlkonzern Thyssenkrupp ist in einer Existenzkrise. Siemens zerlegt sich selbst in Einzelteile, Bayer, wo einst Aspirin erfunden wurde, hat sich mit dem Kauf des Glyphosat-Herstellers Monsanto kaum absehbare Rechtsrisiken eingehandelt. Und die Deutsche Bank, früher Finanzier der deutschen Industrie, kämpft selbst um ihre Zukunft.

Dazu kommen politische Risiken - Donald Trump, China und der wachsende Protektionismus in der Welt -, für die Exportnation Deutschland ein besonderes Problem. Oder der Verlust an Stabilität, der mit der Auflösung der Volksparteien im Lande selbst einhergeht.

Deutschland hat sich noch immer nicht auf Klimawandel und Digitalisierung eingestellt

Niemand bestreitet ernsthaft, was jetzt nottut: staatliche und private Investitionen von mehreren Hundert Milliarden Euro über ein Jahrzehnt hinweg. Das Geld würde in Bahnen, Brücken und digitale Infrastruktur und in die Ausrüstung von Unternehmen fließen, auch damit all jene, die bei Daimler, VW und BMW ihre Arbeit verlieren, woanders neue Jobs finden. Die Frage ist eher, warum das als notwendig Erkannte nicht schon längst umgesetzt wurde.

Die Antwort heißt vermutlich: Weil sich Deutschland, entgegen allen Schwüren, noch nicht auf Klimawandel und Digitalisierung eingestellt hat. Es gibt noch immer keinen Plan, wie man die zusätzlichen Investitionen im Einklang mit dem Grundgesetz finanzieren könnte. Deutschland ist heute für Investoren ein Hochsteuerland. Was man ändern müsste, was aber schwer zu vermitteln ist in einem Land, das vor allem darüber diskutiert, für wen man welche Steuern erhöhen müsste. Es fehlen Facharbeiter, und dann kommt noch ein Stück Psychologie dazu. Eine "politisch wie gesellschaftlich geschürte Verunsicherung" belaste Investoren, schreibt Michael Hüther, Präsident des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.

Anders gewendet: Die Politik kann sehr schnell sehr viel tun, damit das Land den wirtschaftlichen Umbruch bewältigt.

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SZ vom 15.02.2020
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