Süddeutsche Zeitung

Investitionen:Ich bin dann mal im Wald

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Es muss nicht immer ein Seegrundstück sein: Das eigene Stückchen Forst ist für so manchen Städter die Traum-Investition - wenn da nicht die hohen Quadratmeterpreise wären.

Essay von Pia Ratzesberger

Diese Fichte würde er nicht fällen, auch nach dem Kurs mit der Motorsäge nicht. Die Baumkronen wiegen sich, die Luft ist kalt, Michael Schötz breitet seine Arme aus und legt sie um den Stamm. "Ich schätze mal, der hat 50 Zentimeter Durchmesser", sagt er und fährt mit der Hand über die spröde Rinde.

Ist ja nicht so, dass er noch keinen Baum gefällt hätte, in seinem Wald. Er hat hier geholzt und gepflanzt, hat den Hohlspaten in den Boden gestoßen und Ahornsämlinge in die Erde gedrückt. Dort drüben, auf der Lichtung, hat er die dünnen Triebe herangezogen, die irgendwann zu kräftigen Bäumen werden sollen. Doch so einen dicken Stamm zu schlagen, das traut er sich noch nicht. "Obwohl ich daherrede, als wäre ich mein Leben lang im Wald gewesen, oder?", sagt der Unternehmer, 58, und blickt zu seinem schwarzen Geländewagen. Damit geht es gleich zurück nach München ins Büro. Sein Leben lang im Wald, nein, das war Schötz nicht.

Er gehört zu einer neuen Generation von Waldbesitzern, von Städtern, die sich aus der Enge der Metropolen in den Wald flüchten. Die in Abendkursen den Unterschied zwischen Tanne und Fichte lernen, die keine Ahnung mehr haben von der Natur und sich deshalb umso stärker nach ihr sehnen. Kaufte man sich früher zur Erholung ein Grundstück am See oder ein Feriendomizil in der Toskana, kauft man heute: Forst. Denn wer seinen eigenen Wald besitzt, der hat gegenüber dem bloßen Spaziergänger einen entscheidenden Vorteil. Er kann Stämme schlagen und Geäst absägen, er lernt Rückegassen anzulegen und den Borkenkäfer zu bekämpfen.

Der deutsche Wald ist so unberührt wie eine Plattenbausiedlung

Im Gegensatz zu anderen Großstädtern in karierten Holzfällerhemden, die in Burger-Restaurants mit Birkenstamm-Interior essen und Hirschgeweihe neben den Eames-Chair hängen, kauft sich der Waldbesitzer mit seinem eigenen Grund also den Beleg: Ich und die Natur, wir sind eins.

Regional produzierter Honig aus dem Bio-Supermarkt, Karotten gezüchtet in der eigenen Gartenparzelle, Fair-Trade-Siegel und Seedbombs auf den Mittelstreifen - das reicht vielen nicht mehr. Deshalb gehen manche Städter dorthin, wo sie noch Unberührtes vermuten: in den Wald. Während jeder Landwirt weiß, dass der deutsche Forst ungefähr so unberührt ist wie eine Plattenbausiedlung in Marzahn, verfällt der Städter derzeit gerne diesem Glauben.

In Deutschland sind Baumhaus-Hotels über Monate ausgebucht, Homöopathen werben erfolgreich mit Waldmeditationen. Buchhandlungen müssen stapelweise das Buch von Peter Wohlleben nachbestellen, einem Förster, der den Städtern erklärt, wie Bäume untereinander kommunizieren. Seit Monaten kaufen die Deutschen kein anderes Sachbuch so oft wie "Das geheime Leben der Bäume". Für viele ist der Wald heute ein Geheimnis - arbeitete vor 100 Jahren noch ungefähr jeder dritte Deutsche in der Landwirtschaft, sind es heute gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung. So wird der Wald für immer mehr zu einer Projektionsfläche ihrer Aussteigerfantasien.

Wenn das Handy stetig funkt, ist die Sehnsucht nach Natur besonders groß

Walden - die Natur will dich zurück heißt ein Magazin, angelehnt an das gleichnamige Buch des US-Schriftstellers Henry David Thoreau. Der schrieb schon Ende des 19. Jahrhunderts über sein Leben in einer Blockhütte: "Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten." Das wünschen sich Städter auch heute wieder, dabei steht das im Widerspruch zu ihrem sonstigen Lebensstil. Von einfachen Blockhütten ist der ziemlich weit entfernt: "Die Käufer von Walden leben vorwiegend in der Stadt, telefonieren mit Apple, lesen Monocle, fahren Drive-now und Golf Variant für den Wochenendausflug, tragen Red-Wing-Boots und 3sixteen-Jeans", beschreibt der Verlag Gruner und Jahr die Zielgruppe seines Magazins.

Vielleicht ist der konsumgetriebene Lebensstil aber auch kein Widerspruch zur Vorliebe für den Wald - vielleicht ist er erst der Grund dafür. Wenn das Handy stetig funkt, wenn der Outlook-Kalender ebenso voll ist wie die U-Bahn in der Rushhour, ist die Sehnsucht nach Natur wohl besonders groß. "Der Aufenthalt in einer natürlichen Umgebung eignet sich besonders für die Kompensation des wachsenden Zivilisationsstresses, für das Ausklinken aus den ständigen Überforderungen des Alltags", schreibt etwa der Natursoziologe Rainer Brämer in einem Aufsatz. Ihm zufolge ist das ein wesentlicher Grund für die "derzeitige Hochschätzung der Natur".

In manchen Regionen gibt es kaum noch Waldflächen zu kaufen, etwa im Münchner Umland. Wie bei anderen Immobilien ist auch der Preis des Waldes abhängig von der Lage, vom Zustand der Bäume. In manchen Gegenden Deutschlands ist der Quadratmeter noch für weniger als einen Euro zu haben, andernorts verlangen Makler schon mehr als acht Euro. Michael Schötz schüttelt den Kopf und blickt hoch zu seinen Kronen: "Ist doch verrückt, acht Euro." Auch er hat Monate nach einem freien Waldstück gesucht, Forst-Makler angeschrieben, sich bei Besitzern umgehört. Wie viel er gezahlt hat, will er nicht sagen. Nur: So überhitzt wie heute seien die Preise vor sieben Jahren nicht gewesen.

Dass der Wald so begehrt ist, hat auch mit den niedrigen Zinsen zu tun, manche fürchten die Entwertung ihres Geldes, vertrauen dem Boden mehr als ihrer Bank. Doch wieso viele der urbanen Waldbesitzer ihren Forst selbst bewirtschaften, wieso sie von Stamm zu Stamm gehen, die Rinde prüfen und das Wachstum der Kronen - das können die Zinsen nicht erklären.

Das kann nur die Geschichte. Denn die Deutschen hegen für ihren Wald seit Jahrhunderten eine tiefe Zuneigung. Volkslieder beschworen die mystischen Wälder, die Gebrüder Grimm ließen ihre Helden zwischen den Bäumen böse Hexen besiegen. Blickt man zurück, erkennt man ein Muster: Sobald die Deutschen ihr gewohntes Umfeld bedroht sahen, träumten sie sich zurück in die Natur. Als die ersten Dampfmaschinen schnauften, die ersten Eisenbahnen durch das Land schoben, huldigten Romantiker wie Joseph von Eichendorff den Wäldern. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als im Deutschen Reich die Städte immer größer wurden, war der Wald wieder Sehnsuchtsort. Und heute, in einer Zeit, in der Terroristen Konzertsäle stürmen, Tausende Flüchtlinge in Turnhallen leben und Menschen nicht wissen, ob sie die vernetzte Welt nun schätzen oder verfluchen sollen - auch in dieser Zeit zieht es die Deutschen wieder in den Wald.

Ein Forst ist harte Arbeit, für Landwirte sowieso, aber auch für Hobby-Waldbesitzer

Rechts des Waldweges stapeln sich die geholzten Stämme, feucht vom Regen, durchnummeriert und bereit für das Sägewerk. Schötz gehören sie nicht, sondern einem seiner Nachbarn; die Grundstücke trennt ein Weg. "Manche müssen einfach alles rausholen aus ihrem Wald", sagt der Unternehmer und sperrt seinen Wagen auf. In seinem Waldstück dürfen Baumkronen verrotten, sie nähren den Boden. Manche Landwirte aber verkaufen selbst dieses Holz noch - seit immer mehr Menschen mit Hackschnitzeln heizen, lohnt sich das.

Schötz weiß, dass es ein Privileg ist, dass er auf den Holzhandel nicht angewiesen ist. Denn der Wald, das hat Schötz in den vergangenen sieben Jahren verstanden, der ist lange nicht so romantisch, wie ihn sich die Großstädter zurechtträumen. Der Wald ist harte Arbeit, für die Landwirte sowieso, aber auch für Hobby-Waldbesitzer wie ihn. Wenn etwa ein Sturm wütet, muss er das kaputte Holz rausschaffen, er muss sich jederzeit kümmern können um seinen Wald.

Schötz lässt den Motor an, fährt vorbei an den hochgewachsenen Fichten, an den gepflanzten Ahornbäumchen. Wann er wiederkommt? Er überlegt einen Moment, biegt links auf die Landstraße ab und sagt dann: "Ich würde es auf jeden Fall gerne öfter schaffen." Aber mehr als zweimal im Monat, das gehe meist nicht. Termine, Büroarbeit, ist ja schließlich auch ein Stück zu fahren, aus der Stadt heraus. Schötz gibt Gas, Richtung München.

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Quelle:
SZ vom 12.03.2016
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