Interview:"Wir wissen nicht, ob das noch weiter runtergeht"

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Der Chef des Automobilzulieferers Continental spricht über die ernste Lage der Branche - und über die Umbrüche der Zukunft.

Interview von Max Hägler

SZ: Herr Degenhart, es ist eine schwierige Zeit für die Autoindustrie?

Elmar Degenhart: Die Lage ist momentan angespannt. Weniger Autos, und kleinere Gewinne. Wir verlieren in der Branche weltweit innerhalb von zwei Jahren etwa sechs Millionen Autos. 2017 wurden noch rund 95 Millionen produziert, jetzt werden es voraussichtlich rund 89 Millionen pro Jahr sein. Und wir wissen nicht, ob das noch weiter runtergeht. Das spüren alle, auch wir.

Continental , einer der weltgrößten Zulieferer, leidet auch. Die Gewinne sinken, womöglich werden Stellen gestrichen.

Es geht uns bei Continental deutlich besser als 2009, als die Weltwirtschaft und die Autoindustrie in der letzten großen Krise war und sich unser neuer Konzern im Aufbau befand. Wir haben eine starke Bilanz, niedrige Schulden und weiter große Wachstumschancen. Nichtsdestotrotz: Die Branche, auch wir, sind inmitten einer neuen Wirtschaftskrise. Da will ich nichts beschönigen. Zugleich müssen wir investieren, Technologien ändern sich fundamental, und die Regularien werden immer härter.

Was ist die größte Herausforderung?

Die Industrie insgesamt ändert sich so schnell wie nie. Das assistierte Fahren, dann das automatisierte, kosten viel Geld. Etliches wird auch von der Politik vorgegeben: Beispielsweise Abbiegeassistenten für Lkw oder die CO₂-Ziele etwa, die einen Umbau zur Elektromobilität trotz geringer Renditeerwartungen erzwingen. Und das eben bei einem zurückgehenden Markt.

Was bedeutet das für Continental?

Selbst wir als sehr großer Zulieferer müssen uns fokussieren: Das Nice to have können wir uns nicht mehr leisten. Das reicht von Reisekosten bis zum Einfrieren von Forschungsprojekten. Und was nicht wettbewerbsfähig ist bei uns, werden wir nicht mehr mittragen wie bisher.

Sie wollen ja den ganz schwierigen Bereich, die Antriebstechnik, auslagern - und wollen das dann an die Börse bringen. Unsere Antriebssparte verfügt über sehr gute Wachstumsaussichten in den Bereichen Elektronik und Elektrifizierung. Das Marktumfeld ist sehr disruptiv, diese Sparte kann schneller wachsen, wenn sie unabhängig ist. Es heißt aber vor allem, Sie könnten neun von 42 Werken schließen, die sich mit Benzin und Diesel beschäftigen.

Es gibt keine Beschlüsse. Aber es stimmt, Kündigungen als letztes Mittel sind nicht ausgeschlossen. Vor allem wollen wir unsere Mitarbeiter jedoch vorbereiten und qualifizieren, um sie in neuen Bereichen einzusetzen. Denn neben den neuen Produkten ändern auch digitale Fabriken so viel, dass ohne Weiterqualifizierung nicht jeder mitkommt. Wir haben jetzt viel mehr ungelernte Mitarbeiter in unseren Fabriken, als wir in fünf oder zehn Jahren brauchen.

Immer mehr Roboter, immer weniger schraubende Menschen.

Absolut. Wir bauen unsere Abläufe mittels Automatisierungstechnik um, damit wir viel schneller reagieren. Heutzutage dauert es noch Wochen, bis eine veränderte Bestellung eines Kunden alle unsere Standorte Zulieferer erreicht hat. Der Verzug kostet Geld, füllt die Lager dann unnütz, das können wir uns nicht mehr leisten. Aber für die Änderung müssen alle Mitarbeiter mitmachen, sie müssen verstehen, was passiert, wir müssen sie jetzt einbinden und sie müssen einen Eigenbeitrag leisten.

Werden das in Summe weniger Menschen sein?

Mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre bin ich vorsichtig zuversichtlich: Seitdem gibt es immer mehr Computer, aber dennoch wurde die Arbeit nicht weniger, und es kamen neue Aufgaben hinzu.

Was aber auch daran lag, dass die Automobilbranche wuchs, immer mehr Autos produzierte. Das ist vorbei.

Ich bin Produktionstechniker. Im Studium haben wir von der voll automatisierten Fabrik philosophiert, Massenarbeitslosigkeit war die Schlagzeile. Bis heute sind die Dinge in Balance geblieben, weil sich die Arbeitsinhalte eben weiter verschieben. In sieben bis zehn Jahren werden wir sehr viele "Cobots" in der Produktion sehen: Roboter, die den Menschen zur Hand gehen.

Immer mehr Manager äußern dennoch die Sorge, dass aus dem Verschieben dann doch einmal ein Wegrationalisieren wird: Dass wir Menschen uns überflüssig machen, angefangen in den Fabriken.

Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Fest steht: Künstliche Intelligenz wird unser aller Leben in den nächsten 20 Jahren nachhaltig beeinflussen, auch im Privaten. In allen Lebensbereichen fehlen uns Leute, die davon etwas verstehen, in der Ausbildung, den Fabriken, in den Labors, aber auch bei den Managern. Wenn die nicht wirklich wissen, wovon die Rede ist, können sie auch keine guten Entscheidungen treffen. Und auch da haben wir keine Zeit.

Also braucht es viel mehr Bildung? Für Alt und Jung, ja. Die Menschen müssen die Technologien verstehen und die Zusammenhänge mit der Wirtschaft begreifen. Und übrigens auch, wie solche Technik missbraucht werden kann. Denn eines ist klar: Es gibt keine Technologie auf dieser Welt, die nicht irgendwann für Schlechtes missbraucht worden ist und gleichzeitig Gutes bewirkt hat.

© SZ vom 13.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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