Interview über Bürokratieabbau:"Wir befinden uns an einem kritischen Punkt"

Gisela Färber vom Normenkontrollrat über erste Erfolge beim Kampf für einfache Gesetze und die Lernfähigkeit der Beamten.

Björn Finke

Gisela Färber, 53, ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat. Das achtköpfige Gremium wurde 2006 eingesetzt. Es berät die Regierung dabei, wie sie bei bestehenden und neuen Gesetzen Bürokratie verringern kann. In den Ministerien habe bereits ein Umdenken eingesetzt, meint Färber.

Interview über Bürokratieabbau: "Inzwischen haben die Ministerien Spaß an der Herausforderung gefunden, bei den Kosten besser zu werden", sagt die Finanzwissenschaftlerin Gisela Färber.

"Inzwischen haben die Ministerien Spaß an der Herausforderung gefunden, bei den Kosten besser zu werden", sagt die Finanzwissenschaftlerin Gisela Färber.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau Professorin Färber, wie teuer kommt Bürokratie die deutschen Unternehmen jährlich zu stehen?

Gisela Färber: Meine Kollegen im Normenkontrollrat und ich gehen von 50 Milliarden Euro aus. Die Summe umfasst aber nur den Aufwand, der durch Informationspflichten entsteht. Darunter fallen zum Beispiel die Kosten dafür, dass eine Firma einen Mitarbeiter bei den Sozialversicherungen anmeldet oder Rechnungen lange fürs Finanzamt aufbewahren muss. Die Ministerien haben etwa 11.000 dieser Pflichten identifiziert, das Statistische Bundesamt misst deren Kosten. Allerdings ist diese Bestandsmessung noch nicht ganz abgeschlossen. Der letzte Stand war hier 35 Milliarden Euro.

SZ: Der Zeitplan des Normenkontrollrates sah eigentlich vor, dass die Messung der Bürokratiekosten Ende 2007 abgeschlossen sein sollte.

Färber: Ja, diese Verzögerung ist sehr ärgerlich. Was lange dauert, ist weniger das Messen der Kosten als vielmehr die Abstimmung mit den Ressorts. Das Statistische Bundesamt hat immer wieder Summen bei Gesetzen ermittelt, die den zuständigen Ministerien zu hoch erschienen - teilweise zu Recht. Da wurde dann noch mal nachgerechnet und korrigiert.

SZ: Wieso schaut der Normenkontrollrat nur auf den begrenzten Bereich der Informationspflichten?

Färber: Sicher, es gibt daneben noch viele andere Dinge, die Unternehmen im Umgang mit Behörden belasten. Denken Sie etwa an den Aufwand und die Wartezeit, um eine Baugenehmigung zu bekommen. Unsere Arbeit ist aber ein Einstieg: Erstmals werden nun systematisch Bürokratiekosten gemessen, und es wird geprüft, wie man sie verringern kann. Diese Zahlen kann so schnell keiner ausradieren. Wir haben uns dabei den Teil vorgenommen, bei dem man die Belastung am besten erfassen kann.

SZ: Das Messen ist das eine, aber kommt denn auch der Bürokratieabbau voran? Die drei Mittelstands-Entlastungsgesetze der Bundesregierung sollen den Firmen 850 Millionen Euro Bürokratiekosten ersparen. Das ist bei 50 Milliarden Euro Gesamtkosten doch ein Witz.

Färber: Ganz klar: Die drei Gesetze reichen natürlich nicht. Das ganze Projekt Bürokratieabbau befindet sich derzeit an einem kritischen Punkt: Die Regierung will bis 2011 die Kosten um ein Viertel verringern, die Hälfte davon soll schon bis zur Bundestagswahl in einem Jahr erreicht werden. Immerhin hat der zuständige Staatssekretärsausschuss im Frühjahr eine Liste mit 111 Maßnahmen und einem Abbauvolumen von 4,4 Milliarden Euro vorgelegt. Das ist doch schon mal eine anständige Hausnummer.

SZ: Ist ein Abbau um ein Viertel überhaupt realistisch?

Färber: Warum denn nicht? Das haben unsere Nachbarn doch auch geschafft: die Holländer, die Briten, die Dänen.

SZ: Hat sich die Regierung Ihrer Schätzung der Bürokratiekosten angeschlossen? Will Berlin also ein Viertel von 50 Milliarden Euro einsparen?

Färber: Das Ausgangsvolumen bestimmt das Abbauziel. Je größer der Ausgangswert, desto mehr muss der Staat einsparen. Ich hoffe sehr, dass die Regierung mutig ist und nicht versucht, den Ausgangswert kleinzurechnen. Denn Bürokratieabbau lohnt sich: Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und sichert Jobs.

SZ: Welche Posten sind strittig?

Färber: Da geht es zum Beispiel um den Aufwand dafür, dass Firmen Bilanzen aufstellen müssen. Das Justizministerium sagt, das würden Unternehmen sowieso machen, es gibt keine Zusatzbelastung durch die Gesetze. Der Normenkontrollrat argumentiert, dass das Steuerrecht und andere Gesetze Abweichungen von der normalen Handelsbilanz verlangen. Die zusätzliche Arbeit verursacht im Jahr 4,5 Milliarden Euro Kosten.

"Wir befinden uns an einem kritischen Punkt"

SZ: Wie kommen Sie auf diese Zahlen?

Färber: Hier wird das sogenannte Standardkosten-Modell angewandt, das sich im Ausland bewährt hat. Man ermittelt, wie viel Zeit ein Firmenmitarbeiter für die Erfüllung einer gesetzlichen Vorgabe aufwenden muss. Das wird dann mit dem Stundenlohn, der jährlichen Fallzahl und der Zahl der betroffenen Unternehmen multipliziert.

SZ: Und wie mindert der Staat am einfachsten die Bürokratielast?

Färber: Beim Steuerrecht ist zum Beispiel ein großer Hebel, Daten elektronisch zu erfassen und zu übermitteln. Die neue lebenslange Steuernummer und die sogenannte elektronische Lohnsteuerkarte sparen viel Geld. Generell kann der Staat Informationskosten senken, indem er etwa Daten nur noch in größeren Zeitabständen anfordert. Oder indem er mehr Firmen von Pflichten befreit. Oder indem er dafür sorgt, dass die Unternehmensmitarbeiter für die Aufgaben nicht mehr so lange brauchen.

SZ: Die Ministerien müssen seit Dezember 2006 bei jeder Gesetzesvorlage genau ausrechnen, wie hoch die Bürokratiekosten sind. Der Normenkontrollrat prüft die Daten und ermittelt, ob es auch einfacher geht. Bringt das etwas?

Färber: Aber ja, das Procedere hat knapp 1,3 Milliarden Euro neue Bürokratiekosten verhindert. Bei den Ressorts hat deswegen auch ein Umdenken eingesetzt. Die schreiben nicht mehr so leichtfertig in die Vorlagen, dass Firmen bitte dies und das leisten sollen. Manchmal müssen wir ihnen noch einen Stupser geben. Dafür, dass der Rat und das Prüfverfahren noch keine zwei Jahre existieren, ist einiges in Bewegung gekommen.

SZ: Gibt es keinen Widerstand?

Färber: Die Bürokratiekosten zu ermitteln, sehen manche in den Ministerien natürlich als lästig an: Man hat ja schon so genug zu tun. Das war auch alles Neuland für die Beamten; die Ressorts haben unendlich viel lernen müssen. Inzwischen haben die Ministerien aber Spaß an der Herausforderung gefunden, bei den Kosten besser zu werden. Zumal das auch den Behörden hilft. Studien in Frankreich haben ergeben, dass 40 Prozent der Kosten, die Unternehmen wegen Informationspflichten tragen, noch mal in den Ämtern anfallen. Die müssen die Daten schließlich verarbeiten.

SZ: Die Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform vergrößern die Bürokratie enorm. Warum hat der Normenkontrollrat das nicht verhindern können?

Färber: Wir geben der Regierung nur Empfehlungen. Bei diesen Reformen gab es viel politischen Streit, und die Ergebnisse sind Kompromisse. Geht es um große Konflikte, wird das Thema Bürokratiekosten leider noch ganz klein. Da sind andere Fragen dann für die Politiker viel wichtiger. Dabei sind Steuerlasten und Bürokratiekosten für Firmen genau das Gleiche: Beides sind Kosten, die erst einmal erwirtschaftet werden müssen.

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