Standort Deutschland:„Dieses Hin und Her ist pures Gift für die Wirtschaft“
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Stehen Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg im Widerspruch? Mitnichten, sagt Sabine Nallinger, Chefin der Stiftung Klimawirtschaft. Unternehmen stellten sich längst darauf ein. Aber sie bräuchten vor allem eins: Verlässlichkeit.
Interview von Michael Bauchmüller, Berlin
Kaum schwächelt die Wirtschaft, werden die Klimaziele infrage gestellt. Genau der falsche Reflex sei das, findet Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft. Zu lange habe Deutschland in traditionelle, herkömmliche Industrien investiert, statt in die Zukunft. „Es wäre fatal, wenn das Rad zurückgedreht würde“, warnt sie.
SZ: Frau Nallinger, die Klimapolitik hat schon bessere Zeiten erlebt. Die deutsche Industrie verweist darauf, die Klimaziele seien „nicht in Stein gemeißelt“, Ähnliches hört man aus FDP und Union. War es das mit dem Klimaschutz?
Sabine Nallinger: Nein. Die Klimaziele haben wir uns nicht aus Lust und Laune gesetzt. Es geht um nicht weniger als das Überleben auf diesem Planeten hier, um gute Lebensbedingungen. Und in den Unternehmen, mit denen ich rede, klingt das auch ganz anders. Da haben sich so gut wie alle auf den Weg gemacht, Strategien entworfen, investiert. Die brauchen jetzt vor allem Verlässlichkeit. Aber ja, die Zeiten sind schwieriger geworden.
Aber sind sie womöglich auch zu schwierig, um jetzt auch noch in Klimaschutz zu investieren?
Klar sind die Zeiten herausfordernd. Aber das hat viele Gründe. Die Energiepreise sind hoch, auch die Lohnnebenkosten. Bei vielen Produkten sind die Lager voll, was die Preise drückt. Und es gibt einfach viele Produkte, die andere nun genauso gut herstellen wie wir. Und on top kommt jetzt noch die Transformation, der klimafreundliche Umbau. Das macht die Sache nicht einfacher.
Das klingt aber, als wäre so eine Transformation nur machbar, wenn es der Wirtschaft gut geht.
Nein, ganz im Gegenteil. Wenn wir weiter ein florierender Wirtschaftsstandort sein wollen, dann müssen wir in Zukunftsmärkte investieren. Also in grünen Stahl, grünen Zement, in erneuerbare Energien oder E-Autos. Die Mehrzahl der Unternehmen hat genau das schon verinnerlicht.
Stattdessen verlangt etwa die Union, den geplanten Abschied vom Verbrennungsmotor kippen.
Dieses Hin und Her ist pures Gift für die Wirtschaft. Die Unternehmen brauchen Verlässlichkeit, aber stattdessen werden ständig Dinge infrage gestellt. Ich finde das unverantwortlich. Eigentlich bräuchten wir so etwas wie einen langfristigen Konsens, außerhalb von Legislaturperioden. Der Umbau, vor dem wir stehen, läuft nicht in Vier-Jahres-Zyklen. Sonst gibt es alle paar Jahre eine Kehrtwende.
Wie erklären Sie sich, dass das Thema unter der Ampel, die doch auch für mehr Klimaschutz angetreten war, so ins Hintertreffen geraten ist?
Die Bilanz ist eigentlich gar nicht so schlecht. Die Erneuerbaren wurden massiv ausgebaut, es gab erste Schritte in eine Wasserstoffwirtschaft, es wurden Klimaschutzverträge geschaffen, um den grünen Umbau in Unternehmen zu forcieren. Alles gut. Aber über allem schwebt die Debatte um das Heizungsgesetz. Das war fatal. Politisch schlecht vorbereitet, öffentlich ausgeschlachtet. Hätte man das besser angestellt, wäre uns vieles erspart geblieben. Vor allem aber ist viel Vertrauen in die Politik verloren gegangen.
Liegt es also nur an schlechter Politik?
Nein, es ist eine Mischung aus vielem. Wir haben zu lange in traditionelle, herkömmliche Industrien investiert, und zu wenig in die Zukunft. Auch deshalb haben wir so zu kämpfen.
Wir stehen kurz vor Beginn des Jahres 2025, klimaneutral wollen wir bis 2045 sein – das sind nur gut 20 Jahre. Ist denn das überhaupt noch zu schaffen, ohne dass es Einschnitte gibt?
Die Politik muss sich da ehrlich machen. Wir stehen vor einem großen Strukturwandel. Aber er ist nicht von Technologien getrieben, sondern von der Politik. Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich 2015 fast alle Staaten zum Klimaschutz verpflichtet, und wir haben Termine gesetzt. Das heißt, die jetzige Generation muss für die nächsten zwei, drei Generationen investieren. Das geht nur, wenn wir uns auch die finanziellen Spielräume schaffen, etwa durch einen Fonds für Klimaschutz. Das fordert auch den Staat.
Und was, wenn andere Länder da nicht mitziehen?
Das Problem ist, dass wir alles Mögliche globalisieren, Lieferketten, Finanzmärkte, auch Klimaziele – aber natürlich nicht die Politik und ihre Gesetzgebung. Deswegen ist es so wichtig, dass wir international Verbündete finden, und an der internationalen Klimapolitik festhalten.
Zur gleichen Zeit kommen in Deutschland Traditionsindustrien wie Auto oder Stahl unter Druck. Macht das Klimapolitik nicht noch schwerer?
Es wäre fatal, wenn deshalb das Rad zurückgedreht würde. Aber die Probleme sind auch unterschiedlich gelagert. Die Stahlindustrie braucht vor allem Schutz vor einem aggressiven Wettbewerb, etwa aus China. Da könnte aber auch so etwas wie ein Klimazoll helfen, damit die Industrie mit dem grünen Stahl bestehen kann. Das geht.
Aber wenn die Autoindustrie untergeht, gibt es auch keine Nachfrage mehr nach grünem Stahl.
Dass sie untergeht, ist aber nicht ausgemacht. Fakt ist: Die Probleme sind hausgemacht. Die deutschen Hersteller hätten seit Langem wissen können, dass die Zukunft in Elektroautos liegt. Die Klimaziele gibt es auch nicht erst seit gestern. Stattdessen hat die Industrie zu viel Gewinne ausgeschüttet und zu wenig investiert, und das in alte Technologie. Und wo bitte sind die kleinen, kostengünstigen Elektroautos aus deutscher Produktion? Es gibt Leute, die sagen, noch ist es nicht zu spät, fünf Jahre bleiben noch. Wenn die Autoindustrie jetzt den Hebel umlegt, schafft sie es noch. Das hängt dann aber auch ein Stück weit an der nächsten Bundesregierung.
Vieles, was als Zukunftstechnologie gilt, kommt mittlerweile aber auch aus China.
Vieles haben wir aus der Hand gegeben, das stimmt. Aber es gibt noch andere Felder: die Wasserstofftechnologie etwa – alles rund um Erzeugung und Verwendung. Da haben wir noch die Chance, vorn dran zu sein, auch wegen der deutschen Forschungslandschaft.
Welche Industrien werden denn untergehen?
Bei energieintensiven Industrien, die keine sehr tiefe Wertschöpfungstiefe haben, werden wir Schwierigkeiten bekommen. Das betrifft zum Beispiel Teile der Wertschöpfungskette der Stahl- oder Chemieindustrie, etwa bei Ammoniak. Aber wir werden auch überlegen müssen, welche Produktionen wir mit aktiver Industriepolitik hier halten wollen, weil wir nicht darauf verzichten möchten.
Was meinen Sie?
Zum einen wollen wir bei manchen Industrien nicht abhängig werden – schon wegen der strategischen Bedeutung der Rüstungsindustrie brauchen wir Stahlwerke in Europa. Und dann hat den Standort Deutschland immer auch ausgemacht, dass es Cluster gab, in denen sich viele Firmen angesiedelt haben, die voneinander abhingen. Die räumliche Nähe war dafür wichtig. Diese Wertschöpfungsketten sollten wir nicht aufbrechen. Und die gute Nachricht ist: Wir fangen nicht bei null an.
Das klingt jetzt aber nicht nach sehr viel Wandel.
Doch, doch. Bei der Autoindustrie zum Beispiel wird sich nur viel auf die Produktion von Batteriespeichern fokussieren. Auch da kann diese Nähe eine große Rolle spielen. Recycling wird eine immer größere Rolle spielen, weil wir so wenig Rohstoffe haben. Es wird Elektrolyseure brauchen, um Wasserstoff zu erzeugen. Für mich sind das alles Zukunftstechnologien. Aber wer diesen Wandel nicht will, muss sich auch fragen, für welchen Markt er noch produziert. Denn die Welt will klimaneutral werden, das hat die Weltgemeinschaft beschlossen. Die Frage ist: Spielen wir als Standort noch eine Rolle, oder gehen wir unter?
Aber ist am Ende womöglich auch das Wachstum an sich ein Problem? Weil auch in einer klimafreundlichen Welt alle immer höher und immer weiter kommen wollen?
Das hängt ganz davon ab, wie effizient wir wirtschaften, wie energieeffizient. Da waren wir in Deutschland definitiv schon mal besser. Wir können unsere Ressourcen besser nutzen. Und mit 100 Prozent erneuerbaren Energien hätten wir auch da keinen großen Fußabdruck mehr. Aber natürlich treibt mich diese Frage um. Letztendlich muss auch jeder Einzelne seinen Beitrag leisten, wenn wir das Ziel erreichen wollen. Und da gilt auch: Weniger ist oft mehr.
Sie meinen: Menschen müssen verzichten?
Wir brauchen ein Leitbild, wie wir Klimaneutralität hinbekommen, und dafür müssen sich auch Konsummuster ändern. Leute haben ja Lust, Teil der Lösung zu sein. Aber wir dürfen diese Debatten nicht nur negativ führen, indem wir ständig über Verbote sprechen. Die Luftfahrt kriegen wir zum Beispiel nur klimaneutral, wenn wir jetzt voll auf grüne Kraftstoffe setzen. Wenn die einen sagen, das überfordert uns, während die anderen sich zum Verzicht gezwungen fühlen, kommen wir nicht weiter. Natürlich schaffen wir das.