Interview:"Ohne Veränderungen droht ein Kollaps"

Johannes Hoffmann

Johannes Hoffmann,79, leitet bis heute die vor zweieinhalb Jahrzehnten von ihm gegründete Forschergruppe ethisch-ökologisches Rating an der Frankfurter Goethe Universität.

(Foto: OH)

Bewertungs-Pionier Johannes Hoffmann fordert einheitliche Regeln vom Staat für das Rating von Nachhaltigkeit.

Interview von Caspar Dohmen

Johannes Hoffmann,79, gehört zu den Pionieren bei der Entwicklung nachhaltiger Bewertungsmethoden für Geldanlagen. Verflogen ist aber die große Hoffnung, die der Theologe vor einem Vierteljahrhundert in einen ethischen Wettbewerb der Unternehmen und Anleger setzte.

SZ: Warum haben Sie angefangen, sich als Theologe mit Ratingmethoden für Unternehmen zu beschäftigen?

Hoffmann: Zwei Impulse haben mich als Sozialethiker motiviert: Einmal die Dialoge von drei Menschenrechtssymposien, die ich von 1989 bis 1991 in der KfW organisiert habe. Im Ergebnis wurde unter anderem die Verantwortung der westlichen Industrienationen für die Verwirklichung des Rechtes aller Völker auf kultureigene Entwicklung gefordert.

Und der zweite Impuls . . .

Der kam von drei Managern der Deutschen Bank. Sie fragten mich, ob ich bereit wäre, mit ihnen über die ethische Bewertung von Kapitalanlagen zu sprechen, denn bei der Bank hätten kirchliche Institutionen Kapital in zweistelliger Milliardenhöhe, die gar nicht wüssten, was mit der Anlage geschieht. Ob nicht der Schaden, der durch die Art der Anlage angerichtet werde größer sei als der Nutzen, den die kirchlichen Investoren mit den Gewinnen erzielen können. Das war die Ausgangssituation für die Gründung der Forschergruppe Ethisch-Ökologisches Rating.

Welchen Weg schlugen Sie ein?

Wir setzten auf eine Verhaltensänderung von Unternehmen und Anlegern durch Bewusstseinsbildung. Wir wollten das Fundament der sozialen Marktwirtschaft stärken, indem wir zur Gründung spezieller Ratingagenturen beitrugen, welche ethisch-ökologische Bewertungen von Unternehmen vornehmen und diese Unternehmen, Banken, Staaten und internationalen Organisationen zur Verfügung stellen konnten.

Ihre Methode wurde Basis der Arbeit von Oekom, der größten Ratingagentur für Nachhaltigkeit in Deutschland. Was für Erwartungen hegten Sie an die Marktteilnehmer?

Dass sie sich bei ihrem Anlageverhalten auch nach ethischen und ökologischen Grundsätzen entscheiden würden, wenn sie die dafür notwendigen Informationen erhalten hätten.

Dabei verfolgten sie einen Best-in-Class-Ansatz, bei dem ein Ranking erstellt wird und Anleger sich die fortschrittlichsten Firmen heraussuchen können?

Dadurch sollte zum ersten Mal seit der Industrialisierung ein ethischer Wettbewerb innerhalb und auch zwischen den Branchen stattfinden.

Ging Ihre Rechnung auf?

In gewissem Umfang hat das funktioniert. Beispielhaft kann man die Telekom-Branche nennen. Beim ersten Rating der Branche landete die Deutsche Telekom 1995 auf einem der letzten Plätze. Sie hatte kein Umweltmanagement und verlegte ausschließlich Telefonkabel in Innenräumen aus PVC . . .

. . . welches nicht verrottet und deswegen besonders umweltschädlich ist . . .

Beide Mängel hat die Telekom innerhalb eines Jahres beseitigt. Das war ein schneller Fortschritt. Es entstand auch ein eigener Markt für nachhaltige Güter, Dienste, Unternehmen und Anlagen.

Trotzdem wirken Sie nicht zufrieden?

Wir haben fraglos die ethische Wirkung des Best-in-Class-Ratings überschätzt. Die Welt ist heute in den meisten Bereichen weniger nachhaltig. Es wird zu einem Kollaps kommen, wenn es keine gravierenden Veränderungen gibt.

Und nun?

Der Markt für Nachhaltigkeitsratings bietet aus sich heraus keine hinreichende Transparenz, Vergleichbarkeit und Orientierung. Märkte können nur so gut sein wie die Regeln, die sie befolgen; diese müssen von außen gesetzt und überwacht werden. Dafür war es bisher noch zu früh, weil Ratingunternehmen für Nachhaltigkeit erst einmal Kriterien finden und Erfahrungen sammeln mussten. Jetzt ist die Zeit reif für einheitliche Methoden, die der Staat setzen müsste. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, die nach Analyse zweier juristischer Gutachten auch EU- und WTO-kompatibel sind

Und was fordern Sie im Kern?

Ein strenges Konzept der Nachhaltigkeit, demzufolge Unternehmen im Interesse der Gewinnmaximierung keine ökologischen, sozialen und kulturellen Kosten mehr auf Gemeingüter abwälzen dürfen. Das ist in unserem Verständnis nachhaltige Entwicklung. Dass das geht, dafür gibt es Beispiele wie die Stadt Venlo in Holland, die es praktiziert.

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