Peter Bofinger, 56, gehört seit 2004 zu den sogenannten Wirtschaftsweisen. Der Professor für Volkswirtschaftslehre ist Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Würzburg und vertritt eine Meinung, die unter den führenden Ökonomen selten geworden ist: Er ist Anhänger des Keynesianismus und einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik. Wie andere Wissenschaftler auch, kritisiert er das Verhalten der Politik in der Griechenland-Krise massiv. Ein Gespräch über die Sparbemühungen der Griechen, Bofingers Konzept von einer Währungsunion 2.0 und das Versagen der Politik - k urz bevor sich der hellenische Premier Giorgos Papandreou im Parlament der Vertrauensfrage stellt.
sueddeutsche.de: Herr Bofinger, die Euro-Finanzminister spielen auf Zeit. Sie wollen über neue Milliarden für Griechenland erst entscheiden, wenn Athen seine Sparzusagen beschließt. Was bedeutet diese Entscheidung?
Peter Bofinger: Ich habe den Eindruck, dass die Strategie des Durchwurstelns einfach weitergeht. Das ist eine Strategie, die für alle unbefriedigend ist. In Griechenland steigt die Unzufriedenheit, weil es keine konkreten Perspektiven für einen Erfolg der Sparpolitik gibt, in Deutschland steigt die Unzufriedenheit, weil die Menschen nicht verstehen, warum sie immer mehr für Griechenland haften müssen. Und zusätzlich steigt auch noch die Unsicherheit an den Finanzmärkten.
sueddeutsche.de: Ihr Groll auf die Politik scheint ja wirklich groß zu sein. Zusammen mit anderen führenden Ökonomen haben Sie am Wochenende massiv die Entscheidungsträger attackiert. Sie haben sogar vom "Versagen der Politik" gesprochen.
Bofinger: Das ist auch ein Versagen der Politik. Die Entscheidung vom Sonntagabend passt in die Linie, die seit Monaten verfolgt wird. Die Politik agiert immer nach dem Prinzip Hoffnung und hat nicht den Mut, eine große Lösung zu konzipieren.
sueddeutsche.de: Was wäre die große Lösung?
Bofinger: Ein großer Schnitt bei den griechischen Schulden. Wir reden hier andauernd von der Beteiligung privater Gläubiger. Doch das wichtigste Ziel muss es sein, Griechenland zu entlasten, dem Land eine Perspektive und den Menschen Hoffnung zu geben.
sueddeutsche.de: Konkret plädieren Sie für einen Schuldenschnitt von 40 Prozent, was etwa 150 Milliarden Euro entspricht.
Bofinger: Wenn wir eine Umschuldung angehen müssen, dann doch so, dass es Griechenland auch etwas bringt. Diese Ideen, die auf eine Laufzeitverlängerung der Staatsanleihen herauslaufen, oder ähnliche Vorschläge bringen dem Land doch gar nichts. Zumindest nichts Substantielles.
sueddeutsche.de: Aber diese Idee birgt doch mindestens zwei Gefahren. Erstens könnten mit einer solchen Entscheidung manche Banken in die Bredouille kommen.
Bofinger: Natürlich, ein solcher Schritt erfordert auch den Mut, zu sagen: Ja, im Notfall müssen wir den Banken helfen, müssen wir vor allem griechische Banken rekapitalisieren.
sueddeutsche.de: Denken Sie dabei auch an deutsche Banken?
Privatisierungen in Griechenland:Nur die Inseln sind tabu
Um die gigantische Schuldensituation in den Griff zu bekommen, will der griechische Staat seine Schätze verkaufen. Flughäfen, Wasserwerke und Eisenbahnen kommen unter den Hammer - nur die Inseln bleiben unangetastet. Die Regierung hofft auf Milliarden, aber die Griechen misstrauen diesem Kurs. Ein Überblick über die möglichen Einnahmequellen.
Bofinger: Ich denke, dass die das einigermaßen verkraften, aber zur Not muss man das auch machen.
sueddeutsche.de: Mit deutschen Steuermitteln?
Bofinger: Ja, aber ich frage mich, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn wir unsere Steuermittel zur Stabilisierung der Banken verwenden würden, anstatt die Steuermittel in einem unüberschaubaren Maße für Griechenland aufzuwenden.
sueddeutsche.de: Aber das wäre den Menschen letztlich doch auch egal. Verbrauchte Steuermittel sind verbrauchte Steuermittel.
Bofinger: Aber das können Sie dann den Menschen ganz anders erklären, denn wenn wir unsere Banken stabilisieren, stabilisieren wir auch unsere Ersparnisse. Ich glaube, ein solcher Schritt würde letztlich helfen, die Verunsicherung in Deutschland abzubauen.
sueddeutsche.de: Das zweite Problem: Einen Schuldenschnitt in dieser Größenordnung würden die Ratingagenturen als Staatsbankrott auffassen. Entsprechend würde der Druck auf den Euro steigen und könnten andere Staaten Gefahr laufen, sich anzustecken.
Bofinger: Das stimmt. Ein reiner Schuldenschnitt für Griechenland ohne weitere Absicherungen wäre auch gefährlich, weil es eine zusätzliche Unsicherheit gebe. Man muss den Schuldenschnitt in eine umfassende Strategie einbetten. Man muss klarmachen, dass für die anderen Länder kein Schuldenschnitt mehr anstünde. Und die einzige Lösung, die dafür sinnvoll ist, sind meiner Meinung nach Euro-Bonds.
sueddeutsche.de: Also eine gemeinsame Anleihe aller Euroländer. Abgesehen davon, dass die Politik einen solchen Vorschlag erst kürzlich abgebügelt hat: Wäre das nicht eher ein mittelfristiger Lösungsansatz, der Griechenland nur wenig helfen würde?
Bofinger: Man muss überlegen, ob man das nicht relativ bald hinkriegt. Der nächste Schock kann schnell kommen. Im Moment treiben die Märkte die Politik vor sich her, und die Politik schafft es nicht, gegen die Märkte die Initiative zu ergreifen. Im Augenblick entscheiden die Märkte über Wohl und Wehe einzelner Länder und der Währungsunion, sie entscheiden, ob Spanien oder Italien Geld bekommen und ein Problem haben. Man muss sich jetzt überlegen, was passiert, wenn Spanien oder Italien ins Kreuzfeuer der Märkte kämen. Im Moment stehen wir ziemlich blank da.
sueddeutsche.de: Die Regierung in Berlin ist gegen die Euro-Anleihen, weil Deutschland trotz seiner soliden Wirtschaftspolitik höhere Zinsen zahlen müsste.
Griechenland: Proteste gegen Sparkurs:Mit Tränengas gegen Randalierer
Die Griechen sind ob der angekündigten Einsparungen aufgebracht. Die Gewerkschaften legen das Land lahm, in der Athener Innenstadt fliegen Steine und Brandsätze. Die Polizei reagiert mit Schlagstöcken und Tränengas auf die Ausschreitungen.
Bofinger: Ich glaube, dass diese Annahme nicht stimmt, weil die Argumentation nur von einem Durchschnitt der bisherigen Zinsen ausgeht. Und diese wiederum reflektieren das Risiko, dass einzelne Länder kein Geld mehr bekommen könnten. Aber mit Euro-Bonds würde jedes Land jederzeit neues Geld bekommen, so dass wir eine grundsätzlich andere Situation bekommen würden.
sueddeutsche.de: Dennoch würden gewisse Länder davon eindeutig profitieren. Was wäre deren Gegenleistung?
Bofinger: Ich werbe für eine Währungsunion 2.0. Das würde erstens bedeuten, dass die Länder sich mit Eurobonds zu niedrigen Zinsen verschulden können. Zweitens müssten als Gegenleistung von Ländern mit einer hohen Verschuldung Kompetenzen in der Fiskalpolitik abgegeben werden. Da reicht der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht aus, weil der zu spät reagiert und kaum Sanktionsmöglichkeiten hat. Dabei sollte die Kontrolle über die Fiskalpolitik vom Europäischen Parlament ausgeübt werden. Es stört viele Bürger zu Recht, dass wichtige Entscheidungen von Institutionen getroffen werden, die nicht demokratisch legitimiert sind. Drittens brauchen wir eine vollintegrierte Bankenaufsicht für den Euroraum, um Fehlentwicklungen im Bankensektor wie im Fall von Irland und Spanien wirksam zu verhindern. Die Tatsache, dass man nicht weiß, welche Banken ein Schuldenschnitt wie treffen würde, ist ja bezeichnend. Und viertens und letztens müsste es die Möglichkeit geben, ein Land aus dem Euroraum rauszuschmeißen, wenn es sich nicht an die Vorgaben für die Fiskalpolitik hält.
sueddeutsche.de: Es dürfte viele Stimmen geben, die sagen: Für viertens und letztens brauchen wir aber den ganzen Kram vorher nicht, das können wir auch sofort tun.
Bofinger: Wenn wir im jetzigen System jemanden rauswerfen, ist das hoch gefährlich, weil es zu einer Kettenreaktion kommen kann, bei der selbst Länder wie Spanien oder Italien in Gefahr geraten könnten. Bei der Währungsunion 2.0 könnte man das System mit Euro-Bonds wirksam gegen Ansteckungseffekte schützen. Zudem hätten die Länder bei der Mitgliedschaft in der Währungsunion den Vorteil, dass sie sich über die Euro-Bonds günstig finanzieren würden.
sueddeutsche.de: Vor einem Jahr haben Sie gesagt: Der Euro kann eine griechische Staatspleite verkraften.
Bofinger: Das war eine etwas ungeschützte Aussage. Richtig ist: Der Euro kann einen griechischen Schuldenschnitt verkraften, wenn man die anderen Länder wirksam gegen Ansteckungseffekte absichert. Vergleichen Sie das doch mit einem alten Gebäude. Wenn Sie da eine Wand entfernen, geht das nur, wenn das Gebäude rundherum abgesichert ist.
sueddeutsche.de: Müssen die Griechen Ihrer Meinung noch mehr sparen?
Bofinger: Mein Eindruck ist, dass die Griechen schon eine Menge geleistet haben. Wir müssen in Deutschland mehr herausarbeiten, was die Politik und die Menschen dort geleistet haben. Wenn Sie die griechischen Sparanstrengungen der beiden letzten Jahre auf deutsche Verhältnisse übertragen, würde das einem Sparbetrag von fast 300 Milliarden Euro entsprechen. Mehr kann man von den Griechen nicht verlangen.
sueddeutsche.de: In einem Interview haben Sie vor einem Jahr gesagt, dass die EU richtig handelt, wenn sie Griechenland zum Sparen zwingt. Das gilt also nicht mehr?
Bofinger: Man muss sich fragen, ob das maximale Sparpotential nicht mal erreicht ist. Die Ideologie der Troika ist: sparen, sparen, sparen. Dass man dadurch die Wirtschaft abwürgt, scheint nicht präsent zu sein. Die Troika sollte lieber zur Kenntnis nehmen, dass ihre Annahmen des letztjährigen Programmes zu optimistisch waren. Und sie sollte damit aufhören, sich immer nur auf das Defizit zu fixieren. Wenn die Wirtschaft nicht anläuft, können Sie noch so viel sparen. Das ist nicht wie bei der schwäbischen Hausfrau, die ihre Einnahmen fest im Griff hat und entsprechend ihre Ausgaben gestalten kann. In einer Volkswirtschaft ist das etwas komplexer.