Süddeutsche Zeitung

Interview mit Jacobs-Chef:"Wir brauchen neue Vorbilder"

Suche nach Erneuerung: Der Unternehmer Andreas Jacobs über die Fehler seiner Generation und das verhängnisvolle Streben nach kurzfristigen Gewinnen.

Silvia Liebrich

Andreas Jacobs, 45, Präsident der Jacobs Holding, sieht die Wirtschaft vor einem gewaltigen Umbruch. Das Streben nach kurzfristigen Gewinnen habe in eine Sackgasse geführt. Der Sohn des Kaffeeunternehmers Klaus Jacobs leitet seit 2004 den Familienkonzern und fordert ein radikales Umdenken.

SZ: Herr Jacobs, viele Spitzenmanager legen angesichts der Wirtschaftskrise eine erschreckende Hilflosigkeit an den Tag. Wie erklären Sie sich das?

Andreas Jacobs: Die meisten von uns sind in einer Kultur groß geworden, die darauf ausgerichtet war, mehr Profit als gestern und mehr Profit als der andere zu machen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die meisten Manager kaum einen größeren Knick erlebt. Mit der Wirtschaft ging es immer irgendwie aufwärts, mal mehr, mal weniger.

SZ: Fehlt also schlicht die Erfahrung im Umgang mit Krisen?

Jacobs: Das ist so. Ich selbst bin 45, und 19 Jahre im Berufsleben. Keiner aus meiner Generation hat eine Krise diesen Ausmaßes je erlebt. Wir stehen vor einem gewaltigen Umbruch und wissen noch nicht, wie wir damit umgehen sollen. Unser Sensorium für Probleme und Problemmanagement ist unterentwickelt.

SZ: Was ist schief gelaufen?

Jacobs: Vor zwanzig Jahren hatten die meisten Absolventen von Wirtschaftsuniversitäten das Ziel vor Augen, große Investmentbanker zu werden und das maximale Gehalt einzustreichen. Da schließe ich mich nicht aus. Mit dem Streben nach immer mehr Profit haben sich aber auch Verhaltensweisen eingeschlichen, die aus heutiger Sicht unverantwortlich waren, gegenüber dem Unternehmen, der Wirtschaft und der Gesellschaft im Allgemeinen. Das Ergebnis sehen wir jetzt.

SZ: Wir müssen also lernen, wieder langfristig zu denken?

Jacobs: Diesen Mut müssen wir aufbringen. Wer nur von einem Quartal auf das nächste den Profit steigern will, verhält sich eindimensional. Wer aus diesem Teufelskreis ausbrechen will, muss den Mut haben, ein langfristiges Wertschöpfungsprogramm zu entwickeln, das auf kurzfristige Effekthascherei verzichtet.

SZ: Wie soll das gehen?

Jacobs: Im Wirtschaftssystem, wie wir es heute kennen, wird nur die finanzielle Wertschöpfung honoriert, aber nicht die soziale. Das ist ein Fehler. Wir müssen uns überlegen, wie wir in Zukunft soziales Engagement stärker honorieren.

SZ: Was verstehen Sie unter sozialem Engagement?

Jacobs: Es geht um soziale Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten und auf lange Sicht einen gewissen Wohlstand sichern. Sie gelten auch für Unternehmen. Firmen brauchen Geschäftsmodelle, die nachhaltig sind, langfristig Arbeit schaffen und die Umwelt nicht über Gebühr belasten. Nur so können wir die Zukunft künftiger Generationen verantwortlich gestalten.

SZ: Unternehmen sollen mehr soziale Verantwortung übernehmen. Ist das überhaupt ihre Aufgabe?

Jacobs: Auch Unternehmen müssen sich dieses Thema ganz oben auf ihre Agenda schreiben, weil sie in einer vernetzten Welt agieren. Wenn Massen in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, betrifft das auch Hersteller und Dienstleister, weil den Menschen das Geld fehlt, ihre Produkte zu kaufen. Wenn wir eine politisch stabile Welt wollen, mit einem florierenden Handel, müssen wir auch das weltweite Hungerproblem in den Griff bekommen und alles tun, damit sich die Klimakatastrophe nicht weiter verschärft. Sonst drohen politische und soziale Unruhen, die auch uns treffen.

SZ: Welche Probleme müssen wir direkt vor unserer Haustür lösen?

Jacobs: Das Schlimme in Europa ist, dass bei der jüngeren Generation kein Aufbau an Vermögen mehr stattfindet. Die Bevölkerung überaltert zunehmend, ohne dass die Rentensysteme angepasst werden. Wir können es uns aber schlicht nicht leisten, immer mehr Menschen in den Ruhestand zu schicken, die eigentlich noch arbeiten könnten.

SZ: Wer ist in der Pflicht?

Jacobs: Politik und Wirtschaft müssen dafür eine Lösung finden. Warum nicht den Menschen die Chance geben, ihre Alterssicherung selbst auszubauen und gleichzeitig den Staat zu entlasten? Das ist für Firmen, die bereit sind ältere Menschen zu beschäftigen, aber nur finanzierbar, wenn beispielsweise die Lohnnebenkosten deutlich sinken.

SZ: Welche Qualitäten brauchen die Führungskräfte in Wirtschaft und Politik, die diese Aufgaben lösen müssen?

Jacobs: Wir brauchen neue Vorbilder, mit Engagement und Mut zum Wandel. Es müssen weitsichtige Menschen sein, die bereit sind, auch an ihre Kinder und die Welt von übermorgen zu denken. Das bedeutet, sich selbst zurückzunehmen, in Ruhe zu analysieren, festzustellen wo man steht und wohin man will.

SZ: Wo sollen diese neuen Führungskräfte so plötzlich herkommen?

Jacobs: Ich habe die Hoffnung, dass die nachwachsende Generation anders und verantwortlicher agiert als die vorhergehende. Beim Nachwuchs ist jetzt schon ein Umdenken spürbar: zehn Prozent der Abgänger von Eliteuniversitäten mit MBA-Abschluss gehen heute nicht mehr in die Wirtschaft, sondern zu Hilfsorganisationen oder sozialen Einrichtungen, obwohl sie genau wissen, dass sie dort viel weniger verdienen.

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SZ: Brauchen die Spitzenkräfte von morgen ebenso teure Bonusprogramme und hohe Gehälter wie ihre Vorgänger?

Jacobs: Bonussysteme als Leistungsanreiz werden auch künftig ihre Berechtigung haben. Im Wettbewerb um gute Kräfte können viele Firmen darauf nicht verzichten. Die Bonusprogramme müssen aber anders gestaltet werden.

SZ: Trotz atemberaubender Verluste belohnen noch immer einige Banken ihre Spitzenkräfte mit großzügigen Ausschüttungen. Wie lässt sich das verhindern?

Jacobs: Es ist ein klares Zeichen von Systemversagen, wenn hohe Verluste zu hohen Ausschüttungen führen. Das darf nicht passieren. Die Übertragung von Aktienpaketen mit langen Haltefristen von fünf Jahren und mehr ist ein möglicher Weg, um das zu verhindern. Fällt der Kurs, hat auch der Manager einen Nachteil. Die Herausforderung wird außerdem sein, die langfristige und soziale Wertschöpfung eines Unternehmens als Vergütungskomponente einzufügen.

SZ: Viele Menschen verdienen immer weniger, während wenige immer mehr bekommen. Ist das berechtigt?

Jacobs: Gehälter, die über das hinausgehen, was ein Mensch zum Leben braucht, selbst wenn er einen anspruchsvollen Lebensstil pflegt, muss man grundsätzlich in Frage stellen.

SZ: Braucht etwa ein Bankvorstand 25 Millionen Euro im Jahr?

Jacobs: Das weiß ich nicht, ich brauche es nicht. SZ: Sie sind seit 2004 Präsident der familieneigenen Jacobs-Holding, die Beteiligungen am weltweit größten Schokoladenhersteller Barry-Callebaut und der Zeitarbeitsfirma Adecco hält. Verraten Sie uns, wie hoch ihr Gehalt ist?

Jacobs: Nur so viel: von 25 Millionen Euro bin ich meilenweit entfernt.

SZ: Wie wirkt sich der Wirtschaftseinbruch auf die Jacobs-Beteiligungen aus?

Jacobs: Barry Callebaut hat ein stabiles Geschäftsmodell, das relativ krisenfest ist. Schokolade ist immer gefragt. Die Zeitarbeitsbranche reagiert dagegen sehr sensibel auf die Wirtschaftsentwicklung und war eine der ersten, die vom Abschwung betroffen war. Sobald die Auftragslage schlechter wird, entlassen Arbeitgeber als erstes die Zeitarbeiter. Hier sehen wir schon seit Ende 2007 eine Rezession auf uns zu kommen.

SZ: Sind Entlassungen bei Jacobs-Beteiligungen geplant?

Jacobs: Bei Adecco lässt sich das nicht vermeiden. Wenn wir weniger Personal vermitteln können, müssen wir auch unseren Personalstamm reduzieren. Bei Barry Callebaut versuchen wir, durch natürliche Abwanderung die Mitarbeiterzahl zu reduzieren.

SZ: Sehen sie die Finanzierung der Holding-Töchter gefährdet?

Jacobs: Nein. In der Finanzierung von Barry Callebaut und Adecco stehen wir so da, dass wir eine noch stärkere Krise aussitzen können.

SZ: Wann wird sich die Wirtschaftlage wieder stabilisieren?

Jacobs: Das ist sehr schwer zu sagen. Die Rezession trifft viele Länder und Firmen zeitverzögert. In Deutschland wird nun der Arbeitsmarkt zusehends getroffen, damit wird auch der private Konsum zurückgehen. Die Unternehmen werden erst dann wieder verlässlich planen können, wenn an den Finanzmärkten wieder stabile Verhältnisse herrschen. Unklar ist derzeit, ob die Märkte überhaupt jemals wieder zur alten Stärke zurückfinden. In diesem Fall müssen wir lernen mit einer größeren Unsicherheit zu leben, als wir es gewohnt sind.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2009/hgn
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