Gerhard Cromme:"Das Ende des Euro wäre eine Katastrophe"

Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme über Fehler Deutschlands, Ego-Trips der Manager - und sein Gehalt.

Marc Beise und Karl-Heinz Büschemann

Die Krawatte sitzt, das Einstecktuch lugt aus der Brusttasche des dunklen Anzugs. Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp und Siemens, achtet auf Etikette, aber er trägt keinen Dünkel zur Schau. Den Interviewern begegnet er in seinem Büro am Wittelsbacherplatz in München höflich und zuvorkommend, später wird er ohne Umstände die bereitstehende Dienstlimousine freigeben und alleine durch die Münchner Innenstadt zu seinem Hotel laufen. In der Sache ist Cromme kompromisslos: Die Siemens-Krise hat er mit harter Hand beendet, und auch bei Thyssen-Krupp zählt nur sein Wort. Kritik lässt er mit einem Lächeln abprallen. Den Vorwurf, dass er die Vorgaben der von ihm selbst in der "Cromme-Kommission" formulierten Verhaltensregeln für Manager in eigener Sache missachtet, weist er weit von sich.

Tag der Entscheidung bei Siemens

Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp und Siemens: "Viele Manager waren auf einem Ego-Trip."

(Foto: ag.dpa)

SZ: Herr Cromme, Deutschland, ganz Europa steckt in einer schweren Krise. Was ist schiefgelaufen?

Cromme: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Da tragen alle miteinander Verantwortung: Banker, Manager, Gewerkschaften, Politiker, Bürger. Wir erleben eine ernste Krise, die auch eine Glaubwürdigkeitskrise ist. An den Märkten ist das Misstrauen groß. Das sieht man am Beispiel des Euro oder im Falle von Griechenland.

SZ: Wie wollen wir dann aus der Krise kommen?

Cromme: Behutsam, Schritt für Schritt und ohne Illusion. Es wird länger dauern, als viele glauben. Natürlich ist nach den Fehlern der Vergangenheit jetzt die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wichtig. Wir brauchen aber auch nachhaltiges Wachstum. Die Goldgräberzeiten sind vorbei, und die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Substanz und Solidität zählen.

SZ: Kollabiert die Währungsunion?

Cromme: Nein. Kein Land profitiert von der Währungsunion wie Deutschland. Gerade für uns in Deutschland wäre ein Ende des Euro eine Katastrophe. Durch eine künstliche Aufwertung der DM als Fluchtwährung hätten wir durch Exportverluste schnell ein oder zwei Millionen Arbeitsplätze weniger. Jetzt muss Europa aber aus der Krise lernen. Niemand sollte vergessen, dass es Deutschland und Frankreich waren, die unter Vorgängerregierungen Verträge gebrochen und die Stabilitätskriterien leichtfertig ad acta gelegt haben. Aber die Geschichte der europäischen Integration zeigt, dass Europa immer aus Krisen gestärkt hervorgegangen ist.

SZ: Ein niedriger Euro facht die Inflation an.

Cromme: Das muss nicht so sein. Dass der Kurs des Euro sich im Moment nach unten korrigiert, muss man deshalb nicht bedauern. Die Gemeinschaftswährung war doch völlig überbewertet. Wenn der Euro auf ein vernünftiges Niveau sinkt, zum Beispiel die Kaufkraftparität von 1,10 Dollar zu einem Euro, dann tut das den deutschen Exporten gut. Inflation wäre das Letzte, was Deutschland und Europa brauchen können.

SZ: Umgekehrt hilft Inflation, die Schuldenberge abzutragen.

Cromme: Vorsicht. Technisch mögen Sie recht haben. Aber das ist eine sehr eingeschränkte Betrachtung. Ich bin ein strikter Gegner jeglichen Inflationsgeredes. Geldentwertung trifft am Ende den sogenannten kleinen Mann, alle diejenigen, die wenig haben und das sofort für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen. Die Wohlhabenden dagegen kaufen sich Realwerte, wie Aktien, Immobilien oder Gold, um sich gegen Inflation zu schützen. Inflation ist die unsozialste Form der Schuldenbewältigung.

SZ: Apropos reich. Sie gehören zu den Spitzenverdienern in der Wirtschaft. Wären Sie bereit, zum Abbau der deutschen Schulden höhere Steuern zu zahlen?

Cromme: Persönlich wäre ich bereit, in dieser kritischen Phase einen Beitrag in Form eines Solidarzuschlags zu leisten. Aber der müsste befristet sein, um dieser Ausnahmesituation gerecht zu werden. Aber damit sind die Erfahrungen in Deutschland nicht gut. Die Sektsteuer wurde vor dem Ersten Weltkrieg zur Finanzierung der deutschen Flotte eingesetzt, und es gibt sie immer noch. Wenn wir in Deutschland die Wirtschaft langfristig ankurbeln wollen, müssen wir insbesondere die Leistungsträger in der Mittelschicht entlasten.

SZ: Zurück zur Glaubwürdigkeitskrise. Welche Vorschläge haben Sie, um das Image der Manager zu heben?

Cromme: Ich glaube, dass Manager viel mehr im Auge haben müssen, dass sie dienen. Ihnen gehört nicht die Firma, die sie führen, aber einige Manager haben sich aufgeführt, als seien sie Eigentümer. Sie waren auf einem Ego-Trip, und das wird auf Dauer bestraft.

SZ: So schlimm?

Cromme: Keine Frage, die Manager stehen im Feuer, die Politiker auch. Die Krise ist ja da, weil in den zurückliegenden zehn, fünfzehn Jahren nicht alle die Zeichen verstanden haben, weil es illusionäre Vorstellungen gab und mancher nicht genug bekommen konnte. Vorstände haben von den Eigentümern und Politiker von den Wählern einen Vertrauensvorschuss, dem sie gerecht werden müssen. Das geht nur mit Demut, Bescheidenheit und Zurückhaltung.

SZ: Fühlen Sie sich auch selbst schuldig?

Cromme: Niemand ist ohne Tadel, was meinen Sie konkret?

SZ: Nun, Sie gelten als ein Manager, der sich nicht an die Regeln guter Unternehmensführung hält, die Sie als langjähriger Chef der Corporate-Governance-Kommission aufgestellt haben.

Cromme: Das bestreite ich entschieden. Der Kodex wurde unter meiner Führung entwickelt und eingeführt, und wo ich als Aufsichtsratsvorsitzender Verantwortung trage, wird ihm zu 100 Prozent entsprochen.

Eiskalter Kontrolleur und Scheinheiliger

SZ: Sie stehen bei Thyssen-Krupp und Siemens in einem klaren Interessenkonflikt, wie er vom Kodex kritisch gesehen wird. Sie sind in beiden Unternehmen oberster Kontrolleur und haben gerade den führenden Manager Heinrich Hiesinger bei Siemens abgeworben, um ihn bei Thyssen-Krupp zum Vorstandsvorsitzenden zu machen. Sie schaden einem Ihnen anvertrauten Unternehmen, um einem anderen zu nutzen.

Cromme: Ich habe, wie es der Corporate-Governance-Kodex für diese Situation vorsieht, den Fall offengelegt und die Interessen von Siemens gewahrt. Als klar war, dass Herr Hiesinger sich für die Aufgabe bei Thyssen-Krupp interessierte, bin ich unverzüglich auf die zuständigen Gremien bei Siemens zugegangen und habe dies besprochen. Nachdem wir eine gute Nachfolgelösung bei Siemens gefunden hatten, haben die Gremien einstimmig entschieden. Das ist völlig korrekt gelaufen. Keiner im Aufsichtsrat wollte Herrn Hiesinger eine Chance verbauen, nur weil ich zufällig Aufsichtsratsvorsitzender in beiden Unternehmen bin.

SZ: Wir sind nicht überzeugt. Was hätte Siemens-Chef Peter Löscher denn tun sollen? Um einen guten Manager nicht zu verlieren, hätte er einen Konflikt mit Ihnen eingehen müssen.

Cromme: Herr Löscher und ich waren uns von Anfang an einig, dass ein Wechsel nur stattfinden konnte, wenn wir eine optimale Nachfolgelösung im Interesse von Siemens haben. Und die gibt es. Wechsel dieser Art finden ständig statt.

SZ: Ein Magazin nannte Sie den "eiskalten Kontrolleur", für eine Zeitung sind Sie "der Scheinheilige". Sie sind mittlerweile der meistkritisierte Manager gleich nach dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Macht das denn Spaß?

Cromme: Ein Heiligenschein ist zu viel der Ehre. Aber jetzt einmal ernsthaft: Wenn ich nur auf Applaus schielte, dann hätte Krupp vor mehr als zwei Jahrzehnten das Stahlwerk in Rheinhausen nicht geschlossen, dann hätten wir Hoesch nicht gekauft und nicht mit Thyssen einen Weltkonzern formen können. Dann hätte ich besser auch nicht den Vorsitz der Corporate-Governance-Kommission übernommen und ganz sicher auch nicht den Aufsichtsratsvorsitz von Siemens im Moment der größten Krise des Konzerns.

Und zu Herrn Ackermann möchte ich sagen, wir in Deutschland können froh sein, dass wir mit der Deutschen Bank ein Institut von Weltrang haben, das in der jetzigen Krise so stabil und weltweit anerkannt geführt wird. Aus vieler Kritik spricht eher Neid, Missgunst und Provinzialismus.

SZ: Ein anderer Punkt: Sie äußern sich öffentlich für eine Mäßigung der Manager bei den Gehältern. Sie tragen aber selbst dazu bei, dass die Bezüge von Vorständen und Aufsichtsräten kräftig gestiegen sind.

Cromme: Wieso?

SZ: Zum Beispiel haben Sie bei Thyssen-Krupp die Gehälter aller Vorstandsmitglieder nach oben angeglichen, nachdem die Corporate-Governance-Regeln die Veröffentlichung der Gehälter gefordert hatten.

Cromme: Das stimmt nicht. Bei Thyssen-Krupp entwickeln sich die Gehälter mit den Ergebnissen rauf und runter. Außerdem gibt es gute Gründe, den Vorstand weitgehend einheitlich zu bezahlen. Denn das deutsche Aktiengesetz schreibt allen Vorstandsmitgliedern Gesamtverantwortung zu.

SZ: Mit Verlaub, das klingt vorgeschoben. Die gleiche Verantwortung hatten die Vorstandsmitglieder auch schon vorher. Der Sinn der Kodex-Regeln war es, die Aufwärtsentwicklung der Gehälter zu bremsen.

Cromme: Auch das ist falsch. Die Kommission wollte und konnte nicht auf die Gehaltsentwicklung in den einzelnen Unternehmen Einfluss nehmen. Deshalb ging es nie um die Höhe der Gehälter, sondern um mehr Transparenz. Und darum, dem Aktionär die Möglichkeit zu geben, über dieses Thema mitzudiskutieren.

SZ: Sie haben bei der Berufung von Peter Löscher zum neuen Siemens-Vorstandsvorsitzenden das Chefgehalt von vier auf acht Millionen Euro jährlich verdoppelt.

Cromme: Spitzenmanagern wie Herrn Löscher steht der Weltmarkt offen, und da muss man kämpfen, auch mit Geld. Herr Löscher arbeitete, bevor er zu Siemens kam, für eine US-Gesellschaft. Wir haben ihm dann bei Siemens in etwa das geboten, was er auch vorher schon hatte.

SZ: Denken Sie dabei auch an sich selbst? Als Sie Aufsichtsratschef von Siemens wurden, haben Sie bald um eine ansehnliche Erhöhung Ihrer Bezüge gebeten.

Cromme: Davon kann keine Rede sein. Wir haben die Vergütung des Aufsichtsrats neu strukturiert, in der Höhe aber kaum verändert. Wenn man einen qualifizierten Aufsichtsrat will, dann muss man die Aufsichtsratsmitglieder angemessen bezahlen. Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende eines Unternehmens in etwa fünf bis zehn Prozent von dem verdient, was der Vorstandsvorsitzende bekommt und in etwa zehn bis 15 Prozent eines normalen Vorstandsmitglieds, dann ist das sicher nicht überzogen. Gute Aufsicht erfordert gute Leute mit entsprechender Eignung und Erfahrung, die das nicht nur so nebenbei machen. Ich trete aus voller Überzeugung dafür ein, dass dies auch durch solide Vergütung unterstützt wird.

SZ: Wie lange wollen Sie noch Siemens kontrollieren?

Cromme: Ich bin bis 2013 gewählt. So lange werde ich es auch machen.

SZ: Dann folgen Sie Berthold Beitz als Vorsitzender der mächtigen Krupp-Stiftung nach, die bei Thyssen-Krupp Großaktionär ist und an Rhein und Ruhr viel Einfluss hat?

Cromme: Diese Frage richtet sich an Herrn Beitz und das Kuratorium.

SZ: Aber Sie würden es gerne machen?

Cromme: Ich bin stellvertretender Vorsitzender der Krupp-Stiftung. Das ist eine interessante und dankbare Aufgabe, weil man viel Gutes tun kann. Es macht mir Freude, durch das Folkwang-Museum zu gehen oder in der Philharmonie in Essen Konzerte mit bedeutenden Künstlern zu erleben und zu wissen, dass die Krupp-Stiftung den entscheidenden Anteil an den Neubauten hatte.

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