Interview mit Elmar Schnee:"Ich bin risikofreudig"

Merck-Serono-Chef Elmar Schnee über die Entwicklung neuer Arzneien, unterschiedliche Gehälter in einer Firma, Genfer Hektik und hessische Trägheit.

Kristina Läsker

Im Januar 2007 hat der Darmstadter Pharmakonzern Merck die Genfer Biotechnologie-Firma Serono übernommen. Es sei schwierig, "die Fusion in den Köpfen der Leute zu verankern", sagt Firmenchef Elmar Schnee, der unterschiedliche Prozesse, Kulturen und Arbeitsstile in Einklang bringen muss. "Wir haben viele Kompromisse gefunden."

SZ: Herr Schnee, Sie stehen seit gut einem Jahr an der Spitze von Merck Serono. Durch die Fusion ist Europas größter Biotechnologie-Konzern entstanden - welche Schwächen sind geblieben?

Elmar Schnee: Beide Firmen - Merck und Serono - haben in der Entwicklung von Substanzen nicht überzeugt. Unsere erfolgreichen Medikamente wie das Krebsmittel Erbitux oder das Multiple-Sklerose-Mittel Rebif wurden von uns bis zur Marktreife entwickelt, kommen aber nicht aus der eigenen Forschung, sondern wurden eingekauft. Das ist eine Schwäche - und die werden wir abstellen.

SZ: Sie führen etwa 16.000 Mitarbeiter in Genf, Darmstadt und bei Boston. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen. Erschwert das die Führung?

Schnee: Es macht die Führung jedenfalls komplexer. Ich habe Büros in Darmstadt und Genf, und ich reise viel. Ich bin in der glücklichen Lage, mich in den drei Landessprachen bewegen zu können - unsere Konzernsprache ist englisch.

SZ: Welche Eigenschaft haben Sie im letzten Jahr am meisten gebraucht?

Schnee: Zuhören.

SZ: Was haben Sie denn so gehört?

Schnee: Die größte Herausforderung ist nach wie vor, die Fusion in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern. Es gab Reibungen bei der Gestaltung der Prozesse und Strukturen, die gibt es immer, das ging ganz schnell vorüber. Aber die Fusion in den Köpfen, das dauert. Bis jeder die Historie vergisst, von wo er kommt und dass es nur noch eine Firma Merck Serono gibt. Die Mitarbeiter brauchen drei bis fünf Jahre, damit die neue Kultur überall gelebt wird.

SZ: Das Pharmageschäft von Merck galt vor der Fusion als Biotop der Langsamkeit. Serono, Europas Marktführer in der Biotechnologie, hatte den Ruf, bisweilen hektisch zu entscheiden. Was hat sich durchgesetzt: hessische Trägheit oder Genfer Hektik?

Schnee: Tempo ist und war ein großes Thema. Serono hat manchmal zu schnell entschieden, Merck hat oft zu lange gebraucht. Wir haben viele Kompromisse gefunden. Es hat sich eine schnellere, wohl auch nicht zu schnelle Entwicklungsstruktur durchgesetzt.

SZ: Sind sie langsamer geworden in Genf bei Serono?

Schnee: Für die Genfer könnte man sagen, sie sind langsamer geworden. Aber Entscheidungen sind jetzt oft besser, weil wir Probleme von mehr Seiten beleuchten als früher.

SZ: Wie viele Stellen haben Sie abgebaut?

Schnee: Nicht viele. Es hat in der Schweiz zwei, drei Dutzend Kündigungen gegeben. Aber der Kauf von Serono war kein Geschäft um der Einsparungen willen, sondern wir haben zusätzliches Wissen eingekauft.

SZ: Der Betriebsrat in Darmstadt fordert eine Arbeitnehmervertretung in der Schweiz.

Schnee: Wir reden doch mit unseren Mitarbeitern in Genf. Die Schweiz ist bisher gut gefahren ohne Betriebsräte. Ich sehe keinen Grund, das zu ändern.

SZ: Bei der ehemaligen Serono wird besser bezahlt als bei Merck. Haben Sie die Gehälter schon angepasst?

Schnee: Serono hat nominal bessere Bezahlungen. Aber in der Schweiz wird 40 Stunden gearbeitet, in Deutschland sind es 37. In der Schweiz hat man vier Wochen Ferien, hier sind es sechs. In der Schweiz gibt es acht Feiertage, hier 14. In der Schweiz kann man Mitarbeitern leicht kündigen, was in Deutschland fast unmöglich ist, und die Lebenshaltungskosten sind höher. Wenn man das in Beziehung setzt, dann glaube ich nicht, dass die Mitarbeiter in der Schweiz viel höhere Gehälter haben als die deutschen.

SZ: Schaffen die Gehaltsunterschiede keinen Unfrieden?

Schnee: Ich glaube nicht. Die Leute verstehen das langsam, schließlich ist die Welt nicht gleich.

SZ: Sie arbeiten als persönlich haftender Gesellschafter bei einer Firma, die großteils in Familienhand liegt. Wem sind Sie verpflichtet, der Familie oder dem Kapitalmarkt?

Schnee: Die Familie hält 70 Prozent, ich würde meinen, die Mehrheit zählt. Aber wenn ich als haftender Gesellschafter eine Entscheidung treffe, überlege ich wohl mehr, als es angestellte Manager tun würden. Wenn wir Medikamente mit Nebenwirkungen entwickeln, wie etwa im Vioxx-Fall, und es geht an die Substanz der Firma, stecken wir Gesellschafter voll mit unserem Vermögen mit drin.

SZ: Haben Sie privat auch so viel Spaß am Risiko?

Schnee: Ich bin risikofreudig, aber das Risiko muss kalkulierbar sein. Ich bin kein Hasardeur. Ich habe auch schon Bungee-Jumping ausprobiert, und es war klasse. Allerdings habe ich das in meinen Flitterwochen gemacht, meine Frau hat fast nicht mehr mit mir geredet.

SZ: Der jüngste Geschäftsbericht verrät, dass die Integration etwa 154 Millionen Euro im Jahr 2007 gekostet hat. Was war so teuer?

Schnee: Wir haben insgesamt 175 Millionen Euro eingeplant - und haben zuletzt Integrationskosten vorgezogen, das Budget 2007 war höher als vorgesehen. Kosten sind etwa für die Beratung von Accenture angefallen und die Umstellung von Oracle auf SAP bei Serono.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob 25 Prozent Rendite für ein Biotech-Unternehmen genug sind.

"Ich bin risikofreudig"

SZ: Die Fusion fruchtet bisher kaum: Die Umsatzrendite von Merck Serono ist zuletzt von 8,5 auf 8,0Prozent gesunken. Andere Merck-Geschäfte sind lukrativer. Wie päppeln Sie die Rendite auf?

Schnee: Die Zahlen im Geschäftsbericht sind die juristische Sichtweise, sie enthalten Einmaleffekte wie Abschreibungen auf Vorräte und immaterielle Werte. Ohne diese Effekte kommt Merck Serono auf eine Umsatzrendite von 25 Prozent - und damit ist die Akquisition für uns schon im ersten Jahr erfolgreich.

SZ: Sind 25 Prozent Rendite für ein Biotechnologie-Unternehmen genug?

Schnee: Es gibt Firmen, die verdienen mehr. Es kommt darauf an, wo man sein Geld verdient. Wenn man sehr stark in den USA ist, wo wir trotz Zukaufs unterrepräsentiert sind, dann steigt die Rendite, Amerika zahlt sehr hohe Preise für Medikamente, höhere als Europa. Aber wir nützen nicht jede Strategie zur Preismaximierung aus.

SZ: Lassen Sie das keinen Finanzanalysten hören.

Schnee: Produkte müssen auch makroökonomisch einen Nutzen bringen. Wir reizen das nicht aus. Das Krebsmittel Erbitux ist in den USA zweimal so teuer wie in Europa.

SZ: Aber Erbitux kostet in Deutschland immer noch um die 50000 Euro pro Jahr pro Patient.

Schnee: Reden Sie mal mit einer Familie, in der jemand an Dickdarmkrebs erkrankt ist und in drei bis vier Monaten sterben muss. Nun gibt es die Möglichkeit, Erbitux einzusetzen, und derjenige lebt noch 14 Monate. Ich kenne einen solchen Fall - man bekommt ein Gefühl, dass die Anstrengung jeden Euro wert ist. Ich möchte nicht diskutieren müssen, was ein Menschenleben wert ist.

SZ: Drücken sich deutsche oder Schweizer Politiker um die Diskussion, was ein Menschenleben kosten darf?

Schnee: Ich glaube nicht, dass man diese Diskussion überhaupt führen kann. Patienten haben Anspruch darauf, Innovationen nutzen zu dürfen. Es kann nicht sein, dass Krankenkassen Medikamente nicht bezahlen, die das Überleben ermöglichen, weil sie zu teuer sind.

SZ: Zu den Medikamenten bei MerckSerono: 1986, vor 22 Jahren, hat Merck zum letzten Mal eine Arznei aus eigenen Laboren auf den Markt gebracht, den Betablocker Concor. Wie lange müssen wir auf das nächste Mittel warten, das Sie nicht eingekauft haben?

Schnee: Bis 2012. Dann könnte Cilengitide zur Zulassung eingereicht werden, ein Mittel gegen Gehirntumor.

SZ: Sie hatten angekündigt, neue Wirkstoffe einzukaufen. Ist da nichts passiert oder haben Sie bloß geschwiegen?

Schnee: Wir haben einige Wirkstoffe und Technologien einlizensiert. Es waren rund 20 Geschäfte im letzten Jahr, aber viele wurden nicht publiziert.

SZ: Wie viel Geld wollen Sie dieses Jahr in die Forschung stecken?

Schnee: Etwa eine Milliarde Euro, gut 22 Prozent vom Umsatz. Wir beschränken uns auf vier Therapie-Gebiete: Onkologie, neurodegenerative Erkrankungen - dazu gehören Multiple Sklerose, Parkinson und Alzheimer -, Autoimmunkrankheiten und die Therapie von Unfruchtbarkeit. Wir haben etwa 40 Projekte in der Entwicklung.

SZ: Die Diabetes-Forschung ist zuletzt vor sich hingedümpelt: Wann geben Sie diesen Bereich auf?

Schnee: Bei Diabetes sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Wir suchen seit einigen Monaten einen Käufer für unsere Forschung. Es dürfte etwa 60 Firmen geben, die Interesse haben könnten.

SZ: Wie viele Mitarbeiter sind betroffen?

Schnee: Rund 200 Mitarbeiter, vor allem in Frankreich. Wir wollen uns die Zeit nehmen, für sie den besten Abschluss zu erreichen.

SZ: Zuletzt wurde die Zusammenarbeit mit der japanischen Firma Takeda bei dem potentiellen Darmkrebsmittel Matuzumab aufgekündigt. Planen Sie, die Forschung einzustellen? Analysten hatten dem Mittel Jahresumsätze von 500 Millionen Euro zugetraut.

Schnee: Wir haben nur mit Takeda die Kooperation beendet, denn in den Studien zu Dickdarmkrebs hat das Mittel die Erwartungen nicht erfüllt. Über Einstellung oder Fortführung für andere Krebserkrankungen ist noch nicht entschieden, das passiert bis Jahresende.

SZ: Sie leiten auch die Sparte mit rezeptfreien Mitteln. Hier haben Sie zuletzt Zukäufe angekündigt. Was muss ein Übernahmekandidat mitbringen?

Schnee: Wir suchen starke Marken etwa bei Erkältungsmitteln und Vitaminpräparaten. Wir haben mit Nasivin oder Kytta bereits bekannte Präparate, aber unsere Produktpalette ist zu klein. Wir haben nicht genug Umsatzvolumen und damit Verhandlungsmacht, wenn wir mit Firmen oder Apotheken Produkte verhandeln. Deshalb wollen wir den Umsatz von 500 Millionen auf eine Milliarde Euro verdoppeln.

SZ: Wenn Sie das Drei- bis Fünffache ausgeben für diese Produkte, wie dies marktüblich ist, wollen Sie bis zu 2,5 Milliarden Euro investieren?

Schnee: Wir sollten nicht unbedingt die Obergrenze bezahlen. Außerdem kaufen wir nicht alles auf einen Schlag, sondern wir wollen peu à peu kaufen.

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