Interview mit Bitkom-Präsident Scheer:"Es wurden Ängste geschürt"

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August-Wilhelm Scheer, Chef des Hightech-Verbandes Bitkom, über Politiker, Google Street View und fehlenden Datenschutz.

D. Kuhr u. T. Riedl

SZ: Herr Professor Scheer, haben Sie sich Ihr Haus in Saarbrücken bereits bei Google Street View angesehen?

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Das Wohnhaus der Kanzlerin ist zu sehen, die Google-Niederlassung in München aber verschwimmt hinter einer Pixelwand: Ein erster virtueller Rundgang

Bildern.

August-Wilhelm Scheer: Nein, Google Street View hat bislang nur die Hausfassaden der 20 größten Städte Deutschlands ins Netz gestellt, und da gehört meine Heimatstadt Saarbrücken nicht dazu. Bei Google Earth dagegen, wo Häuserzeilen von oben fotografiert wurden, ist mein Haus schon lange zu sehen.

SZ: Und? Stört Sie das gar nicht?

Scheer: Überhaupt nicht. Dabei sieht man da ja viel mehr als bei Google Street View. Zum Beispiel ist erkennbar, ob jemand einen Pool im Garten hat und wo die Sonnenliegen stehen.

SZ: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das niemanden aufregt, Google Street View aber schon?

Scheer: Zunächst einmal regt Google Street View längst nicht so viele Menschen auf, wie manche glauben machen wollten. Schließlich haben nicht einmal drei Prozent aller betroffenen Haushalte Widerspruch gegen die Abbildung ihres Hauses eingelegt. Und selbst von diesen drei Prozent haben das viele meines Erachtens nur gemacht, weil sie von einigen Politikern verunsichert worden sind.

SZ: Sie sprechen von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die Google oder soziale Netzwerke wie Facebook immer wieder medienwirksam zum Einhalten unserer Datenschutz-Standards aufgefordert hat. Was ärgert Sie daran?

Scheer: Das war längst nicht nur Frau Aigner, auch andere Politiker haben sich ähnlich geäußert. Zum Teil wurden völlig irrationale Ängste geschürt. Wir bekamen Anrufe von Leuten, die befürchteten, man könne ihnen künftig in die Wohnräume schauen. Da hat sich die Politik nicht besonders verantwortungsvoll verhalten.

SZ: Aber ist es nicht gut, wenn jemand die Wirtschaft an die Regeln erinnert?

Scheer: Es ist zu kurz gesprungen und setzt falsche Akzente. Statt zu beklagen, dass Unternehmen aus dem Ausland unsere Datenschutz-Standards nicht beachten, sollten wir lieber selbst Dienste entwickeln, die unseren Regeln entsprechen. Das deutsche Studenten-Netzwerk StudiVZ etwa hat viel bessere Datenschutz-Standards als Facebook, aber international hat es keine Bedeutung.

SZ: Was müsste geschehen?

Scheer: Die Politik sollte aufhören, permanent vor den Risiken des Internets zu warnen und die Chancen auszublenden. Stattdessen sollte sie ein Klima schaffen, das Kreativität und Innovationen im IT-Bereich fördert. Es ist doch kein Zufall, dass wir außer der Telekom kein einziges international aufgestelltes Internetunternehmen in Deutschland haben. Wir sitzen auf der Tribüne und beklagen uns, dass das Spiel nicht richtig läuft. Wir müssen mitspielen.

SZ: Die Jugend entblößt sich im Internet, die Älteren sind entsetzt. Erleben wir einen Generationenkonflikt im Netz?

Scheer: Mit Sicherheit. Vielen Jugendlichen mangelt es an Bewusstsein für den Schutz ihrer Daten - ihnen fehlt aber auch die Erziehung dazu. Computer gibt es zwar mittlerweile in vielen Schulen, aber sie werden nicht richtig eingesetzt. Lehrern fehlt es oft an Interesse und Fortbildung bei diesem wichtigen Thema.

SZ: Was macht die persönlichen Daten eigentlich so reizvoll im Netz?

Scheer: Sobald es sich um Informationen handelt, die jemand anderen interessieren - ob nun Freunde wie bei Facebook oder Geschäftspartner wie bei Xing - sehen die Unternehmen die Chance für ein Geschäftsmodell.

SZ: Viele Dienste im Internet sammeln erst Daten, anschließend entwickeln sie ein Geschäftsmodell. Kein Wunder, dass dieses Vorgehen Ängste schürt.

Scheer: Deshalb sperren wir uns als Branche ja auch überhaupt nicht gegen die Diskussion um den Schutz von Daten im Internet - die Debatte wird nur oft zu emotional geführt. Wir müssen schauen, welche Ängste begründet sind, und welche dazu führen, dass wir wichtige Entwicklungen verpassen. Bei der Navigation im Auto beispielsweise können Bilderdienste wie Street View eine Hilfe sein.

SZ: Innenminister de Maizière hat Ihre Branche aufgefordert, bis zum IT-Gipfel am 7. Dezember einen Datenschutz-Kodex vorzulegen, andernfalls würden Panorama-Dienste gesetzlich geregelt. Wieso sperren Sie sich so gegen ein Gesetz?

Scheer: Wir können nicht für jeden Dienst, der im Internet entsteht, ein Gesetz erarbeiten. Selbstverpflichtungen sind schneller umsetzbar und flexibler als starre Vorschriften. Die kann man auch leichter an den technischen Fortschritt anpassen . . .

SZ: . . . und jederzeit aufweichen.

Scheer: Daran haben wir überhaupt kein Interesse. Wir sind darauf angewiesen, dass der Kunde uns akzeptiert. Und das gelingt uns nur, wenn wir für Transparenz und Vertrauen sorgen.

SZ: Wie also soll der Kodex aussehen?

Scheer: Noch ist er in Arbeit, aber es wird in jedem Fall eine zentrale Online-Plattform geben.

SZ: Und dort kann man zentral der Abbildung seines Hauses widersprechen?

Scheer: Dort wird über alle Panorama-Dienste umfassend und verständlich informiert. Widersprüche werden mit wenigen Klicks möglich sein, aber auch per Brief kann Einspruch eingelegt werden. Dabei achten wir darauf, Grundstücksdaten nicht mit anderen persönlichen Daten zu verknüpfen. Ein bundesweites Register, das solche Kombinationen speichern würde, wäre ein Datenkrake, den keiner wollen kann. Wir entwickeln deshalb eine datensparsame und verbraucherfreundliche Lösung, bei der die Bürger so wenig wie möglich von sich preisgeben müssen.

SZ: Von wem wird das überwacht, und welche Sanktionen gibt es?

Scheer: An diesem Punkt arbeiten wir noch. Dabei besteht kein Zweifel, dass der Kodex für alle Unterzeichner absolut verbindlich sein wird. Wer dagegen verstößt, muss sich verantworten, in schweren Fällen fliegt er raus.

SZ: Wieso richtet sich der Kodex nur an die Anbieter von Panorama-Diensten? Braucht es erst die Drohung der Politik, bis auch Facebook & Co. dabei sind?

Scheer: Wir werden die Selbstverpflichtung so gestalten, dass sie auf andere Dienste übertragen und erweitert werden kann.

SZ: Haben Sie keine Furcht, dass es in einigen Jahren den gläsernen Menschen im Netz geben wird? Dann weiß jeder alles über jeden.

Scheer: Nein. Auf der einen Seite haben viele einen Selbstdarstellungstrieb, auf der anderen muss es Nischen für Privates geben. Dazwischen gilt es, einen Kompromiss zu finden durch freiwillige Vereinbarungen, aber auch mit Hilfe der Technik. Ich habe gerade erst mit einem Forscher gesprochen, der eine Methode entwickelt hat, Bilder mit "Haltbarkeitsdatum" im Netz zu veröffentlichen. So könnten Partyfotos sorgenfrei auf Facebook gestellt werden, nach einer Woche verschwinden sie automatisch. Auch das wäre ein Geschäftsmodell.

SZ: Geld verdienen im Internet doch nur US-Firmen. Die Deutschen haben ja schon längst den Anschluss verloren.

Scheer: Im Netz lässt sich auch mit dem Schutz von Daten Geld machen. Deutsche hätten hier sogar einen Startvorteil: Sicherheit "made in Germany" hat weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Nur auf die USA zu schauen und erfolgreiche Ideen zu imitieren, reicht in der digitalen Wirtschaft nicht aus. Dann kommt früher oder später das Original nach Deutschland und kauft den Nachahmer, so etwa geschehen bei Ebay und Alando Ende der neunziger Jahre. Wir haben keinen Engpass an Ideen, sondern an international erfolgreichen Firmen.

© SZ vom 26.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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